Ulrich Weigeldt Hausärzte-Chef: „Die Leute wollen geimpft werden, nicht neun Zettel unterschreiben“

Quelle: dpa

Seit gut zwei Wochen impfen die Hausärzte gegen das Coronavirus. Ulrich Weigeldt, Chef des Hausärzteverbandes, zieht eine erste Bilanz – und erklärt, warum er die Impfreihenfolge ändern will.

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Ulrich Weigeldt ist Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Der Facharzt für Allgemeinmedizin arbeitet als niedergelassener Hausarzt in Bremen.

WirtschaftsWoche: Herr Weigeldt, seit zwei Wochen impfen nun auch die Hausärztinnen und -ärzte gegen das Coronavirus. Wie ist Ihre erste Bilanz?
Ulrich Weigeldt: Hervorragend – bis auf zwei Aspekte: Es gibt erstens immer noch nicht genügend Impfstoff, teilweise bekommt eine Praxis nur ein Fläschchen pro Woche. Und zweitens ist der bürokratische Aufwand enorm, wir verbrauchen quasi ganze Wälder, so viele Papiere müssen ausgedruckt, unterzeichnet und abgeheftet werden. Das ergibt inhaltlich keinen Sinn, die Leute wollen geimpft werden, nicht neun Zettel unterschreiben.

Wie viele Patientinnen und Patienten kommen mit dem Wunsch zu Ihnen, mit Biontech und nicht mit AstraZeneca geimpft zu werden?
Erstmal sind die Menschen sehr dankbar, dass sie jetzt überhaupt bei uns geimpft werden können. Die Stimmung ist total gut, das spiegelt sich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wider. Aber hin und wieder kommt es zu Enttäuschungen: Entweder, weil ein Impftermin mangels Stoffs kurzfristig wieder abgesagt werden muss. Oder weil sich jemand für Biontech angemeldet hat und dann doch AstraZeneca bekommt.

Ulrich Weigeldt Quelle: PR

Können Sie Ihren Patientinnen und Patienten die Sorge vor AstraZeneca nehmen?
Ja, in den meisten Fällen schon, obwohl die Sorgen teilweise schon sehr groß sind. Aber das ist eben der Vorteil bei den Impfungen durch die Hausärzte. Hier ist die Vertrauensbasis viel größer als in einem vergleichsweise anonymen Impfzentrum.

Wie kommen Sie gegen die AstraZeneca-Skepsis an?
Ich weise immer darauf hin, dass ich auch mit AstraZeneca geimpft bin, den Impfstoff sehr gut vertragen habe und auch jederzeit meine Familie damit impfen würde. Zumal AstraZeneca ja gerade für ältere Menschen Vorteile dadurch hat, dass der Immunstatus schneller aufgebaut ist.

Wäre es dann besser, die Hausärzte eher mit AstraZeneca zu beliefern statt mit Biontech?
Nein, die Praxen sollten alle verfügbaren und zugelassenen Impfstoffe verimpfen können. Dadurch können wir Tempo machen, denn wir Hausärzte können durch den engen Kontakt mit den Patienten sehr gut zuordnen, welcher Impfstoff für wen geeignet ist. Ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis, dazu weitaus größere Impfstoffmengen als bisher – auf diese Weise können wir den Turbo zünden. Wir dürfen auch keine Zeit verlieren, denn je mehr Menschen geimpft sind, desto größer wird womöglich auch die Impfmüdigkeit bei den Nicht-Geimpften. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Impffreudigkeit dadurch gestärkt wird, dass Geimpfte wieder schnell ihre Freiheiten zurückgewinnen.

Wie groß der Fortschritt ist, kann aber nur durch das richtige Monitoring überprüft werden. Das ist aber bei den Hausärzten nicht so genau wie bei den Impfzentren, da Sie nur angeben müssen, ob jemand über oder unter 60 Jahre alt ist und welchen Impfstoff Sie verimpft haben – dadurch fehlt der genaue Überblick zur Alters- und Priorisierungsgruppe. Warum haben Sie kein Interesse an der Daten-Dokumentation?
Es geht nicht ums Interesse, sondern um den Aufwand, der damit verbunden ist. Wir melden am Ende eines Impftags über ein Webportal an die Kassenärztlichen Vereinigungen, ob jemand Ü60 oder U60 war, dazu den Impfstoff. Die Vereinigungen geben das dann an die Kassenärztliche Bundesvereinigung weiter, und diese meldet es dem Robert Koch-Institut (RKI). Das ist relativ unproblematisch. Aber wenn wir jetzt noch all die anderen Daten dokumentieren müssten, dann würde das zu viel Zeit kosten, die wir besser in das Impfen und den Schutz unserer Patienten investieren.



Nun, es gehört zu den Aufgaben des RKI, den Impffortschritt zu überwachen. Je mehr Daten vorliegen, desto genau kann das Tempo überprüft und gegebenenfalls nachgesteuert werden.
Am Ende des Quartals erfolgt bei uns die Abrechnung an die Kassenärztlichen Vereinigungen, da sind dann alle wesentlichen Daten drin. Aus meiner Sicht reicht das aus, ein tägliches Update ist nicht notwendig.

Trotz der Einschränkungen bei AstraZeneca und möglicherweise auch bei Johnson & Johnson bleibt die Regierung an ihrem Versprechen fest, dass bis Ende September alle Bürgerinnen und Bürger ein Impfangebot bekommen sollen. Ist das realistisch?
Versprechungen aus der Politik beeindrucken mich wenig, aber ich bin in engem Austausch mit der Industrie, die mit enormem Elan und sehr zielgerichtet daran arbeitet, mehr Impfstoff zu produzieren – und auch das Handling für die Praxen leichter zu machen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass das klappt. Skeptisch bin ich allerdings, ob die Impfreihenfolge so beibehalten werden kann.

Wie sollte die Impfpriorität denn geändert werden aus Ihrer Sicht?
Wir müssen uns schnell darüber Gedanken machen, wie wir mit den 6- bis 16-jährigen Kindern und Jugendlichen umgehen. Sie sind die mobilste Altersgruppe, haben die meisten Kontakte – sollen bisher aber als letzte geimpft werden. Das ergibt keinen Sinn, gerade auch mit Blick auf die aktuelle Zunahme der Infektionen in den Kitas und Schulen. Deshalb sollte die jüngste Altersgruppe vorgezogen werden beispielsweise vor den 50- bis 60-Jährigen, denen es nicht so viel ausmachen dürfte, sich noch etwas länger einzuschränken und Couch-Potato zu sein.

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Aber bisher ist der Impfstoff von Biontech noch nicht zugelassen für die Altersgruppe, der US-Immunologe Anthony Fauci rechnet damit im ersten Quartal 2022 – bis dahin sollten doch alle Erwachsene ein Impfangebot bekommen haben?
Sicher muss der Impfstoff für Kinder und Jugendliche erst mit der gebotenen Sorgfalt geprüft und zugelassen sein, aber die ersten Studien laufen, und ich rechne mit einer früheren Zulassung als 2022. Der Kindernotruf verzeichnet 30 Prozent mehr Anrufe als vor der Pandemie, die Kinder leiden unter den Schulschließungen. Deshalb sollten wir die Debatte um die Priorisierung nicht erst dann führen, wenn die Studien durch sind, sondern vorbereitet sein. Ich gehe auch davon aus, dass der Ethikrat sich positiv zu einer solchen Debatte äußern wird.

Mehr zum Thema: Viele deutsche Firmen wollen im Haus impfen. Im Juni sollen die Betriebsärzte dafür Impfstoff erhalten, verkündet Jens Spahn. Deutschlands oberste Betriebsärztin erklärt, wie die Organisation von Impfungen in Unternehmen gelingt.

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