Städteranking 2018 Was macht Städte wirtschaftlich stark?

Städteranking 2018: Was macht Städte erfolgreich? Quelle: dpa

Ob eine Stadt arm oder reich ist, hängt zunehmend von der digitalen Infrastruktur ab, sagt Jens Südekum. Der Düsseldorfer Regionalforscher erklärt, welchen Einfluss die Kommunalpolitik auf den Erfolg ihrer Stadt hat.

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WirtschaftsWoche: Herr Südekum, weltweit lebt mittlerweile über die Hälfte der Menschen in Städten, 2030 werden es 60 Prozent sein. Gilt dieser starke Urbanisierungstrend auch für Deutschland
Jens Südekum: Ja, eindeutig. Allerdings verläuft er in Schüben. In den 70er und 80er Jahren haben wir die so genannte Sub-Urbanisierung erlebt, da zog es viele Leute zurück aufs Land und in die Speckgürtel der Großstädte. In den Städten selber war die Einwohnerentwicklung damals unterdurchschnittlich. Das hat sich total gedreht. Seit einigen Jahren schwingt das Pendel zurück. Vor allem jüngere, gut ausgebildete Menschen zieht es in Metropolen wie etwa München, Hamburg, Köln und Frankfurt. Darauf reagieren natürlich auch die Unternehmen: Sie wollen ihren Mitarbeitern angesichts des Fachkräftemangels ein attraktives Umfeld und urbanes Leben bieten. Dagegen kommt die Provinz nur schwer gegen an.

Wieso? Was nutzt das Flair der Großstadt, wenn es dort keinen bezahlbaren Wohnraum gibt, chronisches Verkehrschaos herrscht und die Kitaplätze knapp sind?
Klar, Ballung hat immer auch negative Begleiterscheinungen. Die Wohnfläche pro Kopf ist teuer und vergleichsweise gering, die Luft ist schlechter, die Kriminalität tendenziell höher, das Umfeld für Kinder schwieriger. Genau dort müssen Städte in der Peripherie ansetzen: mit Familienfreundlichkeit, Freizeitwert, preiswertem Wohnraum, guter Kinderbetreuung. Man könnte sagen: Die Nachteile der Großstadt sind die Chance der Provinz. Das nützt freilich alles nichts, wenn die Städte jenseits der Metropolen nicht an einer entscheidenden Stelle aufrüsten: der Digitalisierung.

Zur Person

Anders ausgedrückt: Kein Aufschwung ohne schnelles Internet?
Mit der Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft und durch die Digitalisierung werden viele Tätigkeiten der Arbeitswelt räumlich unabhängig. Ein Start-Up in der IT-Branche muss nicht in Berlin sitzen, sondern kann sich auch in einem Dorf in Brandenburg niederlassen. Eine solche Dezentralisierung von Innovation und Wirtschaftskraft, die dann auch zu einer Entspannung der Wohnraumknappheit in den Städten beiträgt, funktioniert aber nur, wenn es eine exzellente digitale Infrastruktur in der Provinz gibt. Für die Frage, ob eine Stadt arm oder reich ist, dürfte in wenigen Jahren die geografische Lage eine geringere Rolle spielen als die digitale Infrastruktur.

Der Glasfaserausbau ist aber auf dem platten Land sehr teuer und für die großen Anbieter wirtschaftlich nicht übermäßig attraktiv.
Da stimmt. Die digitale Erschließung der Provinz ist daher eine Staatsaufgabe. Wie gesagt: Die digitale Infrastruktur ist der entscheidende Standortfaktor für die Kommunen. Wenn es nicht anders geht, kann man sicherlich auch einen gewissen Finanzierungsbeitrag der Bürger einfordern. Beim Wasser- und Gasanschluss wird darüber ja auch nicht diskutiert. Aber von alleine und ohne öffentliche Steuerung wird die Provinz nicht digital erschlossen.

Woran orientieren sich Investoren sonst noch, wenn sie einen neuen Standort suchen?
In Befragungen werden neben der Infrastruktur vor allem zwei Aspekte genannt: die Bürokratie und die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal.

Kommunalpolitiker in wirtschaftlich schwächeren Städten verweisen gern darauf, dass viele ihrer Probleme exogen und von der Lokalpolitik kaum beeinflussbar seien. Sind die Bürgermeister machtlos, wenn es nicht läuft?
Es gibt natürlich einige unveränderbare geografische Faktoren. Wer ab vom Schuss liegt und keine größere Stadt in der Nähe hat, der hat ein Problem. Ich habe gleichwohl den Eindruck, dass einige Bürgermeister bei der Standortpflege kreativer und tüchtiger sind als andere.

Kulturelle Offenheit wird oft unterschätzt

Welche Rolle spielt kulturelle Offenheit für die Standortqualität?
Eine unterschätzte! Mittelfristig werden wir unseren Fachkräftebedarf nicht ohne Zuwanderung decken können. Rechtspopulismus und fremdenfeindliche Ausschreitungen wie unlängst in Chemnitz sind daher für die Anwerbung von Fachkräften und ausländischen Investoren fatal – erst recht für Städte abseits der großen Zentren. Aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich, dass ausländische Wissenschaftler das gesellschaftliche Klima in einigen Regionen Ostdeutschlands mittlerweile als unangenehm empfinden. Auch Zuwanderer zieht es übrigens nicht unbedingt in die Provinz. Sie gehen lieber in die Großstädte, wo es oft landsmannschaftliche Netzwerke und eine kulturelle Szene aus dem Heimatland gibt.  

Eine der größten wirtschaftlichen Problemregionen Deutschlands ist das Ruhrgebiet. Warum geht es im Revier nur so langsam voran?
Es gibt zwei zentrale Probleme: Das eine ist unverschuldet, das andere selbstverschuldet. Schädlich ist vor allem das verbreitete Kirchturmdenken einzelner Ruhrgebietsstädte. Die wirtschaftlichen Synergien werden in dieser Region noch nicht ausreichend ausgeschöpft, da läuft vieles ineffizient, etwa in der Wirtschaftsförderung. Auf der anderen Seite hat das Ruhrgebiet einen weit schärferen Strukturwandel erleben und managen müssen als andere Regionen in der Welt. An der Spezialisierung auf Kohle und Stahl hat das Ruhrgebiet lange gut verdient. Duisburg etwa war in den Sechzigerjahren eine der Städte mit dem höchsten Pro-Kopf- Einkommen in Deutschland. Die Globalisierung, der Aufstieg Chinas und der Fall des Eisernen Vorhangs haben dieses Geschäftsmodell aber zerstört. Wobei auch nicht alles schlecht läuft. In den USA mit dem „rust belt“ oder in Nordengland sind alte Industriereviere komplett unter die Räder gekommen. Das ist an Rhein und Ruhr nicht geschehen. Es ist Politik, Wirtschaft und Hochschulen gelungen, einen nachhaltigen Strukturwandel zumindest in Gang zu setzen.

Und was ist mit dem Osten? Wie weit geht auf kommunaler Ebene die Schere zwischen west- und ostdeutschen Kommunen noch auseinander? 
Leipzig und Dresden können mithalten, aber die durchschnittliche ostdeutsche Stadt hat immer noch eine deutlich schwächere Wirtschaftskraft als die durchschnittliche westdeutsche Kommune.

Den großen Städtetest der WirtschaftsWoche gewinnt seit Jahren immer die gleiche Stadt: München. Ist die bayerische Metropole in puncto Wirtschaftskraft uneinholbar?
Nein. Man kann auch an seinem eigenen Erfolg ersticken. Der „Economist“ hat unlängst das Silicon Valley als „Peak Valley bezeichnet, also als Region, die ihren Zenit überschritten hat. Wenn alles immer teurer, immer knapper und immer enger wird, schauen sich Unternehmen und Einwohner irgendwann nach anderen Standorten um. Im Fall des Silicon Valley sind das dann zum Beispiel Seattle oder Florida. Eine solche Abstimmung mit den Füßen ist langfristig auch in München denkbar.

Wie kommt es, dass in Deutschland ausgerechnet in der Provinz so viele Weltmarktführer sitzen?
Das Phänomen der Hidden Champions ist eine absolute deutsche Besonderheit. Diese Struktur ist historisch gewachsen, auch durch die deutsche Teilung und die Insellage Berlins. Viele Familienunternehmen haben nach dem Krieg Berlin verlassen und sind in der Provinz gelandet. Das hat auch deshalb gut funktioniert, weil Deutschland viel dezentraler organisiert ist als andere Staaten. Hinzu kommt die Unternehmensstruktur: Die meisten Hidden Champions kommen aus dem verarbeitenden Gewerbe, da verlagert man einmal etablierte Produktionsstäten eher selten. Gleichzeitig droht allerdings ein „Lock-in-Effekt“, wie Ökonomen es nennen: man kommt irgendwann nicht mehr weg. Durch den Sog der Metropolen werden sich die Hidden Champions aus der Provinz künftig ganz schön strecken müssen, um Hidden Champions zu bleiben.

Deutschlands zukunftsfähigste Städte
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