Es klingt wie eine gute Nachricht: Im Juni ist die Teuerungsrate in Deutschland erstmals seit Monaten gesunken. Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamts kletterten die Verbraucherpreise um 7,6 Prozent – nach 7,9 Prozent im Vormonat. Haben wir also das Schlimmste hinter uns?
Die Antwort lautet: nein. Für Entwarnung ist es noch viel zu früh. Zum einen dürften im Juni statistische Sondereffekte wie der temporäre Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket eine Rolle gespielt haben, die sich ab September verflüchtigen werden. Zu den konkreten Preiseffekten dieser Staatshilfen will sich das Bundesamt am 13. Juli äußern.
Zum anderen haben sich die Inflationserwartungen in Deutschland gefährlich verfestigt. Experten erwarten, dass mindestens bis Jahresende bei der Inflation eine 7 vor dem Komma stehen wird. Danach dürfte sich die Lage zwar etwas entspannen, doch das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2,0 Prozent bleibt in weiter Ferne. „Das Thema Inflation wird uns noch mindestens bis 2025 beschäftigen“, warnt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank. Eine aktuelle Umfrage der Bank bei deutschen Sparkassenvorständen hat ergeben, dass 70 Prozent der Geldmanager in den kommenden fünf Jahren eine Teuerung von über drei Prozent erwarten.
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
Mehr noch: Die Volkswirte der DekaBank haben auch die so genannte „gefühlte Inflation“ der Konsumenten ermittelt – und die ist auf den historischen Rekordstand von fast 18 Prozent gestiegen. Das Konzept geht auf den Statistiker Hans Wolfgang Brachinger (1951-2011) zurück und nimmt im Warenkorb, auf den sich die Inflationsmessung bezieht, eine andere Gewichtung vor.
Vereinfacht ausgedrückt: Für die Inflationsrate entscheidend sind jene Produkte, die Verbraucher besonders häufig im Einkaufswagen haben und bei denen sie steigende Preise unmittelbar bemerken – zum Beispiel Nahrungsmittel. Die DekaBank hat in ihrer Modellrechnung auf Basis dieser Methodik alte Zeitreihen ökonometrisch fortgeschrieben. Ihren bisherigen Spitzenwert in den vergangenen 20 Jahren hatte die gefühlte Inflation bisher 2008/2009 mit gut zwölf Prozent erreicht.
Das ist mehr als statistische Spielerei: Gefühlte Inflation hat besonders schnelle Auswirkungen auf das individuelle Kaufverhalten der Bürger. Nicht von ungefähr ist das Konsumklima in den vergangenen Wochen geradezu eingebrochen. Der vom Forschungsinstitut GfK ermittelte Konsumklimaindex für Juli ist auf minus 27,4 Punkte abgesackt – der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung für Gesamtdeutschland im Jahr 1991. „Der konjunkturelle Anschubeffekt durch die Aufhebung der Coronarestriktionen ist schon wieder vorbei“, glaubt Ökonom Kater: „Wir gehen schwierigen Zeiten entgegen“.
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