Davutoglu-Rücktritt Erdogan setzt Flüchtlingspakt mit der EU aufs Spiel

Nach der Rücktrittsankündigung des türkischen Ministerpräsident Davutoglu macht Erdogan Front gegen die geforderte Änderung der Terrorgesetze. Zusätzlich sorgen ein Attentat und ein Gerichtsurteil für Aufregung.

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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei Quelle: AP

Unmittelbar nach der Rückzugsankündigung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Flüchtlingspakt mit der EU ins Wanken gebracht. Erdogan wandte sich am Freitag in Istanbul unter dem Jubel von Anhängern gegen die Brüsseler Forderung nach einer Änderung der Terrorgesetze in der Türkei. „Wir gehen unseren Weg, geh Du Deinen Weg“, sagte er an die Adresse der EU. „Einige Dich, mit wem Du willst.“ Die Menge skandierte: „Steh aufrecht, beuge dich nicht.“

Eine Änderung der Terrorgesetze ist einer der fünf offenen Punkte, die Ankara noch erfüllen muss, damit Türken wie geplant Ende Juni von der Visumpflicht befreit werden. Für die Visumfreiheit soll die Türkei nach dem Willen der EU ihre bislang recht weit gefasste Definition von Terrorismus umgestalten. Er soll damit tatsächlich der Verfolgung von Terroristen dienen - und nicht zum Vorgehen gegen politische Gegner oder unliebsame Journalisten missbraucht werden können.

Erdogan forderte dagegen im März nach einem erneuten Anschlag in Ankara sogar eine breitere Definition von Terrorismus im türkischen Strafrecht. „Zwischen Terroristen, die Waffen und Bomben tragen, und jenen, die ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel den Terroristen zur Verfügung stellen, damit diese an ihr Ziel gelangen, besteht überhaupt kein Unterschied“, sagte er damals.

Die Visumfreiheit für Türken ist Teil des Flüchtlingspaktes, den Davutoglu mit der EU aushandelte. Im Gegenzug für die Reisefreiheit ohne Visum innerhalb der EU sagte die Türkei zu, alle Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückzunehmen. Erdogan steht dem Flüchtlingspakt kritisch gegenüber. Wenn sich Erdogan erfolgreich gegen die Änderung der Terrorgesetze sträubt, steht hinter dem Flüchtlingspakt ein großes Fragezeichen

Davutoglu hatte am Donnerstag nach einem Machtkampf mit Erdogan angekündigt, bei einem AKP-Sonderparteitag am 22. Mai nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Damit verliert er auch das Amt des Ministerpräsidenten. Erdogan kündigte am Freitag an, möglichst bald ein Referendum über eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems abhalten lassen und seine Macht damit auszubauen.

Erdogan will das alleinige Sagen

Erdogan sagte, nur ein Präsidialsystem sei eine „Garantie für Stabilität und Sicherheit“. Die entsprechende Verfassungsänderung müsse die neue AKP-Regierung „so schnell wie möglich zur Bestätigung unserem Volk vorlegen“. Das Präsidialsystem ist Erdogans wichtigstes Ziel. Erdogan-Anhänger hatten Davutoglu vorgeworfen, dessen Einführung nicht entschieden genug vorangetrieben zu haben. Für ein Referendum über eine Verfassungsänderung ist eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament nötig, zu der der AKP derzeit 13 Sitze fehlen. Erdogan dankte Davutoglu am Freitag für dessen 20-monatige Amtszeit an der Spitze der islamisch-konservativen AKP und an der Regierung. „Ich glaube daran, dass er durch seine Dienste einen ganz besonderen Platz im Herzen unseres Volkes eingenommen hat.“

Bundesregierung erwartet Einhaltung der Vereinbarung

Die Bundesregierung äußerte die Erwartung, dass der Wechsel an der Spitze der Regierung in Ankara die Umsetzung des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens nicht beeinträchtigt. "Die EU und Deutschland werden auch künftig alle vereinbarten Verpflichtungen erfüllen. Und wir erwarten das auch von türkischer Seite", sagte Vizeregierungssprecher Georg Streiter.

Ähnlich äußerte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier. "Vereinbarungen werden mit Staaten und Regierungen abgeschlossen, nicht mit Einzelpersonen", sagte der SPD-Politiker zu "Spiegel Online". In dem Abkommen sei es gelungen, "unsere Interessen und diejenigen der Türkei mit Kompromissen unter einen Hut zu bringen". Es habe in kurzer Zeit zu einer deutlichen Verringerung der Zahl der Menschen geführt, die sich mit Schleppern auf den gefährlichen Weg über die Ägäis machten.

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