EU-Kommission Margrethe Vestager – die mächtige Frau in Europa

Als Chefin der Wettbewerbsbehörde ist Margrethe Vestager eine der mächtigsten Personen in Brüssel. Im neuen Job wird sie oft Härte zeigen müssen, um sich dem Druck von Konzernen und Regierungen zu entziehen.

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EU-Kommission Margrethe Vestager Quelle: Bloomberg

Seit sie in Brüssel ist, wundert sie sich über dieses seltsame Konzept von oben und unten. Auf der Suche nach einem neuen Zuhause für sich und ihre Familie ließ sich Margrethe Vestager von Maklern durch diverse Häuser führen. „Im Untergeschoss angekommen, deuteten Makler auf Kammern und empfahlen sie für Dienstboten“, erzählt Vestager und schaut entsetzt.

Die Anekdote sagt etwas aus über den Brüsseler Immobilienmarkt, wo Investoren mit leichter Hand Keller zu Wohnraum umdeklarieren und auf Diplomaten als Kunden hoffen. Sie sagt aber vor allem viel aus über eine Frau, die es in der dänischen Politik nach ganz oben geschafft hat und dabei ihr einstiges Image als kalte Liberale ablegte. Vestager lässt es menscheln, zeigt eine persönliche Seite. Dennoch verfolgt sie ihre Ziele mit großer Entschlossenheit.

Das sind die neuen EU-Kommissare: Länder von I-O

In ihrer Heimat führte sie als Vize-Ministerpräsidentin regelmäßig die Rangfolge der einflussreichsten Politiker an. Als sie von 2007 bis 2011 an der Spitze der sozialliberalen Oppositionspartei Radikale Venstre stand, faszinierte sie die dänische Öffentlichkeit so sehr, dass sie der Erfolgs-Fernsehserie „Borgen“ als Vorbild diente.

Seit Monatsbeginn hat die Mutter dreier Töchter (11, 15 und 18 Jahre alt) nun einen der mächtigsten Posten in der neuen EU-Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker inne: Als Wettbewerbskommissarin kann sie Kartellstrafen in Milliardenhöhe verhängen, Fusionen untersagen und den Mitgliedstaaten auf die Finger klopfen, wenn diese unerlaubte Subventionen verteilen.

Ihre anstehende Entscheidung im Fall Google, den sie von Vorgänger Joaquín Almunia geerbt hat, wird Europas Antwort auf die Vormacht von US-Internet-Giganten bestimmen. Von ihr wird abhängen, ob Europa Steuerschlupflöcher schließt, die Konzerne wie Apple und Starbucks in Ländern wie Luxemburg bisher ausgenutzt haben.

"Vestager ist ein Glücksfall"

Diejenigen, die Vestager gut kennen, halten sie für eine Idealbesetzung. „Sie ist ein Glücksfall“, sagt ein hoher EU-Beamter, der mit ihr in ihrer Zeit als dänische Wirtschaftsministerin eng zusammengearbeitet hat. Im Oktober 2011 trat sie dieses Amt an, nachdem sie 1998 mit nur 29 Jahren zum ersten Mal Ministerin geworden war, damals für Bildung und Kirche. Nie zuvor hatte es in Dänemark ein so junges Kabinettsmitglied gegeben.

An ihrem zweiten Arbeitstag als Wirtschaftsministerin stand ein Treffen des Wirtschafts- und Finanzministerrats (Ecofin) in Brüssel an. Als sie drei Monate später den Vorsitz der dänischen Ratspräsidentschaft übernahm, fielen ihre gute Vorbereitung auf und ihr Talent, Brücken zu bauen. „Sie vermittelte zwischen Kampfhähnen und war dabei nicht ideologisch fixiert“, heißt es in Brüssel.

Von der Masse ihrer Kollegen, nur eine Handvoll davon weiblich, hob sie sich durch ihren Charme ab. „Sie kennt ihre Wirkung und setzt sie gezielt ein“, sagt ein Mann, der dabei war. „Es geht ihr dabei aber immer um einen Zweck.“

Die zehn wichtigsten EU-Kommissare
Wochenlang hat der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit den Kandidaten gesprochen. Am Mittwoch stellte er seine neue Mannschaft der Öffentlichkeit vor. Quelle: REUTERS
Die italienische Außenministerin Federica Mogherini - das stand bereits fest - wird neue Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, kurz EU-Außenministerin. Kritiker werfen der Vertrauten von Italiens Premier Renzi vor, zu wenig internationale Erfahrung zu haben und insbesondere gegenüber Russland zu nachgiebig zu sein. Mogherini wird zugleich eine der sieben Vizepräsidenten und damit Stellvertreterin von Juncker. Quelle: AP
Den europäischen Konservativen dürfte seine Berufung gar nicht gefallen. Der französische Sozialist Pierre Moscovici wird Währungs- und Wirtschaftskommissar. Er war von 2012 bis 2014 Finanzminister in Paris und hatte die Verschuldung seines Landes nicht unter Kontrolle bekommen. Quelle: Reuters
Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident und bisherige Energie-Kommissar Günther Oettinger wird Kommissar für Digitale Wirtschaft. Oettinger war zwischenzeitlich auch als Handelskommissar im Gespräch. Auch wenn sich Oettinger in den nächsten Jahren um ein wichtiges Thema kümmern wird, gilt die Position nicht als Beförderung. Quelle: dpa
Neun Jahre lang war Andrus Ansip Premierminister von Estland - bis er im Frühjahr zurücktrat. Nun wird Vizepräsident der Kommission und soll das Thema "Digitaler Binnenmarkt" vorantreiben. Quelle: REUTERS
Valdis Dombrovskis ist der zweite Ex-Premier in der neuen EU-Kommission. Nach vier Jahren an der lettischen Regierungsspitze trat er im vergangenen November zurück. Er übernahm die politische Verantwortung für den Einsturz eines Supermarktes in der Hauptstadt Riga, bei dem 54 Menschen starben. In den nächsten fünf Jahren kümmert er sich der Vizepräsident um die Themen "Euro und Sozialer Dialog". Quelle: REUTERS
Der bisherige niederländische Außenminister Frans Timmermans wird als "Erster Vizepräsident der Kommission" der wichtigste Mann hinter Juncker. Er wird sich auf EU-Ebene um Regulierungsfragen kümmern. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Timmermans als Krisenmanager nach dem Absturz von Flug MH17 über der Ostukraine bekannt. Quelle: REUTERS

Die Euro-Krise drückte damals auf die Stimmung, machte unangenehme Entscheidungen notwendig. Während andere an ihrem Amt litten, blühte Vestager bei den Sitzungen in den fensterlosen Räumen des Justus-Lipsius-Gebäudes auf. „Was an der Arbeit im Ecofin so Spaß macht, ist der Umstand, dass man die Märkte wirklich beeinflusst“, sagt sie heute.

Die Revolution muss warten

Sie genoss den engen Kontakt zu den anderen Ministern, die sie bei den Sitzungen im Monatstakt kennenlernte. Trotz unterschiedlicher Interessen war die Zusammenarbeit oft einfacher als in der Koalition zu Hause: „Man hat ja nicht dieselben Wähler.“

In ihrer Zeit im Ecofin bekam sie Lust auf ein Brüsseler Amt. Als feststand, dass die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt nicht nach Brüssel wechseln würde, kam Vestagers Chance. Nachdem Juncker angekündigt hatte, Frauen mit wichtigen Posten zu betrauen, war klar, dass die studierte Ökonomin ein einflussreiches Amt bekommen würde.

Von ihrem Vorgänger übernimmt Vestager eine lange Liste komplexer Fälle, neben Google auch die politisch heikle Untersuchung gegen Gazprom wegen einer möglichen Manipulation von Gaspreisen. Vestager geht mit einer gewissen Bescheidenheit ins Amt: „Man sollte nicht den Ehrgeiz haben, die europäische Wettbewerbspolitik zu revolutionieren.“

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