ZEW-Studie zu Windkraftanlagen Klimaschutz, ja bitte – aber nicht vor dem eigenen Haus

Windräder neben einem Wohngebiet: Je näher Windräder am eigenen Heim gebaut werden, desto seltener suchen Menschen gezielt nach Ökostromtarifen. Quelle: dpa

Nach einer noch unveröffentlichten Studie sinkt das Interesse an Ökostromtarifen, je näher neue Windkraftanlagen an die eigenen vier Wände rücken. Zugleich verschlechtern sich die regionalen Wahlergebnisse der Grünen.

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Beim Kampf gegen den Klimawandel gibt es in einer liberalen Gesellschaft ein Problem: Die Bürger müssen die Maßnahmen mittragen. Die Energiewende könnte scheitern, wenn zu viele Anwohner den Ausbau regenerativer Energien und den Bau neuer Windräder blockieren.

Dass die Begeisterung der Bundesbürger für mehr Klimaschutz etwas erlahmt, wenn er sich vor der eigenen Haustür abspielt, zeigt jetzt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Die Forscher haben in der Studie, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt, untersucht, wie sich der Bau neuer Windräder in unmittelbarer Nähe des eigenen Wohnorts auf die Einstellung betroffener Bürger zu erneuerbaren Energien und dem Klimaschutz allgemein auswirkt.

Die Ergebnisse sind deutlich: Das Interesse an grünen Stromtarifen sank in den betroffenen Kommunen im Schnitt um 35 Prozent. Mehr noch: Die Wahlergebnisse der Grünen sanken in Kommunen, in denen ein neues Windrad gebaut wurde, im Schnitt um 17 Prozent. Die Grünen hatten in ihrer Regierungszeit von 1998 bis 2005 die Windkraftförderung maßgeblich auf den Weg gebracht.

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von Cordula Tutt

Beide Effekte werden laut Studie stärker, je näher das eigene Zuhause dem Windrad liegt: Ging der Anteil der Suchanfragen, die ausschließliche Ökostromtarife einbeziehen, in einem Kilometer Umkreis noch um 86 Prozent zurück, waren es in 20 Kilometern Entfernung nur noch etwa zwei Prozent. Die Wahlergebnisse der Grünen sanken im innersten Kreis um über 20 Prozent, ab zehn Kilometern Abstand gab es fast keine Auswirkungen mehr.

Die Forscher konnten auch zeigen, dass das erste Windrad in einer Kommune die stärksten Auswirkungen hat: Wo zwischen 2009 und 2013 das erste Windrad überhaupt aufgestellt wurde, brachen die Wahlergebnisse der Grünen sogar um 38 Prozent ein, grüne Stromtarife spielten mit minus 81 Prozent bei den Online-Suchanfragen kaum noch eine Rolle.

Der Hintergrund der Studie: „Ein Großteil der bisherigen Forschung basiert auf Umfragen, wie Menschen zu Erneuerbaren Energien stehen. Wir wollten tatsächliche Entscheidungen abbilden, nicht nur Meinungen. Deshalb haben wir das Wahlverhalten und die Suchen nach Ökostromtarifen untersucht“, sagt Robert Germeshausen, einer der Autoren. „Zahlreiche Studien haben die Auswirkung von Windrädern auf die Immobilienpreise im Umfeld untersucht. Da gibt es gut dokumentierte negative Effekte. Um die Auswirkungen von Windrädern breiter abzubilden, haben wir kleinteiligere, alltäglichere Entscheidungen in den Blick genommen. Die Online-Suche nach einem Ökostromtarif ist ja niedrigschwelliger als bspw. der Verkauf des eigenen Hauses.“

Die Daten zu den Stromtarifen kamen von einem großen Preisvergleichsportal. Die Forscher untersuchten hier vor allem den Anteil der insgesamt 35 Millionen Suchanfragen von 2010 bis 2014, bei denen nur Ökostromtarife verglichen wurden. Bei den konkreten Bestellungen und weiteren Anfragen hätten die erkennbaren Preisunterschiede in die Entscheidung hineinspielen können.

Um andere Faktoren auszuschließen, „nullten“ die Forscher sozioökonomische Unterschiede der untersuchten Kommunen wie Bevölkerungsdichte, Einkommensverteilung und Arbeitslosigkeit. Denn ältere, wohlhabendere Menschen in ländlichen Gegenden neigten nach Installation eines Windrades besonders stark dazu, eine negativere Einstellung zur Energiewende zu entwickeln.

Um auch die politische Stimmung vor Ort aus den Ergebnissen herauszufiltern, wurden nur neue Windkraftanlagen in die Studie aufgenommen, die erkennbar wegen Veränderungen bei den Erlöserwartungen und somit nach finanziellen Gesichtspunkten geplant wurden: also bei erhöhtem Windpotenzial und Vergütungsänderungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz. „Die entscheidende Annahme ist, dass diese Veränderungen in den Erlösen unabhängig von den Einstellungen der Bürger in den jeweiligen Gemeinden ist“, sagt Germeshausen.

Wie aber ließe sich die Akzeptanz neuer Windkraftanlagen erhöhen? Dazu nennt die Studie zwei wesentliche Möglichkeiten: Am einfachsten wäre es, schlicht keine Windkraftanlagen mehr in der Nähe von Wohnhäusern zu bauen. Dadurch wäre der Ausbau jedoch zu stark eingeschränkt, um die Klimaziele der Bundesregierung verlässlich zu erreichen. Hier kommt die zweite Möglichkeit ins Spiel: finanzielle Kompensation. Denn der Studie zufolge spült jedes gebaute Windrad im Mittel 10.000 bis 13.000 Euro zusätzliche Gewerbesteuer in die Kassen der Kommunen. In Kommunen, die besonders von diesen Einnahmen profitierten, waren die negativen Effekte für beide Untersuchungsgegenstände deutlich geringer.

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„Die Gewerbesteuer-Einnahmen für die Kommunen haben natürlich nur einen mittelbaren Effekt für die Bürger, die in der Nähe der Windräder wohnen. Unsere Ergebnisse deuten aber daraufhin, dass die Bürger das sehen und es bei den negativen Auswirkungen auf die Akzeptanz von Erneuerbaren Energien einen mildernden Effekt hat“, sagt Germeshausen.

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