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Abspaltung Schottische Nationalisten hoffen auf Unabhängigkeit

Der Countdown läuft: In einem Monat stimmen die Schotten über die Unabhängigkeit von Großbritannien ab. Die Ja-Kampagne hofft, die Wirtschaft bangt.

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Welche europäische Regionen sich unabhängig machen wollen
Katalonien Einwohner: 7,5 Millionen BIP (2011): 200 Milliarden Euro BIP per Einwohner (2011): 27,430 Euro (Quelle: INE) Es ist die wirtschaftsstärkste Region Spaniens. Die Katalanen haben bisher das Ziel für Unabhängigkeit mit friedlichen und demokratischen Mitteln verfolgt. Die Forderung haben sich zugespitzt, vor allem seit dem in der Schuldenkrise Katalonien mit Forderungen über einen neuen Fiskalpakt bei der Zentralregierung abprallte. Der amtierende Chef der Regionalregierung, Artus Mas (im Bild), wollte erreichen, dass Madrid die geforderten Steuerabgaben Kataloniens zugunsten der weniger entwickelten Regionen (Andalusien, Galicien) mäßigen würde. Der spanische Ministerpräsident Rajoy erteilte Mas jedoch eine klare Absage. Nun haben die Bürger Kataloniens am 25. November 2012 ein neues Parlament gewählt. Die Partei des amtierenden Präsidenten Mas ging als Favorit in die Abstimmung - und verlor haushoch. Im neuen Parlament hat seine Partei nur noch 50 Sitze - statt 60, wie vor den Wahlen. Der Grund: Mas hatte einen rigiden Sparkurs vertreten. Sein Vorhaben, ein Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens durchzuführen, könnte trotzdem gelingen. Die Parteien, die für das Referendum sind, erhielten eine Zweidrittelmehrheit im neuen Regionalparlament. Die katalanische Regierung sieht der Gunst der Stunde gekommen: Eine von ihr beauftragte Umfrage ergab, dass knapp 74 Prozent der Bevölkerung die Gründung eines eigenen Staates möchten. Ein (unbewaffnetes) Heer hat Katalonien schon: Der FC Barcelona. Quelle: dpa
BaskenlandEinwohner: 2,2 Millionen BIP (2011): 66 Milliarden Euro BIP per Einwohner (2011): 31,288 Euro (Quelle: INE) Im Norden Spaniens liegt einer der industriellen Zentren des Landes, die Basken waren sich dieser ökonomischen Stärke stets bewusst - und haben schon im 19. Jahrhundert ihre Unabhängigkeitsbestrebungen artikuliert. Doch bis 2011 hat die Terrororganisation ETA 50 Jahre lang den Kampf für die baskische Eigenständigkeit mit den Mittel der politischen Gewalt geführt. Bomben in Madrid, Kopfschüsse in Bilbao und San Sebastian - bei 4000 Terroranschlägen kamen über 830 Menschen um. Seit 2011 erklärte die ETA einen definitiven Gewaltverzicht - zu groß war die soziale Verachtung gegenüber den Terroristen. Ihre Waffen legte die Eta aber nicht nieder. Der Kampf um die Unabhängigkeit könnte jetzt in die nächste Runde gehen. Am 21. Oktober 2012 hat die Bevölkerung im Baskenland ein neues Parlament gewählt. Die Sozialisten hatten die autonome Region seit 2009 angeführt, doch nun sind die gemäßigten Nationalisten an die Regierung zurückgekehrt. Ihr erklärtes Ziel: Mittelfristig eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit durchzuführen. Im Bild: In San Sebastian fordern im Oktober 2012 Familienangehörige von ETA-Aktivisten ihre Zusammenführung in die Gefängnisse des Baskenlands. Quelle: dpa
Schottland Einwohner: 5,2 Millionen BIP (2011, inklusive der Off-Shore-Aktivitäten in der Nordsee und im restlichen Vereinigten Königreich): 187 Milliarden Euro BIP per Einwohner (2010, inklusive der Off-Shore-Aktivitäten in der Nordsee): 31,566 Euro (Quelle: Scotland.gov.uk) Anders als in Spanien verhält es sich in Schottland. Dort sind lediglich nur 28 Prozent der Bewohner für eine Unabhängigkeit, 53 sind gar dagegen. Trotzdem ist Schottland tatsächlich seinem Ziel näher als alle anderen Regionen, die in Europa eine Unabhängigkeit anstreben. Seit 1707 besteht die Einheit zwischen dem Königreich England und Schottland, unter New Labour und Premierminister Tony Blair erhielt Edinburgh weitereichende Autonomierechte zurück. Anders als in anderen Ländern sind sich die beteiligten mittlerweile sogar über die Modalitäten einer Volksabstimmung einig, die mit der Unabhängigkeit Schottlands ändern könnte. In Spanien ist das nicht der Fall - dort droht Premierminister Rajoy notfalls mit dem Einsatz der Armee. Steter Antrieb der Schotten: Die Erlöse aus der Erdölförderung in der Nordsee sollen nur den Schotten zugute kommen. Im Bild: Schottische Unabhängigkeits-Befürworter protestieren vor dem Edinburgh International Book Festival in Edinburgh, August 2012. Quelle: REUTERS
Südtirol / Bozen-BolzanoEinwohner: 510 000 BIP (2009): 18 Milliarden BIP per Kopf (2009): 34 700 Euro (Quelle: Eurostat) Tourismus und Landwirtschaft begründen die wirtschaftliche Stärke Südtirols. Zudem wird der künftige Brennerbasistunnel den Verkehr zwischen Deutschland, Österreich und Italien weiter verstärken. Südtirol, als Dreh- und Angelpunkt des deutsch-italienischen Warenverkehrs, wird das zugute kommen. Einst als Teil Österreichs ging Südtiroler nach dem Ersten Weltkrieg an Italien. Erst in den 1970er Jahren erhielten sie Autonomie in Gesetzes- und Wirtschaftsangelegenheiten. Und mit der jetzigen Verschärfung der Krise, wollen die Menschen an den Dolomiten nun Unabhängigkeit. Die zusätzlichen Abgaben, die nun aus Rom zur Bekämpfung der Schuldenkrise fällig werden, erzürnt die Südtiroler. 1,2 Milliarden Euro zusätzlich sollen laut Süddeutsche Zeitung die Südtiroler zur Sanierung des italienischen Haushalts beitragen. Nun fragen nicht wenige in der Hauptstadt Bozen: "Warum in Italien bleiben?". Im Bild: Weinberge umgeben den Kreithof bei Eppan in Südtirol, Italien Quelle: AP
Flandern (Die Provinzen Antwerpen, Limburg, Ostflandern, Flämisch Brabant, Westflandern)Einwohner: 6,3 Millionen BIP (2009): 195 Milliarden Euro BIP per Einwohner (2009): 27 500 Euro (Quelle: Eurostat) Am 15. Oktober 2012 feierte die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA), die separatistische Partei Flanderns, bei den belgischen Kommunalwahlen den Einzug in das Antwerpener Rathaus. Die Partei hatte vor sechs Jahren nicht mal eine eigene Liste. Und doch wurde sie bereits bei den Wahlen 2010 zur stärksten Kraft in ganz Belgien. Nun kann sich die Partei auf die wirtschaftlich erfolgreichen flämischen Unternehmer stützen, die zunehmend unzufrieden sind mit der Politik der Regierung in Brüssel, die vom französischsprachigen Premierminister Elio di Rupo angeführt wird. Nach den Parlamentswahlen von 2014 droht bei Erfolg der N-VA ein ähnliches Szenario wie nach den Wahlen von 2010: Damals benötigten die belgischen Parteien anderthalb Jahre Zeit, um eine Regierung zu bilden. Der Sprachenstreit war ausschlaggebend dafür, dass sich die Akteure nicht einigen konnten. Beobachter befürchten, dass es dieses Mal ähnlich schwer werden könnte. Im Bild: Der Marktplatz in Antwerpen Quelle: REUTERS

Keep calm and carry on – die Durchhalteparole aus dem Zweiten Weltkrieg erfreut sich in Großbritannien auch heute noch großer Popularität. Sie prangt auf Kaffeebechern, T-Shirts, Postkarten. Auch politisch ist der Slogan derzeit wieder brandaktuell. Zwar droht dem Vereinigten Königreich kein Angriff von außen, dafür aber Gefahr von innen.

Zum Beispiel von ihm: Colin Pyle, 33 Jahre, geboren in Kirkcaldy. Seit 17 Jahren schon kämpft er für die Unabhängigkeit Schottlands. Ihn treibt – wie viele schottische Patrioten – eine tiefsitzende Abneigung gegen das politische Establishment in London. Endlich ist es so weit. Am 18. September stimmen die Schotten über ihre Unabhängigkeit ab. Eine Mehrheit für die Nationalisten würde das unwiderrufliche Ende der 307-jährigen Union mit Großbritannien bedeuten.

Mit fliegender Fahne Colin Pyle kämpft für die Unabhängigkeit seiner Heimat Foto: Brendan McNeill Quelle: WirtschaftsWoche

Pyles Sieg wäre für Königin Elizabeth II. ein schmerzlicher Verlust. Die 88-jährige Monarchin regiert seit 62 Jahren, befindet sich auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, hat in ihrer Amtszeit zwölf Premierminister ernannt. Doch während ihre berühmte Vorgängerin Victoria noch ein Weltreich regierte, in dem die Sonne niemals unterging und das am Ende des 19. Jahrhunderts ein Drittel der Weltbevölkerung und ein Fünftel der Erde umfasste, musste das Großbritannien unter Elizabeth II. den Verlust seiner Kolonien verkraften, den Übergang vom Empire zum Commonwealth erdulden, den Wandel seiner anglikanisch geprägten Gesellschaft zu einer multikulturellen Nation mit einer Vielzahl von Religionen ertragen. Nach einem Ja der Schotten würde von ihrem einst stolzen Königreich nicht mehr übrig bleiben als ein zersplittertes, politisch und wirtschaftlich geschwächtes Land.

Glasgow, 136 Hope Street

In der Straße der Hoffnung, nur fünf Minuten vom Hauptbahnhof Glasgow entfernt, residiert die überparteiliche „Yes Scotland“-Kampagne. Den Eingang zieren aufmunternde Sprüche: „Sogar die Nein-Sager geben zu: Natürlich kann Schottland unabhängig werden!“

In einem kargen Konferenzraum treffen wir Pyle. Schon mit 16 war er der Scottish National Party (SNP) beigetreten. „Damals tobte die Debatte über die Einrichtung eines schottischen Regionalparlaments“, erinnert sich der 33-Jährige. „Wir glaubten, nur die SNP könne sicherstellen, dass dieses Gremium mehr als ein Pfarrgemeinderat wird.“ Sein Schlüsselerlebnis aber war die Einführung von Studiengebühren durch den damaligen Labour-Premier Tony Blair: „Für die Mehrheit der Schotten und jemanden wie mich, der fest an das Prinzip einer kostenlosen Bildung für alle glaubt, war das Verrat.“ Egal, welche Partei in London regiert, so Pyle, „wird uns hier in Schottland immer eine Politik aufgezwungen, für die wir nicht gestimmt haben und die sich an den Interessen der englischen Mittelklasse orientiert“.

„Australien, Kanada, eine ganze Reihe anderer Staaten und sogar die amerikanischen Kolonien haben sich von Großbritannien losgesagt, da ist Schottland nur das letzte Glied in einer langen Reihe. Für mich ist es großartig, Teil einer historischen Entscheidung zu sein“, sagt Pyle. Er hat für jedes Argument der „Better Together“-Kampagne, die mit düsteren Szenarien vor der Sezession warnt, eine passende Antwort.

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