Die EZB verweist darauf, dass sie Krisenländeranleihen nur kaufen wird, wenn sich das begünstigte Land Reformen unterwirft.
Kerber: Die Konditionalität, die die EZB immer wieder betont, ist eine Schimäre. Der ESM kann im Rahmen seiner vorsorglichen Kreditlinie Anleihen von Krisenländern kaufen, ohne dass diese Reformauflagen erfüllen müssen. Der ESM muss nur zu dem Ergebnis kommen, das ein Land im Prinzip gesund ist. Anschließend reicht er die Anleihen über den Sekundärmarkt an die EZB weiter. Die Notenbank hat ihr Ankaufprogramm lediglich daran gebunden, dass das Land ein Hilfsprogramm beim ESM beantragt hat und dieser aktiv geworden ist. Zwar gibt die EZB vor, nur solange die Anleihen eines Krisenlandes zu kaufen, wie dieses sich an Reformauflagen hält. Doch was von solchen Reformversprechen zu halten ist, haben wir ja gesehen.
Die EZB weist darauf hin, dass ihr Kaufversprechen die Finanzmärkte beruhigt habe. Ohne das Versprechen wären Krisenländer und Banken vom Kapitalmarkt abgeschnitten worden, was die Euro-Rettung für Deutschland noch teurer gemacht hätte.
Kerber: Man kann es auch anders sehen: Das Kaufversprechen der EZB hat die Agonie der Euro-Zone verlängert. Wer behauptet, die EZB habe Deutschland noch höhere Kosten für die Euro-Rettung erspart, ignoriert die Option, die Deutschland immer hat: Das Euro-Experiment an einem bestimmten Punkt geregelt oder ungeregelt auslaufen zu lassen. Diese Option wird von allen Beteiligten unterschätzt. Die deutsche Bevölkerung steht der Euro-Rettung äußerst skeptisch gegenüber.
Wie werden die Verfassungsrichter am Ende entscheiden?
Kerber: Das Verfassungsgericht lebt davon, dass es von allen akzeptiert wird. Das ist nur der Fall, wenn es Grenzen einzieht ohne den Beteiligten weh zu tun. Die entscheidende Frage ist, was passiert, wenn die Richter feststellen, dass die EZB mit den Anleihekäufen ihr Mandat überschreitet? Können die Verfassungsrichter die EZB dann mit Sanktionen belegen? Das Verfassungsgericht hat für sich immer in Anspruch genommen, Hoheitsakte der Europäischen Gemeinschaft, die über die Ermächtigungen hinausgingen, einzuhegen.
Wenn die Bundesbank der Ansicht ist, dass die Maßnahmen der EZB rechtlich unzulässig und ökonomisch falsch sind, dann muss sie sich der Beteiligung an den Anleihekäufen verweigern. Ein salomonisches Urteil des Verfassungsgerichts könnte der Bundesbank Argumente für eine solche Entscheidung an die Hand geben ohne sie dazu zu zwingen. Viel wird darauf ankommen, wie die Verfassungsrichter ihr Urteil formulieren.