Zweite Karriere für Finanzbeamte Steuervermeidung statt Steuerfahndung

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70 Prozent Frauenanteil

Bis zu 12.000 Fachkräfte fehlen bereits in den Finanzbehörden, schätzt die Deutsche Steuergewerkschaft. Damit sei jede zehnte Stelle unbesetzt. Viele Finanzämter winken persönliche Steuererklärungen unter 50.000 Euro einfach durch; auf andere werfen sie nur einen kurzen Blick. Selbst kleinere Unternehmen werden nur alle Jubeljahre geprüft. Um die Aufgaben überhaupt noch bewältigen zu können, versucht es die Finanzverwaltung zusehends mit Outsourcing: Die Steuerzahler selbst werden in die Pflicht genommen. Jüngstes Beispiel: Künftig soll jeder Deutsche dem Finanzamt melden, wenn er in ein mögliches Steuersparmodell investiert.

All das sorgt für Frust bei denen, die in den überforderten Behörden bleiben – und verstärkt ihren Drang, zu gehen. Thomas Eigenthaler weiß das nur zu gut. Deshalb bereiten die Seitenwechsler dem Vorsitzenden der Steuergewerkschaft so große Sorgen.

Es sind ja nicht nur die jungen Finanzbeamten, die abgeworben werden. Begehrt seien auch die Volljuristen in Führungspositionen sowie die Betriebsprüfer mit ihren Kenntnissen über die Arbeit im Amt – von den Stellschrauben bei der elektronischen Überprüfung von Steuererklärungen bis zu den Abläufen bei einer Steuerfahndung. „All das sind wertvolle Informationen für die Beraterzunft“, sagt Eigenthaler.

Vor allem Männer wagten den Wechsel in die freie Wirtschaft, was Eigenthaler darauf zurückführt, dass dort Familie und Beruf schlechter miteinander vereinbar seien: „Bei diesem Thema immerhin ist die Verwaltung mit ihren Teilzeit-, Auszeit- und Homeoffice-Modellen wettbewerbsfähig.“ Allerdings sieht Eigenthaler die Tatsache, dass die Frauenquote in der Finanzverwaltung bei rund 70 Prozent liegt, auch als Warnsignal, genauer: als Hinweis darauf, „dass die Bezahlung nicht so gut ist“.

Da ist etwas dran: Wenn Betriebsprüfer mit Steuerexperten der Konzerne und Kanzleien zusammen die Bücher durchgehen, ist das Einkommensgefälle zwischen den beiden Parteien im Raum beträchtlich. Die einen erhalten zwischen 35 000 und 45 000 Euro Gehalt, die anderen kommen auf das zwei- bis zehnfache. „Es ist“, sagt Eigenthaler, „als ob ein Ferrari und ein Fahrrad aufeinandertreffen.“

Bei einem derart großen Gehaltsgefälle werden selbst treue Beamte schwach. Zumal die Kanzleien auch viel Geld in die Rekrutierung des Nachwuchses investieren. An den Universitäten werben die großen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften mit jovialen Castings um den Nachwuchs, Marktführer PwC lockt sogar mit Segeltörns im Mittelmeer. Allein die sogenannten Big Four der Branche – also PwC, KPMG, EY und Deloitte – stellen jedes Jahr rund 6000 neue Mitarbeiter ein, Tendenz steigend. Das Geschäft brummt, PwC wuchs 2017 um 10, EY um 13 und Deloitte sogar um 34 Prozent.

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Treiber sind, neben der boomenden Wirtschaft, eine immer komplexere Steuermaterie und die zunehmende internationale Vernetzung von Unternehmen. Diese Trends fordern die Finanzverwaltung ebenfalls heraus. Doch im Kampf um die Talente hat der Fiskus die schlechteren Karten, auch wenn die Länder mit durchaus witzigen Anzeigen um Nachwuchs werben: „Komm zu uns, wir sind: Die Unbestechlichen. Werde Finanzbeamter/in“. Denn einen Nachteil kann selbst das schönste Marketing nicht übertünchen: Die Karriere in der Verwaltung verläuft lang- und mühsam. Selbst wer außergewöhnlich talentiert und engagiert ist, kriecht in der Regel die Leiter herauf.

Das hat auch Jana Gozemba gestört. „Die Aufstiegschancen waren unheimlich begrenzt“, sagt die Hamburgerin über ihre Zeit beim Finanzamt. Die 35-Jährige absolvierte nach dem Abitur eine duale Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin und arbeitete im gehobenen Dienst bei der Hamburger Finanzbehörde. Sie merkte schnell, „dass man sich vieles erdienen und ersitzen muss“, erlebte frustrierte und demotivierte Kollegen – und beschloss, die bedrückende Sicherheit des Behördenalltags aufzugeben und zur mittelständischen Sozietät GGV zu wechseln.

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