Ulrich Weigeldt ist Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Der Facharzt für Allgemeinmedizin arbeitet als niedergelassener Hausarzt in Bremen.
WirtschaftsWoche: Herr Weigeldt, wer hier in Berlin einen Termin beim Hausarzt braucht, muss oft quasi betteln für einen dringenden Termin, bei weniger dringenden Fällen lange warten. Wie wollen Sie angesichts dieser Überlastung jetzt noch das Impfen übernehmen?
Ulrich Weigeldt: Ich weiß ja nicht, wo Sie Ihre Termine machen, aber so lange müssen Patienten in der Regel nicht auf Ihren Hausarzt warten.
Dann sind die Impfungen für Sie neben den normalen Patienten gut zu schaffen?
Impfen ist für uns Routine, jede Saison impfen wir 20 Millionen Menschen gegen Grippe, dazu kommen noch weitere Impfungen wie Tetanus und Diphterie. Unsere Patienten lassen das auch lieber bei uns machen als bei Fremden, deshalb ist es gut, wenn wir jetzt endlich loslegen können.
Bereits Ende März sollen Sie routinemäßig Schutzimpfungen anbieten, heißt es im Bund-Länder-Beschluss vom 3. März. Sind Sie tatsächlich startklar?
Was heißt hier bereits? Wir haben schon im Herbst gesagt, dass wir bei der Impfkampagne eingebunden werden wollen. Die Impfzentren sind auch deswegen entstanden, weil es anfangs mit dem Biontech-Impfstoff, der bei minus 70 Grad gekühlt werden muss, nicht anders ging. Aber jetzt hat sich gezeigt, dass der Impfstoff nach dem Auftauen fünf Tage im Kühlschrank gut haltbar ist. Und das Vakzin von AstraZeneca ja sowieso. Aber dieser Impfstoff liegt jetzt leider in großen Mengen ungenutzt in den Zentren, während bei uns am Ende des Tages in der Regel keine einzige Dosis übrig wäre.
Was macht Sie da so sicher?
Erstmal haben wir eine andere Vertrauensbasis zu unseren Patienten. Wenn wir ihnen versichern, dass der Impfstoff wirksam und sicher ist, und wir damit sogar selbst geimpft sind, dann werden viele auch keine Vorbehalte mehr haben. Und dazu kommt die ganze Bürokratie. Wenn im Impfzentrum jemand absagt, findet das Callcenter nicht unbedingt einen Ersatz. Dann verfällt der Termin. Wir hingegen haben den direkten Draht zu unseren Patienten und rufen so lange durch, bis jemand Zeit hat.

Wie viele Patienten könnten die Hausärzte pro Woche impfen?
Wir sind 50.000 Hausärzte, dazu kommen Gynäkologen und Kinder- und Jugendärzte, die auch Eltern mitimpfen könnten. Wenn jede Praxis im Schnitt zehn Patienten pro Tag schafft, dann schaffen wir sicher 2,5 Millionen Menschen pro Woche.
Klingt beeindruckend. Wie lange brauchen Sie denn pro Impfung etwa?
Vielleicht 20 Minuten, je nachdem, wie groß der Aufklärungsbedarf ist. Die Impfung selbst dauert nur wenige Sekunden, dazu kommen 15 Minuten Nachbeobachtung und schließlich auch die Bürokratie.
Die Hausärzte sollen die Daten zu den Impfungen „eigenständig“ ans Robert Koch-Institut (RKI) melden, heißt es im Bund-Länder-Beschluss. Sind tatsächlich alle Praxen digital entsprechend ausgestattet?
Das sollte noch einmal dringend mit uns besprochen werden – denn der Aufwand wird nur händelbar sein, wenn der ganze Ablauf unserem bisherigen Impfprozess möglichst ähnlich ist. Wir notieren im Impfpass der Patienten selbstverständlich den Tag der Impfung sowie die Charge, mit der Kasse wiederum rechnen wir am Ende des Quartals die Leistung ab. Denkbar ist auch, eine Liste zu führen, wie viele Patienten man pro Tag mit welchem Impfstoff geimpft hat. In Schweden gibt’s dafür eine tolle App, aber eine Standleitung zum RKI werden wir sicherlich nicht legen.
Um den Impffortschritt verfolgen zu können, müssen die Länder täglich die Zahl der Impfungen ans RKI melden, in dieses Monitoring dürften Sie jetzt eingebunden werden?
Ich bezweifle den Nutzen. Wenn wir jetzt Stunden damit verbringen sollen, Daten irgendwo einzugeben, dann müssten die Praxen zusätzliches Personal einstellen. Anders ist das kaum zu bewältigen – denn nur weil es Corona gibt, sind die anderen Krankheiten ja nicht ausgestorben.
Sie klingen jetzt recht genervt von dem Aufwand?
Es geht mir um die richtigen Prioritäten. Großbritannien, die USA, Israel machen es uns vor, wie es geht. Bei uns aber ist es immer wieder die Bürokratie, die alle Fortschritte ausbremst, dieser Kontroll- und Dokumentationswahn, der vielerorts entstanden ist. Alle mussten sich in der Pandemie an die neuen Bedingungen anpassen, mussten so flexibel sein wie teils noch nie zuvor im Leben – nur die Bürokratie, die passt sich gar nicht an. Was wir jetzt brauchen, sind geimpfte Menschen: So schnell wie möglich. Und so viele wie möglich.
Fühlen Sie sich dabei vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn unterstützt?
Ich will das nicht auf eine Person oder ein Ministerium runterbrechen. Aber da sitzen Runden zusammen, die sich von unterschiedlichsten Experten beraten lassen, nur nicht von denjenigen, die am Ende die Arbeit machen.
Sind Sie denn jetzt in die Erarbeitung der „nationalen Teststrategie“ mit einbezogen, die vorsieht, dass auch Hausärzte mehr Menschen testen sollen?
Strategie ist ein großes Wort. Wir testen gerne unsere Patienten, aber unsere Praxen können sicher keinen Tag der offenen Tür für alle anbieten. Die Testzentren haben hier möglicherweise größere Kapazitäten.
Was halten Sie von den Selbsttests, die es jetzt heute auch bei Discountern zu kaufen gibt?
Die Selbsttests für zu Hause sind nach entsprechender Anleitung auch eine gute Sache. Man sollte den Menschen ruhig mehr zutrauen, die allermeisten haben sich bisher verantwortungsvoll verhalten und werden das sicher auch weiterhin tun, also bei ihrem Arzt anrufen, wenn sie einen positiven Schnelltest haben. Wir müssen jetzt einfach vorankommen. Jeder Tag zählt.
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