Daily Punch Ein Hoch auf die Brüsseler Gas-Kommission

Brüsseler Feuerwerk in der Silvesternacht: Ist das jetzt wirklich grün? Oder nur Schall und Rauch? Quelle: dpa

Das Timing ist kindisch, aber inhaltlich ist es richtig, dass die EU-Kommission mit ihrer Silvester-Taxonomie Gaskraftwerke fördern will. Für die Grünen heißt das: Willkommen in der Wirklichkeit. Ein Kommentar.

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Natürlich ist es kindisch, dass die EU-Kommission ihre Taxonomie-Pläne an Silvester versendet. So eine Verheimlichungstaktik an Festtagen mag zu Zeiten der Brieftauben-Kommunikation funktioniert haben. In Zeiten von Twitter hat sie den gegenteiligen Effekt: Wie eine – in Deutschland freilich weithin geächtete – hell sprühende Silvesterrakete mit unzähligen Sternchen sind die Pläne in den europäischen Neujahrshimmel geschossen, weithin und für alle hervorragend sichtbar. Kommunikativ gesehen ist das Vorgehen der Kommission fahrlässig-absurd.

Nur mit Erdgas gelingt der deutsche Sonderweg ins Grüne

Nur ändert das nichts an den Inhalten des Vorschlags. Aus deutscher Sicht sind die sinnvoll. Denn der Bau von Gaskraftwerken wird, mit Auflagen, in diese „Taxonomie“ mit aufgenommen. Und damit wird Investoren signalisiert: Hier könnt Ihr Euer Geld reinstecken, das passt zu den Klimazielen, das ist okay. Für Deutschland ist das ein wichtiges Signal. Denn zusätzliche Gaskraftwerke, das steht im Koalitionsvertrag, werden in den nächsten Jahren dringend benötigt, um den Ausstieg aus Atomenergie und aus der Kohle zu überbrücken, bis die Erneuerbaren Energien auch Spitzenlasten schnell und zuverlässig abdecken können.

Das ist nicht ideal, aber unvermeidbar. Der nötige Zubau an Kapazität ist enorm. Um den hinzukriegen, sind sichere Investitionsbedingungen nötig, klare Vorgaben für Entgelte – und klar vorgegebene Pfade für einen Umstieg der Werke von Erdgas auf Wasserstoff. Nur so kann der deutsche Sonderweg ins Grüne, gemeinsam mit Unternehmen, gelingen. Auch die EU-Kommission hat das erkannt. Ein Hoch also auf die Brüsseler Gas-Kommission.

Umso erstaunlicher ist es, dass ausgerechnet Klimaminister und Ober-Realo Robert Habeck so sofort und so leidenschaftlich in den Chor jener einstimmte, die die Brüsseler Pläne geißeln. Früher oder später wird er zurückrudern müssen. Ja, klar, in der Taxonomie geht es nicht nur ums Gas, sondern auch um Atomkraftwerke, die unter bestimmten Bedingungen auch als förderungsfähig eingestuft werden. Aus deutscher Sicht ist das absurd, aus Sicht der Grünen ein Pakt mit dem Teufel. Haben wir nicht lange genug über Kosten, Folgeschäden und Ausstieg gestritten? Ist das jetzt alles für die Katz?

Aber hier sieht die politische Wirklichkeit eben auch so aus: Die Deutschen sind mit ihrer absoluten Wette auf die Erneuerbaren allein auf europäischer Flur. Andere, allen voran natürlich die französischen Nuklear-Fans, hängen von der emissionsarmen Atomkraft ab, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Klimaziele zu erreichen. Ist nicht schön. Ist aber so. Die EU-Kommission hat auch diese politischen Gegebenheiten erkannt – und daraus einen Kompromiss formuliert. Man mag das als Kuhhandel bezeichnen. Man kann das aber auch gute Politikgestaltung in Europa nennen, kluge Machtpolitik. Und damit, im Sternchenregen: Ein Hoch auf diesen Realismus.

Lindner zündet ein Berliner Feuerwerk

Natürlich ist es auch für Deutsche riskant, wenn in Europa westlich und östlich der künftig grünen Insel, in unmittelbarer Nachbarschaft, Atomkraftwerke entstehen. Aber noch ist nicht ausgemacht, dass das wirklich geschieht, denn die Deutschen haben immer noch die Chance zu beweisen, dass ihr Sonderweg der richtige ist, die beste aller Welten. Deshalb sollten vor allem die Grünen und ihr Superminister Habeck sich jetzt nicht an Brüssel abarbeiten und versuchen, die Pläne im Grundsatz zu kippen, sondern stattdessen ihre Energie in die Details der Förderung der Gaskraft und der Genehmigungsverfahren für Windräder und Photovoltaikanlagen stecken. Da gibts wahrlich genug zu tun, was ziemlich hellsichtig im Koalitionsvertrag festgehalten ist.

Bemerkenswert ist, dass Finanzminister Christian Lindner zumindest schon mal begrüßt hat, dass Brüssel die Gaskraft für ein gutes Investment für die Energiewende hält. Lindner ist nicht bei den Grünen, beweist aber in der Klimapolitik so einen realistischen Blick und zündet so auch in Berlin zumindest ein kleines, tatsächlich grün sprühendes Feuerwerk. 2022 verspricht also spannend zu werden – auch koalitionstechnisch. Und bisweilen wohl auch ein Knaller.

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