Euro-Kläger Markus C. Kerber „Die EU-Kommission diskreditiert das gesamte Europa-Projekt“

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„Es mangelt am Vertrauen der Bevölkerung in die Institution EZB“


Übertreiben Sie da nicht? Die EZB lässt sich doch nicht von Greenpeace die Zinsen diktieren. 
Die Unabhängigkeit einer Zentralbank lässt sich demokratietheoretisch nur bei einer sehr engen Beschränkung ihres Mandats rechtfertigen. Insbesondere dann, wenn es sich um eine supranationale Zentralbank wie die EZB handelt, die Geldpolitik für eine Vielzahl von heterogenen Ländern betreibt. Gegen dieses enge Mandat hat die EZB bereits mit dem Kauf von Staatsanleihen verstoßen. Mit der Ausrichtung der Geldpolitik am Klimaschutz überdehnt sie es weiter. Je mehr Herren die EZB dient, desto geringer ist ihre Unabhängigkeit. 

Auch die US-Notenbank Fed strebt nach neuen politischen Aufgaben. Sie will den Arbeitsmarkt heiß laufen lassen, um die Jobchancen ethnischer Minoritäten zu verbessern. 
Die Fed hat ein weiter gestecktes Mandat als die EZB und ist im Gegensatz zur EZB eine nationale Zentral- und Notenbank. Dennoch lässt sich sagen, dass alle großen Notenbanken in einer Legitimitätskrise stecken. Sie haben in den vergangenen Jahren erfahren, dass sie kaum mehr in der Lage sind, das Preisniveau zu steuern. Sie reagieren darauf, indem sie nach neuen Aufgaben rufen. Das lässt sich institutionenökonomisch erklären. Keine Institution will als machtlos oder gar überflüssig gelten. Also strebt man neue Aufgaben an, wenn man die alten nicht mehr adäquat erfüllen kann. Staatspolitisch aber ist das fatal, weil auf diese Weise wirtschaftspolitische Aufgaben auf Institutionen übergehen, die sich einer demokratischen Kontrolle entziehen. 

Das Thema Geldpolitik und Klimaschutz rückt immer mehr in den Fokus der Notenbanken, weshalb sie sich in einem grünen Netzwerk organisieren. Das wirft die Frage auf: Wie weit dürfen sie dabei gehen?
von Teresa Stiens

Viele Notenbanker der EZB waren zuvor Politiker. Welche Bedeutung hat das für die Ausgestaltung der Geldpolitik?
Die EZB wird von allen Ländern mit Ausnahme von Deutschland, den Niederlanden und Finnland und vielleicht noch Österreich als ein politisches Vehikel angesehen, um die Wirtschaftspolitik des eigenen Landes nachhaltig und bedingungslos zu unterstützen. Zwar hat es auch in der Bundesbank  politische Ernennungen und Beförderungen gegeben. Doch herrschte dort ein starker stabilitätspolitischer Chorgeist, der mit Parteipolitikern – etwa Ernst Welteke – schnell fertig wurde. Dieser Chorgeist fehlt in der EZB. Die Bundesbanker verstanden sich als Mönche des Geldes. Die Notenbanker der EZB verstehen sich als Macher, die die Wirtschaftspolitik der Regierungen mitgestalten wollen. Diese Politisierung ist für die Entwicklung der EZB fatal. 

Die Geldpolitik der Bundesbank wurde von der Öffentlichkeit gestützt und verteidigt. Kann eine Zentralbank ohne eine solche Unterstützung eine Stabilitätspolitik betreiben? 
Die Fähigkeit und der Wille von Zentralbanken, auch gegen den Widerstand von Regierungen eine konsequent stabilitätsorientierte Geldpolitik zu betreiben, ist abhängig von dem Vertrauen und der Unterstützung durch die Bevölkerung. Dieses Vertrauen hatte die Bundesbank stets zu Zeiten der D-Mark. Zwischen der EZB und der Bevölkerung in Europa fehlt dieser Vertrauens- und Unterstützungs-Konnex. Das liegt auch daran, dass es keine europäische Öffentlichkeit gibt. Vor allem in den Nordländern mangelt es am Vertrauen der Bevölkerung in die Institution EZB. Und es wird völlig wegbrechen, wenn die Geldentwertung voranschreitet und die EZB dem tatenlos zusieht. 

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Müssen wir uns von der Idee politikfreier Notenbanken verabschieden? 
Nicht unbedingt. Die Politisierung ließe sich durchaus stoppen. Im Fall der EZB müssten dazu die Länder des Nordens unter Führung der Bundesbank bereit sein, nicht länger den Konsens mit der Mehrheit der Südländer im EZB-Rat zu suchen, sondern einen offenen Dissens riskieren. Die Nordländer haben zwar keine Mehrheit im EZB-Rat. Aber sie sind das wirtschaftliche Rückgrat Europas, und gegen dieses kommt auf Dauer niemand an. Um einen offenen Konflikt im EZB-Rat zu riskieren, braucht man Mut. Denn Mut, so schrieb Ernst Jünger, ist der Wind, der zu neuen Ufern treibt.  Ist Herr Weidmann bereit, nach neuen Ufern zu streben?

Mehr zum Thema: Klimawandel, Genderfragen, Kampf gegen Rassismus: Die großen Notenbanken schicken sich an, mit den Instrumenten der Geldpolitik die politisch angesagten Ziele unserer Zeit zu unterstützen. Damit aber überfordern sie sich – und die Wirtschaft.

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