Wirtschaftsweise über Habecks Agenda „Wir könnten viel mehr Ökostrom aus Nachbarstaaten importieren“

Die Ziele, die sich die neue Bundesregierung bei der Energiewende setzt, sind extrem ambitioniert. Quelle: imago images

Der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck will der Energiewende neuen Schwung verleihen. Wie kann das gelingen? Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm über Artenschutz, heikles Gas und Linderung für teure Stromrechnungen.

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Veronika Grimm ist Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung.

WirtschaftsWoche: Frau Grimm, darf man Robert Habeck um sein neues Amt beneiden? Oder muss man den neuen Wirtschaftsminister angesichts der gewaltigen Aufgaben nicht eher bemitleiden?
Veronika Grimm: Jedenfalls übernimmt er das Wirtschafts- und Klimaressort in absolut spannenden Zeiten. Kein Grund zum Mitleid, im Gegenteil: Wir haben in den vergangenen Jahren einen Paradigmenwechsel erlebt. Das Ziel der Klimaneutralität wird kaum mehr von jemandem in Frage gestellt, es herrscht ein ganz anderer Spirit als noch vor einigen Jahren. Die EU treibt ihren Green Deal voran, eigentlich alle relevanten Industrienationen bekennen sich zu einer klimaneutralen Lebens- und Wirtschaftsweise in wenigen Jahrzehnten.

Kein Aber?
Doch, doch. Denn die Ziele, die sich die neue Bundesregierung bei der Energiewende setzt, sind extrem ambitioniert. Und in den vergangenen Jahren hat man sich mit einer Vielzahl an kleinteiligen Maßnahmen zu sehr am jeweils Machbaren orientiert. Die drängenden Aufgaben sind also entsprechend anspruchsvoll.
(Lesen Sie hier unsere Analyse, was Verbraucher 2022 bei den Energiepreisen erwartet)

Fangen wir mit den Energiepreisen an, die gerade steil nach oben klettern. Ist es mit einer Finanzierung der EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt ab 2023 getan?
Kurze Antwort: nein. Die Bundesregierung könnte und sollte mehr machen. Die Übernahme der EEG-Umlage wäre bereits vor 2023 möglich. Und die Stromsteuer könnte auf das EU-Mindestniveau gedrückt werden.

Nächste Baustelle: der Ausbau der Stromnetze kommt seit Jahren nicht richtig voran.
Weshalb hier in der Tat Tempo nicht nur versprochen werden darf, da muss jetzt Tempo rein. Die notwendigen Beschleunigungen der Planungs- und Genehmigungsverfahren sind aber richtig dicke Bretter – und viele Maßnahmen unpopulär. Nehmen Sie als Beispiel den Artenschutz: In Zukunft dürfte die Gefährdung einzelner Tiere – etwa bei neuen Windrädern – nicht mehr ausreichen, um Projekte zu stoppen. Hier wird Habeck als Grüner Konflikte mit der eigenen Klientel austragen müssen.

Nicht nur mit ihr. Auch Anwohner wollen Stromleitungen oder Rotoren am Horizont vielerorts verhindern. Frühe und digitale Bürgerbeteiligung bringt die Widerstände nicht zum Verschwinden.
Die Herausforderung hat zwei Seiten. Das eine ist die Kommunikation: Wie mache ich Bürgerinnen und Bürgern das übergeordnete gesellschaftliche und wirtschaftliche Interesse deutlich, damit die Akzeptanz steigt? Da ist politische Führung gefragt. Das andere sind konkrete rechtliche Änderungen: Bisher konnten Gegner von Projekten gezielt auf Zeit spielen; etwa, indem sie Klagen strategisch nacheinander einreichten. Künftig sollte das nur zu einem Zeitpunkt gebündelt möglich sein.



Unter Druck steht Habeck auch bei der EU-Taxonomie, also der Frage, ob Gas als nachhaltige Energieerzeugung eingestuft wird. Viele Umweltverbände protestieren vehement dagegen.
Es könnte allerdings kontraproduktiv sein, Gas auszuschließen. Denn was würde passieren? Gaskraftwerke werden schließlich als Brücke in den kommenden zehn, zwanzig Jahren trotzdem gebraucht, nur dürften sich dann – zum Beispiel durch Risikoprämien – die Investitionskosten erhöhen. Am Ende würde nur mehr staatliche Förderung nötig, um die Versorgungssicherheit nach Abschalten der Kohlekraftwerke 2030 zu gewährleisten. Das dürfte den Bundeshaushalt unnötig belasten. Gas auszuschließen wäre also ein symbolischer Akt, der die Energiewende am Ende nur verteuert.

Noch ein Konfliktpunkt ist der Ausbau von Windkraft an Land. Die Ampel will zwei Prozent der Landesfläche für Anlagen reservieren – das dürfte in vielen Bundesländern auf Widerstand stoßen.
Am massiven Ausbau der Erneuerbaren führt allerdings kein Weg vorbei. Und das schließt alle Bundesländer mit ein, praktische Ausnahmen wären wohl nur für die drei Stadtstaaten unumgänglich. Wichtig dabei: Dezentrale Versorgung nimmt auch Druck vom erforderlichen Netzausbau. Nur mit Strom aus Offshore-Windparks vor der Küste wird das Industrieland jedenfalls nicht betrieben werden können.

Dann müssten umstrittene Bestimmungen wie die 10H-Regel in Bayern, wonach der Abstand eines Windrades zu Häusern das zehnfache der Anlagenhöhe betragen muss, aber fallen. Oder?
Mit solchen Regeln kann sicherlich kein Zwei-Prozent-Ziel erreicht werden.



Nun sollen nach dem Willen der Ampel bis 2030 satte 80 Prozent des Stroms aus grünen Quellen stammen. Nach all dem, was Sie skizziert haben: Kann das wirklich klappen?
Das sind überaus ehrgeizige Ziele, keine Frage. Es würde deshalb sehr helfen, wenn die nationale Politik zügig auch den Blick über die Landesgrenzen wagen würde, aber ohne die Ambitionen im Inland herunterzuschrauben. Wir müssen die Synergien innerhalb der EU heben und könnten viel mehr Ökostrom aus Nachbarstaaten importieren. Das hilft den jeweiligen Wirtschaftsstandorten gleichermaßen.

Mehr zum Thema: Robert Habeck will die Industrie umbauen und den Wohlstand mit Sonne, Wind und Wasser befeuern. Wirtschaft plus Klimaschutz plus Transformation – ist das zu viel?

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