Whistleblower Die Lüge vom deutschen Saubermann

Justizministerin Katarina Barley stellt sich gegen den von EU-Parlament und EU-Kommission geforderten Schutz von Whistleblowern Quelle: imago images

Justizministerin Barley torpediert den von EU-Parlament und EU-Kommission geforderten Schutz von Whistleblowern. Damit erweist sie Bürgern, Wirtschaft und Justiz einen Bärendienst – und verprellt ihre Wähler.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Deutschlands größter Industriekonzern, Volkswagen, hat den wohl teuersten Wirtschaftsskandal aller Zeiten zu verantworten. Deutschlands größtes Finanzhaus, die Deutsche Bank, versinkt gerade im wahrscheinlich gigantischsten Skandal der Branche, weil die Deutschbanker bei der Geldwäsche der Danske Bank die Finger im Spiel hatten. Bei Volkswagen wie bei der Deutschen Bank sind diese Skandale nicht die ersten, nur eben die bislang schlimmsten – beide Häuser haben eine reiche Geschichte frappierender Verfehlungen. Entsprechend mickrig ist heute ihr Wert an der Börse.

Es passt so gar nicht zum Law-and-Order-Verständnis vieler Deutscher, ist aber leider so: Wir sind nicht so gesetzestreu, wie das Image des peniblen Deutschen es eigentlich vorsieht. Unsere namhaftesten Konzerne scheiterten krachend an Recht, Gesetz und Anstand und viele andere auch. Korruption bei DFB und FIFA, gepanschte Krebsmedikamente in der Apotheke, Ekelfleisch in Wurst und Döner, Milliarden Euro in Steueroasen. Und so weiter.

Die Dieselsauereien bezahlen Kinder mit verkümmerten Lungen und Autobesitzer mit hohen Wertverlusten, die Profitgier in der Apotheke ließ Krebskranke vergeblich auf Heilung hoffen, die Unfähigkeit der Deutschen Bank, Gesetze einzuhalten, kostete auch Kleinaktionäre und Rentner unterm Strich Milliarden. Die entgangenen Steuermilliarden von Steuerflüchtigen fehlen im Bundeshaushalt.

Aber, auch das gilt für die erwähnten Beispiele: Es gab immer ein paar Aufrechte in Unternehmen oder Banken, die vor den Umtrieben warnten oder sie später enthüllten, mutige Hinweisgeber also, auch Whistleblower genannt. Deutsche Staatsanwälte räumen ein, dass sie ohne solche Whistleblower nicht nur viele Verbrechen in Unternehmen nicht aufklären könnten – sie würden sie oft noch nicht mal entdecken. Denn anders als etwa bei Gewaltverbrechen sind die Tatwaffen der Wirtschaftskriminalität oft kaum aufzuspüren, sind vertrauliche E-Mails, tief verborgen im Firmenarchiv, oder gut getarnte Buchungen auf ausländischen Konten.

Trägt Barley die Hinweisgeber dank deren Schlüsselrolle für den Rechtsstaat auf Händen und gewährt ihnen den besten Schutz vor Racheaktionen bloßgestellter Manager? Schlägt sich die SPD-Politikerin auf die Seite von Arbeitnehmern, die sich übermächtige Firmen zum Feind machen und bei ihrem Kampf um Gerechtigkeit in den meisten Fällen den Job verlieren? Setzt sich Barley in Europa für mehr Whistleblowerschutz ein, weil gerade deutsche Konzerne auf spektakuläre Weise gezeigt haben, wie nötig aufrechte und aufmerksame Mitarbeiter sind? Fördert die Justizministerin die wohl effizientesten Bekämpfer der Wirtschaftskriminalität, die Deutschland jedes Jahr Milliarden kostet und die im vergangenen Jahr den höchsten Stand seit fünf Jahren erreichte? Respektiert Barley, die auch Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl ist, die Forderung des EU-Parlaments für einen starken Whistleblowerschutz?

Die Antwort ist einfach: Nein. Fünf Mal nein.

Wer intern anzeigt, liefert sich dem Unternehmen aus

Ausgerechnet eine deutsche Sozialdemokratin ist es, die derzeit einen von Europaparlament und EU-Kommission mühsam ausgearbeiteten Kompromiss für einen besseren Schutz von Whistleblowern torpediert. Im Kern geht es um die Frage, ob Whistleblower Verstöße im Unternehmen melden müssen, oder ob sie sich auch direkt an Behörden oder die Öffentlichkeit wenden dürfen. Barley will die interne Meldepflicht vorschreiben und höhlt damit den gesamten Whistleblowerschutz aus.

Denn wer intern anzeigt, liefert sich dem Unternehmen aus und kann nur hoffen, dass es sich nicht gegen ihn wendet oder den Fall nicht einfach totschweigt. Beides ist eher die Regel als die Ausnahme, wie Wissenschaftler, Whistleblower und Juristen berichten. Nur einer Fraktion ist mit der Barley-Logik scheinbar gedient: den Unternehmen. Sie wollen beim Whistleblowing die komplette Kontrolle haben. Und sie wissen, dass die interne Meldepflicht viele Whistleblower abschreckt. Das aber dient den Unternehmen eben nur scheinbar. Starke Whistleblower helfen den Firmen dabei, auf dem Pfad der Tugend zu wandeln. Nichts diszipliniert Manager mit dem Hang zum Tricksen mehr als die Angst, von Mitarbeitern enttarnt zu werden.

So würde VW etwa sich heute wünschen, vor zehn Jahren einen selbstbewussteren, rechtlich besser geschützten Whistleblower gehabt zu haben. Denn der Whistleblower, den es nach Recherchen der WirtschaftsWoche gab, meldete sich Jahre vor Dieselgate wegen Abgasmanipulationen bei einer internen Meldestelle. Und eben nur dort, so wie es die internen Regeln vorsahen. Es passierte, was zu erwarten war: nichts. Die Quittung bekamen die Wolfsburger Jahre später mit dem Dieselskandal und mindestens 30 Milliarden Euro Schaden.

Die EU hat unlängst einen höheren Schutz von Firmengeheimnissen beschlossen. Diese neue Richtlinie sieht vor, dass selbst Rechtsverstöße von Managern ein Firmengeheimnis sein können, das Mitarbeiter nicht ausplaudern dürfen. Diese Einschränkung vor Arbeitnehmerrechten, von Whistleblowern und nicht zuletzt von Medien, die über solche Fälle berichten möchten, hat die EU zustande gebracht. Die lange überfällige Richtlinie für einen besseren Schutz von Whistleblowern dagegen könnte in diesen Tagen sterben, und das vor allem wegen der Gegenwehr der deutschen Justizministerin. Wenn es vor der Europawahl keine Einigung mit dem EU-Parlament gibt, wird die EU das Vorhaben vielleicht für Jahre nicht mehr anpacken. Das wäre dann ein neuer Tiefpunkt im Umgang mit Whistleblowern.

Es gibt wohl keinen eleganteren Weg, Steuerflucht von Konzernen, die organisierte Kriminalität oder den Betrug von Verbrauchern und Sparern zu bekämpfen, als starke Whistleblower. Das ist keine bloße Meinung, das haben mutige Whistleblower in Deutschland bewiesen, das predigen Top-Ökonomen und dem trägt das Rechtssystem in den USA schon seit über 100 Jahren auf eindrucksvolle Weise Rechnung. Whistleblower werden dort sogar finanziell entlohnt.

Katarina Barley aber sieht es anders, schlägt sich lieber auf die Seite geheimniskrämerischer Konzerne. Die SPD-Wahlkämpferin kann nur hoffen, dass ihr die sozialdemokratische Klientel da noch folgen kann.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%