Virtual Reality Unterschätzt bloß nicht Apples neue Brille

Apples Vision Pro Quelle: REUTERS

Die Resonanz auf Apples neue Cyberbrille Vision Pro ist verhalten – völlig zu Recht. Und dennoch wird der Konzern damit die IT-Welt verändern. Wieder einmal. Ein Kommentar.

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Wie sich die Kommentare gleichen: Uninspiriert, wenig innovativ und überteuert – viele Reaktionen auf die neue Cyberbrille Vision Pro, die Apple-Chef Tim Cook am Montagabend vorgestellt hat, klingen seltsam vertraut. Sie erinnern frappant an den Spott, den Apple-Chef Tim Cook im März 2015 einstecken musste. Oder an die höhnischen Kommentare mancher Kritiker, die Apple-Gründer Steve Jobs bei der Vorstellung des ersten iPhones 2007 zu hören bekam.

Tatsächlich eint die rund 3500 Dollar teure Vision Pro weit mehr als der prohibitiv hohe Preis sowohl mit der ersten, damals bis zu 1250 Euro teuren Apple Watch, als auch jenem mindestens 500 Dollar teuren Smartphone, mit dem Jobs gegen den uneinholbar scheinenden Handy-Dominator Nokia antrat. Beide Apple-Neuheiten boten – jedenfalls funktional – kaum etwas, was die etablierten Anbieter nicht auf die eine oder andere Weise in ihren Produkten auch schon integriert hatten.

Im Grundsatz ist das bei der für den Einsatz in erweiterten oder virtuellen Realitäten (AR und VR) konzipierten Vision Pro nicht anders. Ja, die Displays sollen höher aufgelöste Bilder darstellen können. Ein spezieller, selbst entwickelter Grafikchip soll besonders flüssige Animationen bei minimaler Verzögerung im Bildaufbau erlauben. Aber das leisten die Virtual-Reality-Brillen etablierter Konkurrenten, von Meta über Sony bis zu HTC Vive, im Wesentlichen auch.

Und doch sollte niemand, schon gar nicht die Facebook-Mutter Meta als derzeit mit Abstand größter Anbieter von Cyberbrillen, die Fehler der Apple-Konkurrenten aus der Vergangenheit wiederholen und das Disruptionspotenzial des Konzerns aus Cupertino unterschätzen. Wem nicht schon Nokias Niedergang in der Handywelt Warnung genug ist, der schaue auf die Marktentwicklung bei Smartwatches. 



Fitbit, beim Start der Apple Watch mit uneinholbar scheinendem Abstand Marktführer bei vernetzten Uhren, wurde 2021 von Google übernommen, das bis heute bei Smartwatches keinen Fuß auf den Boden bekommt. Samsung als aktuelle Nummer Zwei im Markt kratzt seit Jahren an zehn Prozent Marktanteil. Apple hingegen, der Spätstarter, dominiert heute mit rund einem Drittel des Smartwatch-Absatzes den weltweiten Markt der Wearables.

Ermöglicht hat das weniger das ikonische, inzwischen zigfach kopierte Design der Uhr, als vielmehr die nahtlose Integration in die Produktwelt aus Apples vernetzter Hard- und Software. Und, vor allem, der unbändige Innovations- und Investitionswillen, gepaart mit den immensen finanziellen Ressourcen des bald wieder mit drei Billionen Dollar bewerteten Konzerns.

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Mit genau dieser Strategie – die das iPhone (über mehrere Jahre und eine ganze Reihe von Entwicklungsstufen) zum Trendsetter der Handywelt und die Apple Watch zur Messlatte bei Wearables hat werden lassen – wird Apple-Chef Cook nun im Wachstumsmarkt der Computerbrillen vorgehen. Der Absatz werde bereits bis 2027 von zuletzt knapp neun Millionen auf dann mehr als 31 Millionen Stück steigen, prognostizieren die Marktforscher von IDC. 

Das ist mit den Absatzzahlen von Smartphones nicht zu vergleichen. Allein Apple setzte 2022 weltweit knapp 240 Millionen iPhones ab. Zumal, neben dem abschreckend hohen Preis, auch die Bauform der aktuellen Vision Pro ausschließt, dass ein Gerät dieser Größe die Verbreitung des iPhones erreicht. Doch Apples neue Brille ist erst der Anfang. Die Ausdauer und die Entschlossenheit, ein Produkt zu perfektionieren, sollten Kritiker und Konkurrenz nicht erneut unterschätzen. Meta, so viel ist klar, muss sich warm anziehen.

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