Vor Klimakonferenz Ökonom rügt Lebensstil vieler Bürger: „Wie ökologische Vandalen“

Aller Warnungen zum Trotz wachse die Nachfrage nach dekadentem Luxus am stärksten. Nur radikaler Verzicht könne deshalb noch Abhilfe schaffen, meint der Forscher.

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Forscher warnen davor, dass unumkehrbare Folgen der Erderwärmung schon wesentlich früher eintreten können, als bisher angenommen. Quelle: dpa

Der Siegener Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech bescheinigt vielen Bürgern, sich über die fatalen umweltschädlichen Folgen ihres Lebensstils selbst zu täuschen. Inmitten der Klagerufe über die Klimakrise wachse ausgerechnet die Nachfrage nach dekadentem Luxus am stärksten, der einen immensen Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase mit sich bringe, sagte der Ökonom von der Universität Siegen der Deutschen Presse-Agentur.

„Das sind Kreuzfahrten, das sind SUVs, das ist der Luftverkehr, die Digitalelektronik und die Nachfrage nach noch mehr Wohnraum.“ Dies sei reiner Komfort, der sich nicht als Befriedigung essenzieller Grundbedürfnisse rechtfertigen lasse. „Hier offenbart sich die Lebenslüge einer Gesellschaft, deren Mehrheit meint, sie sei klimakompetent, aber lebt wie ökologische Vandalen.“

Paech sagte, nötig sei ein radikales Umsteuern, um den Ausstoß von Treibhausgasen schnell drastisch zu senken. Seit Jahrzehnten werde versucht, das Wirtschaftswachstum von Umweltschäden aller Art zu entkoppeln. „Und wir haben nichts, aber auch gar nichts erreicht.“

Unabdingbar sei daher nun nicht nur eine Wirtschaft ohne Wachstum, sondern ein Rückbauprogramm. Das sei aber kein Marsch in die Askese oder ins Mittelalter, sondern könne verstanden werden als eine Befreiung vom Überfluss.

„Vordringlich ist der Rückbau einer Mobilität, die mit dekadentem Luxus korrespondiert und dabei Massen an Öl verbraucht. Es gibt kein Menschenrecht darauf, eine Kreuzfahrt zu buchen. Es gibt kein Menschenrecht darauf, Urlaub mit dem Flugzeug zu machen.“ Es existierten aber unendlich viele Möglichkeiten, hier in Europa Urlaub ohne Kerosin zu verbringen. 

„Unheilvoller Weg in die Erderwärmung“

Der Zeitpunkt, an dem die Folgen der Erderwärmung nicht mehr rückgängig zu machen sind, könnte unterdessen schneller kommen als bisher gedacht. Davor haben sieben Klimaforscher in einem Kommentar im Fachblatt „Nature“ kurz vor der Klimakonferenz in Madrid gewarnt. Darunter waren Johan Rockström und Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie dessen ehemaliger Leiter Hans Joachim Schellnhuber.

Sie mahnen, dass sogenannte Kipppunkte im Erdsystem früher eintreten könnten als bisher angenommen und Kettenreaktionen zur Folge hätten. Die Kipppunkte bezeichnen Veränderungen in einem System mit unumkehrbaren Folgen für das globale Gleichgewicht, zum Beispiel ein nicht mehr zu stoppendes Abschmelzen der Polkappen oder die Zerstörung von Korallenriffen.

Vor knapp zwei Jahrzehnten ging der Weltklimarat IPCC noch davon aus, dass dafür eine Erderwärmung von fünf Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter nötig wäre. Nun betonen die Klimaforscher, dass Kipppunkte nach neuesten Erkenntnissen des Weltklimarates IPCC schon bei 1 bis 2 Grad Temperatursteigerung überschritten werden können. „Die Erwärmung muss bei 1,5 Grad begrenzt werden“, betonen die Autoren.

Außerdem seien bereits erste Anzeichen für einen Dominoeffekt beobachtet worden. Beispielsweise zeige sich, dass der Eisverlust in der Arktis die Erwärmung der Region verstärke. Diese Erwärmung und das schnellere Schmelzen der Gletscher auf Grönland könnten wichtige Meeresströmungen im Nordatlantik beeinflussen. Das wiederum habe Auswirkungen auf ganz andere Erdteile und führe zum Beispiel zu Trockenheit und Baumsterben in der Amazonas-Region oder zur Destabilisierung des Monsuns in Westafrika.

Schellnhuber warnt vor einem „unheilvollen Weg in die Erderwärmung“. Dieser sei „mit Kipppunkten gepflastert, von denen einige vielleicht schon überschritten wurden“. Nun seien internationale Aktionen und nicht nur Worte nötig, schreiben die Forscher.

Mehr: Am kommenden Montag beginnt die Weltklimakonferenz in Madrid. Wie dringend gehandelt werden muss, zeigt ein Bericht über den Klimawandel in Deutschland.

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