Regierungserklärung zum EU-Gipfel Was spricht denn gegen den Brexit-Aufschub?

Brexit-Aufschub: Was spricht eigentlich gegen eine Verschiebung? Quelle: REUTERS

Angela Merkel stellt in ihrer Regierungserklärung den Aufschub des Brexit in Aussicht. Doch warum eigentlich stellt man in Brüssel und Berlin dafür Bedingungen? Darunter leidet die eigene Glaubwürdigkeit.

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Das Ende der Brexit-Geschichte ist noch immer offen. Doch eins kann man schon feststellen: Es ist eine Geschichte, die an Absurdität mindestens ebenso reich ist, wie ein Roman von Albert Camus. Man findet diese nicht nur in den Debatten und Parlamentsentscheiden in London, sondern auch in Brüssel und in Berlin. Bevor Angela Merkel zum EU-Gipfel nach Brüssel aufbrach, gab sie im Bundestag eine Regierungserklärung ab, in der die Berliner Position – sie entspricht weitgehend derjenigen der EU-Kommission und der meisten anderen verbleibenden EU-Mitglieder – in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit nochmals deutlich wurde.

Dass dieser Gipfel zu einer klaren Entscheidung für oder gegen den von der britischen Regierung gewünschten Aufschub des Austritts bis zum 30. Juni führen wird, ist höchst unwahrscheinlich. Man wird Premierministerin Theresa May wohl ins Leere laufen lassen. Das pfeifen nicht nur die Spatzen in Brüssel von den Dächern.

Merkel sprach gleich zu Beginn ihrer Rede vom letzten „regulären“ EU-Rat vor den Wahlen zum Europäischen Parlament. Sie sprach von der Möglichkeit eines zusätzlichen Sondergipfels, falls das britische Parlament dem Vertrag, den es schon zweimal abgelehnt hat, in den nächsten acht Tagen nicht doch noch zustimmt. Merkel versprach, sich „bis zur letzten Stunde“ um einen geregelten Ausstieg zu bemühen. Zugleich zählte sie aber all die Maßnahmen auf, die man ergriffen habe, um sich auf den vertragslosen Austritt vorzubereiten. Mehr Zöllner zum Beispiel.

Das Signal an London ist klar: eine freundlich verpackte Warnung. Wie man das eben macht, wenn man in Verhandlungen geht.

Aber worum geht es denn eigentlich? Was spricht denn dagegen, der britischen Regierung ihren Wunsch nach Aufschub des Austritts bis zum 30. Juni bedingungslos zu gewähren? Hält man nicht eigentlich in allen europäischen Hauptstädten den Brexit für ein großes Unglück? Sollte man dann nicht buchstäblich um jeden Tag froh sein, den das Vereinigte Königreich noch in der Union verbringt?

Das Argument der Europa-Wahlen, an denen die Briten im Falle des Aufschubs teilnehmen sollten, um dessen Legitimität nicht zu gefährden, dürfte wohl ein willkommener Vorwand sein. Das Europäische Parlament wäre nicht die erste Volksvertretung, in der für einen Teil ihres Wahlvolks Abgeordnete fehlen oder nach Sonderbestimmungen entsandt werden. Man erinnere sich an die Monate zwischen der deutschen Wiedervereinigung und den ersten gemeinsamen Bundestagswahlen im Dezember 1990.

Eigentlich gibt es keinen Grund, irgendeine Bedingung für das britische Begehren nach Aufschub zu stellen. Unter der Voraussetzung, dass die Europäische Union ein auf freiheitlichen Werten basierender Bund ist, der für Großbritannien offen bleibt. Und vorausgesetzt, Brüssel möchte vor allem die knappe Mehrheit der Briten, die 2016 für den Austritt stimmten und der EU vorwerfen, ein bevormundendes Imperium zu sein, für die europäische Sache zurückgewinnen. Die angebrachte Reaktion wäre dann: „Verschiebt euern Abschied so lange, wie ihr wollt - am liebsten auf den Sankt-Nimmerleinstag.“

Sonst bleibt eben doch für viele Menschen auf beiden Seiten des Ärmelkanals der Verdacht nicht vollkommen abwegig, den Alexander Gauland in seiner Antwort auf die Kanzlerin formulierte: Dass nämlich in Brüssel ein Interesse bestehe, „die Briten zu bestrafen“ für ihre demokratische Entscheidung. Diesen Verdacht auszuräumen, würde den EU-Feinden bei den anstehenden Wahlen im Mai viel mehr Wind aus den Segeln nehmen als zum Beispiel die vom Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus vorgetragene Behauptung, es sei in der EU „so viel richtig gemacht worden“ und daher sei sie „aus Krisen immer stärker hervorgegangen“.  

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