Befürworter der Akademisierung übersehen, dass die Expansion und zunehmende Spezialisierung der akademischen Ausbildung weitgehend angebotsgetrieben sind. Die duale Ausbildung ist dagegen nachfragegetrieben. Dieser Unterschied zieht erhebliche Konsequenzen nach sich.
Insbesondere im Bereich der Industriefacharbeiter sind Ausbildungsplätze für die Betriebe eine kostenträchtige Investition. Die Firmen werden also nur aktiv, wenn sich diese Investition langfristig für sie auszahlt. Folglich geht von der Bereitstellung eines Ausbildungsplatzes ein verlässliches Marktsignal aus. Das duale Ausbildungssystem produziert relativ passgenau den im Markt benötigten Qualifikationsbedarf und reduziert für Firmen relativ zuverlässig die Einstellungsrisiken von Bewerbern am Beginn ihres Erwerbslebens.
Das ist von enormer Bedeutung für einen hoch regulierten Arbeitsmarkt wie in Deutschland. Ohne dieses Instrument hätten wir in Deutschland wahrscheinlich mit einer ähnlich hohen Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen wie Länder mit vergleichbarer Regulierungsdichte.
In einem akademisierten Bildungssystem fehlen Marktsignale weitgehend. Für die Zertifizierung eines neuen Studiengangs wird lediglich geschaut, ob das Curriculum mit den Ausbildungszielen in Einklang steht. Ob es für den Abschluss eine Nachfrage am Arbeitsmarkt gibt, ist für den Zertifizierungsprozess unerheblich. Deswegen entsteht seit Einführung des Bologna-Prozesses ein exotischer Bachelorstudiengang nach dem anderen – an deren Ende nicht selten die Arbeitslosigkeit steht.
Wie Azubis über die Berufsausbildung denken
Im Rahmen der Studie "Azubi-Recruiting Trends 2016" befragt u-form Testsysteme, ein Anbieter von Eignungstests in der Ausbildung und bei Bewerbungen, zusammen mit der Hochschule Koblenz und der Berufsorientierungsplattform blicksta jährlich mehrere tausend Auszubildende und ihre Ausbildungsleiter. 2016 fand die Umfrage zum siebten Mal statt, 3.343 Azubi-Bewerber und Auszubildende sowie 1.295 Ausbildungsverantwortliche nahmen teil.
Der Aussage "Mit einer Ausbildung hat man etwas Handfestes und lernt nicht nur pure Theorie", stimmten 90,1 Prozent der befragten Lehrlinge und angehenden Azubis zu.
Für die jungen Menschen ebenfalls wichtig: die finanzielle Komponente einer Ausbildung. 88,1 Prozent schätzen an der dualen Ausbildung, dass sie von Anfang an etwas verdienen.
Dieses Statement trifft für 87,7 Prozent zu.
Bei dieser Aussage fällt die Zustimmung schon geringer aus. Trotzdem: 59,2 Prozent - also eine deutliche Mehrheit - glauben, dass eine Ausbildung genauso gut aufs spätere Berufsleben vorbereitet, wie ein Studium.
Während die Ausbildung einst für die breite Masse und das Studium für einen kleinen Kreis war, ist es heute eher umgekehrt, sagen 54,8 Prozent der befragten Lehrlinge.
Dem stimmen 52,5 Prozent zu.
Dass Studenten von oben auf Auszubildende herabsehen, sehen 46,6 Prozent so. Die Mehrheit glaubt nicht, dass das zutrifft.
42,7 Prozent der Auszubildenden glauben, dass ein Studium nur für Papas Nerven oder Mamas Stolz gut ist. 57,3 Prozent glauben dagegen nicht, dass die obige Aussage zutrifft.
Meister statt Master: Dass Menschen mit einer Berufsausbildung Führungspositionen verwehrt bleiben, glauben nur 30 Prozent der Azubis. 70 Prozent sehen nicht, warum sie ohne Studium nicht trotzdem Chef werden können.
Nötig sind Lösungen, die das angebotsgetriebene System in ein nachfragegetriebenes verwandeln.
Mein Vorschlag: Es müsste nach Hochschule und Studiengang offen zugänglich gemacht werden, was aus den Absolventen später geworden ist. Auf diese Weise entsteht Markttransparenz: Studieninteressenten könnten die Ergebnisse bei ihrer Ausbildungsentscheidung berücksichtigen. Dadurch würde ein Marktkorrektiv geschaffen, das einen heilsamen Qualitätswettbewerb der Hochschulen in Gang setzt und junge Menschen vor Fehlentscheidungen bewahren kann.