EZB, Fed und Co. Grüne Geldpolitik der Zentralbanken: Dürfen die das?

Proteste von Klimaschützern vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt im Oktober. Bild: dpa Quelle: dpa

Das Thema Geldpolitik und Klimaschutz rückt immer mehr in den Fokus der Notenbanken, weshalb sie sich in einem grünen Netzwerk organisieren. Das wirft die Frage auf: Wie weit dürfen sie dabei gehen?

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Frank Elderson, Vorstandsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), fährt schwungvoll mit dem Fahrrad um die Kurve, neben ihm Wiesen und Weiher, über ihm ein wolkenvergangener Himmel. Dann spricht der Niederländer über aus nachhaltigem Material gebauten Windmühlen: Mit der Kraft erneuerbarer Energie hätten diese im 17. Jahrhundert der Gesellschaft zu Wohlstand verholfen und ein wirtschaftlich goldenes Zeitalter eingeläutet.

Diese Szene stammt aus einem Video des Networks for Greening the Financial System (NGFS), dem Elderson vorsteht. Es ist ein Netzwerk aus fast allen wichtigen Zentralbanken weltweit, die gemeinsam die Frage beantworten wollen, wie Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum zusammengehen – und welche Rolle die Zentralbanken dabei spielen sollten.

Bald könnte Elderson für seine Fahrradtouren einen prominenten Begleiter bekommen: Jerome Powell, Chef der US-amerikanischen Federal Reserve Bank (Fed). Mitte Dezember sind auch die Amerikaner dem NGFS beigetreten. Die Abwesenheit der US-Notenbank war bisher die größte Schwäche des grünen Netzwerkes. Nun dürfte die Gruppe (geld-)politisch weiter an Einfluss gewinnen. „Der Beitritt der Fed ist ein game changer“, glaubt NGFS-Generalsekretär Morgan Després.

Der Anfang des NGFS liegt in Paris, wo sich 2017 acht Zentralbanken aus Deutschland, Frankreich, China, England, Mexiko, den Niederlanden, Schweden und Singapur auf dem „One Planet Summit“ zusammentaten, um sich über den „Übergang zu einer grünen und CO2-armen Wirtschaft“ auszutauschen. Després sieht das NGFS als „Koalition der Willigen“. Alle Zentralbanken und öffentlichen Finanzinstitute, die sich für eine stärkere Berücksichtigung des Klimawandels im Finanzsystem interessieren, dürfen beitreten.

Die Zahl dieser Willigen ist seit der Gründung des Netzwerkes stark gestiegen: Mittlerweile zählt das NGFS 83 Mitglieder weltweit. Als letzte große Zentralbank fehlt nur noch die Bank of India. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank sind Teil des Netzwerkes.

Das NGFS hat keine Entscheidungsgewalt und kein eigenes Mandat, sondern definiert sich als Austauschplattform über Ideen, Methoden und „best practices“. Die sollen die Entscheider der Zentralbanken mit nach Hause nehmen, um sie dort in Arbeit und Planung der Finanzinstitute einfließen zu lassen.

Die große Frage, die sich Banker, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker dabei stellen, lautet: Dürfen die das? Denn die grüne Initiative ist in einer Zeit geboren, in der das Mandat der Zentralbanken ohnehin Gegenstand einer heißen Diskussion ist. In Europa wird spätestens seit den Anleihekäufen der EZB in der Schuldenkrise über die Rolle der Zentralbank gestritten. Inwieweit darf und soll sie in das Feld der Wirtschaftspolitik eindringen, inwieweit soll sie ihre Unabhängigkeit sichern und sich auf ihr satzungsgemäßes Primärziel, die Preisniveaustabilität, beschränken?

Der langjährige Chefvolkswirt von Bundesbank und EZB, Otmar Issing, sah schon 2018 eine „Politisierung der Geldpolitik“ und warnte, dass die Erwartungen an die Steuerungsmöglichkeiten der Zentralbanken überfrachtet seien. Stattdessen sollten sie sich „darauf beschränken, das Geld stabil zu halten“.

Gleichwohl wird  in Politik und Teilen der Wissenschaft die Forderung lauter, dass Zentralbanken in ihrem Handeln die Auswirkungen auf den Klimawandel stärker berücksichtigen sollten. Eine Steilvorlage für EZB-Chefin Christine Lagarde: „Ich möchte jeden möglichen Weg erkunden, um den Klimawandel zu behindern“, sagte sie im Juli der „Financial Times“.

Heute trifft sich die EZB-Chefin deshalb virtuell mit wichtigen deutschen Finanzakteure wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, Finanzstaatssekretär Jörg Kukies und Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Auch sie treibt die Frage um, mithilfe welcher Konzepte das Finanzwesen grüner werden kann und welche Rolle die Zentralbanken dabei spielen sollte.

Das Thema wird nicht nur diesseits des Atlantiks diskutiert. Auch die Fed, die sich mit dem Beitritt zum NGFS lange schwertat, hat in ihrem Finanzstabilitätsbericht im November zum ersten Mal auf die Gefahren des Klimawandels hingewiesen. Sie bezieht sich damit auf einen Punkt, mithilfe dessen viele Verfechter einer grünen Finanzpolitik die Gründung des NGFS und den Sinneswandel bei den Zentralbanken rechtfertigen.

Der NGFS selbst formulierte in seinem ersten großen Bericht im April 2019 die eigene Existenzberechtigung so: „Der Klimawandel hat einen strukturellen Wandel in der Wirtschaft und dem Finanzsystem zur Folge – deshalb ist er Teil des Mandats der Zentralbanken“.

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