Pro und Contra Deutsche Soldaten in den Irak?

Deutschland hat sechs Soldaten in den Irak entsandt. Gut so, findet WirtschaftsWoche-Redakteur Hans Jakob Ginsburg. Falsch, meint sein Kollege Andreas Wildhagen.

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Ein bewaffneter Einsatz deutscher Soldaten im Irak findet Für- und Widersprecher. Quelle: AP

"Die Welt muss handeln", meint WirtschaftsWoche-Redakteur Hans Jakob Ginsburg

Schaurig ist der sogenannte Islamische Staat, der im Irak und in Syrien morden, vergewaltigen und plündern lässt. Die letzten Spuren von Ordnung verschwinden in einer Region, von der – das muss gesagt werden – die Energieversorgung der Welt immer noch abhängt. Der Kalifatstaat kennt keine Grenzen, nicht nur im Nahen Osten: Dschihad-Touristen aus Europa lassen sich dort zu Mördern ausbilden, Rückflugtickets und Anschlagspläne gibt es offenbar schon. Al-Qaida war gestern, die Bedrohung Europas durch Gefolgsleute des Kalifen Ibrahim ist noch unheimlicher. In aller Öffentlichkeit, protokolliert auch in sozialen Medien, hat der Massenmord an religiösen Minderheiten begonnen.

Die Welt muss handeln, aus Mitmenschlichkeit und im eigenen Interesse. Das ist kein Ukraine-Konflikt, wo Wirtschaftssanktionen das ultimative Instrument bleiben werden, keine geografisch begrenzte Angelegenheit wie der Kosovo-Konflikt vor anderthalb Jahrzehnten, das lässt sich auch nicht an den großen Immer-noch-Verbündeten in Washington delegieren.

Was Deutschland im Irak leistet und nicht leistet

Gewiss, Amerika lässt seine Drohnen im Nordirak los und versorgt die Kurden mit Waffen. Alles aber halbherzig – Präsident Barack Obama versucht, seine Soldaten aus nahöstlichen Verwicklungen, so weit es geht, herauszuhalten. Das ökonomische und geostrategische Interesse der USA gilt jetzt Ostasien. Der Nahe Osten ist das Spielfeld der Europäer, auch wenn wir keine Lust haben, anzutreten. Und Europa – das heißt in vorderster Linie Deutschland.

Also deutsche Waffen für die Kurdenarmee der Peschmerga? Westliche Rüstungsexporte in den Orient haben kaum je ihr Ziel erreicht: Bestenfalls konnten die Empfänger wenig damit anfangen, siehe Afghanistan, und immer wieder geriet das Material in ganz falsche Hände. Die Banden des Kalifen, schlimmstes Beispiel, sind vor allem darum so bedrohlich, weil sie die Arsenale ihrer von den USA ausgerüsteten Feinde geplündert haben. Und sollten die Peschmerga tatsächlich den bösen Feind dank westlicher Waffen schlagen, könnten sie das Kriegsmaterial anschließend in den Nachbarstaaten ausprobieren: Immerhin werden im Iran und in der Türkei Millionen Kurden diskriminiert. Waffenexporte frei Haus der Kurdenregierung in Arbil können es also nicht sein.

Wenn Deutschland den Kampf gegen den Kalifatstaat mittragen will, führt darum nichts an der Entsendung von Soldaten vorbei. Das wird kein Spaß, das kann frustrierend und schlimm enden wie in Afghanistan, und ohne politischen und wirtschaftlichen Flankenschutz wäre das sogar wahrscheinlich. Aber was sonst soll die Rede von deutscher Verantwortung sonst noch bedeuten?

Contra: "Klären, wo Freund und Feind stehen"

"Es gibt keinen Grund für ein militärisches Abenteuer", sagt WirtschaftsWoche-Redakteur Andreas Wildhagen

Deutschland muss "Verantwortung übernehmen". Bundeswehr an die nordirakische Front! Die bellizistische Forderung meines Kollegen Hans Jakob Ginsburg reiht sich ein in einen Chor von Appellen, die seit einigen Wochen eisern dazu auffordern, die Bundesrepublik müsse endlich weltpolitisches Format zeigen und sich aus der moralischen Schockstarre der Nachkriegszeit emanzipieren.

Kriegerische Worte und ein gewisser Stolz, sich einzureihen in die Phalanx, der "Genug ist genug"-Menschen, die mit dem Finger am Abzug gegen Völkermord und Vergewaltigungen zu Felde ziehen wollen, gehören mittlerweile zum Grundrauschen in den Boulevardblättern und des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Dabei dient der Hinweis auf die deutsche Geschichte in unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Weise. Mal zur Warnung vor Kampfeinsätzen, mal zur Begründung derselben, um gegen Abscheulichkeiten in jedem Winkel der Welt zu Felde zu ziehen. Man kann dieses Argument also wegen seiner Beliebigkeit getrost weglassen und sollte es auch tun. Die aggressive Rhetorik, die vor Wochen mit der Krim-Krise begann, hat heute infolge der Verfolgung der Jesiden im Irak und des Isis-Terrors seinen aktuellen vorläufigen Höhepunkt gefunden.

Verhandeln und Reden ist mittlerweile bei vielen Politikern verpönt. Viele Journalisten treiben das politische Berlin vor sich her. Es fing alles noch harmlos an, als Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Siemens-Chef Joe Kaeser attackierte, weil dieser im März den russischen Präsidenten Wladimir Putin in seiner Residenz besucht hat. Kaeser gehöre zu den "Krämerseelen", wetterte Gabriel, Kaeser sei Materielles wichtiger als Menschenrechte. Wirtschaftspolitik mit Russland ist für Gabriel nur noch Sanktionspolitik.

Fatal ist, dass die Front zwischen Feinden, Geldgebern im Hintergrund und Terroristen fließend ist. Das "Böse" müsse bekämpft werden, forderte Ex-Außenminister Joschka Fischer kürzlich. Das "Böse" ist aber gar nicht so böse, wenn es sich wie ein megareicher Scheich in Katar mit fünf Prozent an der Deutschen Bank beteiligt und dafür acht Milliarden Euro hinblättert. Aus Katar heraus finanzieren die Scheichs auch den Gaza-Streifen in inniger islamistischer Solidarität und unterstützen Isis-Kämpfer.

Die Königshaus-Diktatur Saudi-Arabien, Handelspartner der USA und Deutschlands, ist ein Regime, das Ungläubige und Christen unterdrückt und den Terror in anderen Teil der Region finanziert. Solange niemand weiß, wo Freund und wo Feind stehen, solange der Nutzen eines möglichen Sieges über das aktuell Böse nicht klar ist, darf kein deutscher Soldat auch nur einen Schuss in den Krisenregionen abfeuern.

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