WiWo History
Preußen hatte 1806 eine schwere militärische Niederlage gegen Napoleon hinnehmen müssen und der preußische Staat war faktisch nur noch eingeschränkt handlungsfähig; finanziell und wirtschaftlich lag er am Boden. Quelle: dpa Picture-Alliance

Die Geschichte zeigt: Der Staat kann es eben nicht besser

Ob Industriepolitik, Energieversorgung oder Konsumverhalten: Neuerdings soll der Staat alles richten. Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte: Das ist fast noch nie gut gegangen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Der 1776 veröffentlichte und bis heute überaus einflussreiche Text von Adam Smith über den Wohlstand der Nationen war nicht primär ein theoretischer Entwurf über die moderne Wirtschaft, obwohl er schnell so gelesen wurde. Es war vor allem eine Abrechnung mit der merkantilistischen Wirtschaftspolitik, die den Alltag in fast allen großen europäischen Staaten bestimmte. Die jeweiligen Staaten kontrollierten nicht nur den Außenhandel ihrer Territorien, um den eigenen Nutzen zu mehren und den Interessen ihrer möglichen Konkurrenten massiv zu schaden zu können. Sie mischten sich auch unmittelbar in den wirtschaftlichen Alltag ein, sei es durch Binnenzölle, Handelsvorschriften oder Preis- und Zinstaxen, sei es durch kostspielige Projekte zur Gewerbe- und Handelsförderung, deren Nutzen häufig mehr als umstritten war, sei es schließlich durch weitgehende Produktionsgebote und -verbote.

Das geschah keineswegs immer willkürlich. Dahinter steckte vielmehr ein Konzept, nämlich die Vorstellung, dass allein die Obrigkeit wisse, was – wie die Zeitgenossen sagten – für den „Flor des Landes“ gut sei, eine eudämonische Vorstellung, die staatliches Handeln zum Ankerpunkt des wirtschaftlichen Erfolges erklärte. Unwirksam waren die zahlreichen Vorschriften keineswegs; insbesondere die englischen Navigationsakten, die den Außenhandel des Landes nationalisierten und unter scharfe Kontrolle stellten, trugen maßgeblich dazu bei, die ausländische Konkurrenz, namentlich die Niederlande, von den europäischen und Weltmärkten zu verdrängen, zumindest aber ihre Handlungschancen deutlich zu beschränken.

Smith war kein „Marktradikaler“

Ob derartige Praktiken indes einen positiven wirtschaftlichen Nutzen hatten, ja ob sie den englischen Verbrauchern zu mehr und besseren Gütern bei günstigen Preisen verhalfen, steht auf einem anderen Blatt. Und genau hier setzte die Kritik von Adam Smith an, der gerade bezweifelte, dass der Staat über Wissen und Möglichkeit verfügte, positive ökonomische Effekte zu erzielen. Smith war kein „Marktradikaler“. Den wichtigen Beitrag staatlichen Handelns zur Sicherung des alltäglichen Lebens hätte er kaum bestritten, nur eben im Bereich der Wirtschaft deutlich begrenzt. Denn woher sollte der Staat wissen, welches ökonomische Handeln, welcher Preis und welche Produktionsmenge die angemessene waren. In Smith‘ Augen und ebenso in den Augen der französischen Physiokraten, von denen das Denken des Adam Smith wesentlich beeinflusst worden war, war das schlicht nicht möglich.

Die Obrigkeit, die den ökonomischen Alltag zumeist aus eigener Praxis gar nicht kannte, neigte zu mehr oder weniger weltfremden Entscheidungen mit zum Teil schlimmen, zum Teil ärgerlichen und zum Teil völlig sinnlosen Folgen; teuer war es allemal. Denn der obrigkeitliche Betrieb war aufwendig, er begünstigte Korruption und orientierte sich keineswegs am Nutzen der Produzenten und Verbraucher, sondern verfolgte „höhere Ziele“, namentlich die fiskalische Ausstattung der Herrschaft. Ob das dem Lande ökonomisch nutzte, war dann letztlich gleichgültig, wenn nur der Staatssäckel ordentlich gefüllt war.

Französische Kaufleute waren es vor allem, die aus der Alltagspraxis heraus das obrigkeitliche Handeln scharf kritisierten. Mit fast modernen Argumenten bestritten sie, dass der Staat überhaupt das Wissen besitze, gezielt einzugreifen, geschweige denn die angemessene Bürokratie habe, um das auch effizient tun zu können. „Laissez faire/laissez passer“, die noch heute bekannten Schlagworte einer liberalen Wirtschaftspolitik, waren insofern zunächst auch gar keine theoretischen Einsichten, sondern praktische Forderungen, die Handlungsspielräume der Kaufleute deutlich zu erweitern und dadurch dem Wohlstand der Menschen zu dienen.

Beispiele ökonomischer Unvernunft waren leicht zur Hand

Wenn die Obrigkeiten fast durchweg diesen Forderungen nicht nachkamen, dann taten sie das zumeist mit dem Argument, ihre Untertanen seien gar nicht dazu in der Lage, vernünftig zu handeln und würden stattdessen häufig fehlerhaft, irrational und affektiv vorgehen. Nur der Staat könne eine vernünftige Ausgestaltung der Wirtschaft und der hierfür notwendigen Infrastruktur gewährleisten; nur er könne die Untertanen zu sinnvollem Veralten anleiten und auf diese Weise den Nutzen aller gewährleisten, während eine Orientierung am individuellen Vorteil zu nichts Gutem führe, sondern eher die öffentliche Moral gefährde. Das war nicht durchweg falsch, zumal Beispiele ökonomischer Unvernunft leicht zur Hand waren.

Auch war die große Rolle der Obrigkeit bei der Ausgestaltung der Infrastruktur offenkundig. Aber es steckte mehr hinter diesen Vorbehalten. Es ging auch darum, mit den Vorrechten der Obrigkeiten die herkömmliche soziale Ordnung zu stabilisieren, die gefährdet war, wenn jeder „machte, was er wollte“ und möglicherweise der wirtschaftliche Erfolg der gegebenen sozialen Ordnung Hohn sprach.

Auch wenn viele Obrigkeiten den Wert ihrer „eudämonischen Wirtschaftspolitik“ durchaus realistisch sahen, tiefgreifende Reformen der vorhandenen ökonomischen Verhältnisse scheiterten gleichwohl. Dass es in Frankreich 1789 zur Revolution kam, hatte vielfältige Ursachen. Einer der bereits von Alexis de Tocquevielle (Der alte Staat und die Revolution, 1856) ins Feld geführten Hintergründe war gerade die Unfähigkeit zu durchgreifenden Reformen; namentlich die mangelnde Bereitschaft, diese Reformen gegen Widerstände konsequent durchzusetzen und das Potential einer liberalen marktwirtschaftlichen Ordnung freizusetzen, wie es etwa Anne Jacques Robert Turgot im Vorfeld der Revolution beabsichtigt hatte, dann aber auf Druck maßgeblicher Kreise des Hofes aufgeben musste.

Auch in den deutschen Staaten führten alle unter dem Namen des aufgeklärten Absolutismus, namentlich unter Joseph II. in Österreich und Friedrich II. in Preußen, durchgeführten Reformen (Infrastruktur, Landwirtschaft, Projekte) nicht zu einem Ausweg aus den Sackgassen des Merkantilismus, obwohl Adam Smith‘ Buch frühzeitig (in Königsberg) ins Deutsche übertragen und in der preußischen Bürokratie viel gelesen worden war. Dass es hier schließlich doch zu einem radikalen Bruch kam und dass mit den preußischen Reformen der Jahre 1807 bis 1811 zumindest im Bereich der Wirtschaft und des Handels marktliberale Verhältnisse einzogen, war allerdings nur sehr bedingt das Ergebnis besserer Einsicht und klugen staatlichen Handelns, sondern pure Folge der Not. Preußen hatte 1806 eine schwere militärische Niederlage gegen Napoleon hinnehmen müssen und im Frieden von Tilsit nicht nur alle westelbischen Territorien abgetreten, sondern wenig später noch gewaltige Kriegskontributionen auferlegt bekommen. Der preußische Staat war faktisch nur noch eingeschränkt handlungsfähig; finanziell und wirtschaftlich lag er am Boden.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%