
Oulu liegt 600 Kilometer entfernt von Helsinki, 2000 von Brüssel. Weit weg von allem, außer vom Polarkreis – und vom Kern der finnischen Krise. Vor ein paar Jahren noch war die Stadt ein wichtiges Zentrum der europäischen IT-Industrie. Allein Nokia beschäftigte hier knapp 5000 Menschen, rund um die Hochschule siedelten sich die Niederlassungen amerikanischer IT-Firmen und lokaler Start-ups an. Wachstum durch Bildung und Innovation, so lautete die Erzählung der Stadt, es war die des ganzen Landes.
2015 kommen aus Oulu vor allem schlechte Nachrichten. Microsoft baut Runde für Runde Mitarbeiter ab, jetzt schließt auch noch der traditionsreiche Kaufhauskonzern Stockmann seine Niederlassung. Die Arbeitslosenquote liegt inzwischen bei 18 Prozent Wieder steht Oulu für die Entwicklung des Landes.
Nur kündet diese jetzt vom Niedergang. Während in Helsinki am Wochenende ein neues Parlament gewählt wird, spitzt sich die wirtschaftliche Lage im Land dramatisch zu. Hinter Finnland liegen drei Rezessionsjahre, gerade hat die Regierung ihre Wachstumsprognose für 2015 von 1,0 auf 0,5 Prozent gesenkt.
Wissenswertes über Finnland
Finnland ist zwar nur wenig kleiner als Deutschland, dafür hat das Land im Norden lediglich 5,4 Millionen Einwohner. Die Mehrheit davon wohnt im Süden des Landes und im Großraum Helsinki. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung leben in Südfinnland, das entspricht einer Dichte von 62,6 Einwohnern pro Quadratkilometer. Im Norden des Landes, in Lappland, sind es nur 1,9 Einwohner je Quadratkilometer.
Die finnische Nationalhymne wird in mehrfacher Hinsicht geteilt: Zum einen benutzt Estland die gleiche Melodie (komponiert von Fredrik Pacius) als Nationalhymne, zum andern existiert die finnische Hymne in zwei Sprachen. Ein Großteil der Bevölkerung singt die Maamme (finnisch), während ein kleiner Teil Vårt land (schwedisch) singt. Die autonome Provinz Åland hat ihre ganz eigene Nationalhymne, das Ålänningens sång.
Wegen der schwedischen Minderheit müssen alle Gemeinden, in denen Finnisch und Schwedisch sprechende Menschen leben, Unterricht in beiden Sprachen anbieten. Die Schulpflicht gilt in Finnland wie auch in Deutschland bis zum 16. Lebensjahr. Neun Jahre lang gehen die Finnen in die peruskoulu, eine Art gemeinsame Grundschule.
In Finnland haben drei Konzerne die Macht über den Lebensmittel- und Getränkemarkt: S-Markt, K-Markt und Suomen Lähikauppa halten gemeinsam fast 90 Prozent. Ausländische Konzerne und Ketten haben es wegen des geringen Marktvolumens eher schwer. Bäckerei- oder Fleischerketten gibt es in Finnland kaum.
Die Finnen verkaufen seit jeher Holz und Papier. In den Siebzigerjahren machten diese Industriezweige über die Hälfte des finnischen Exportes aus. Dann kamen Nokia und Co. und Finnland wandelte sich von einer Agrar- zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Doch auch heute noch stellen die finnischen Wälder den wichtigsten Rohstoff des Landes dar.
Dennoch sind mittlerweile Maschinen der finnische Exportschlager (8,4 Milliarden Euro in 2010). Sie machen 16 Prozent des Exports aus. Gefolgt von Papier und Pappe mit 14 Prozent (7,3 Milliarden Euro im Jahr 2010). Außerdem ist Heavy Metal in Finnland ausgesprochen populär. Die Finnen versorgen Europas und Amerikas Metal-Fans mit Rock- und Metalbands wie Children of Bodom, Nightwish oder dem Eurovision Song Contest-Gewinner Lordi.
Namhafte Finnen sind die Regisseure Aki und Mika Kaurismäki, die Komponisten Jean Sibelius und Levi Madetoja, sowie die Rennfahrer Mika Häkkinen und Kimi Räikkönen. Der reichste Finne ist laut aktueller Forbes-Liste übrigens Antti Herlin, der es dank seiner Maschinenbau- und Servicefirma KONE Corporation auf ein Vermögen von rund zwei Milliarden Dollar gebracht hat.
Der gemeine Finne betätigt sich gern sportlich, zum Teil auch in kuriosen Disziplinen. Großer Beliebtheit erfreut sich in Finnland beispielsweise das Frauentragen. Die "Wife Carrying World Championship Games" finden in Sonkajärvi in Ostfinnland seit 1992 statt. Genauso beliebt sind Melkschemel- oder Handy-Weitwurf, Mückenklatschen und Beeren pflücken als Teamsport. Seit 2011 finden übrigens auch Weltmeisterschaften im Schlammfußball in Finnland statt.
Alkohol ist in Finnland verhältnismäßig teuer, auch wenn 2004 die Alkoholsteuer um 33 Prozent gesenkt worden ist. Auch der Verkauf ist streng reglementiert: Getränke mit mehr als 4,7 Prozent Alkoholgehalt dürfen nur in staatlichen Monopolgeschäften, den Alkoshops, verkauft werden. Wer in der Kneipe eine Flasche Bier bestellt, muss 18 Jahre alt sein und mit fünf Euro pro Flasche rechnen. Vom Trinken scheint das die Finnen aber nicht abzuhalten. Im Jahr 2005 war Alkohol die häufigste Todesursache unter Finnen im arbeitsfähigen Alter.
Arbeitslosenzahlen wie in Südeuropa
Am Ende dürfte sie froh sein, wenn überhaupt mal wieder ein Plus vorne steht. Denn nicht nur am Polarkreis ist die Arbeitslosenquote zuletzt stark angestiegen. Insgesamt sind derzeit zehn Prozent der Finnen ohne Job, unter den Jugendlichen sind es sogar 25 Prozent.
Das sind Zahlen, die nach Südeuropa klingen. Doch während dort die Wirtschaft langsam auf die Beine kommt, dank zum Teil durchgreifender Reformen und gestützt durch das billige Geld der Europäischen Zentralbank, scheinen die Impulse aus Frankfurt irgendwo zwischen Kiel und Helsinki in der Ostsee unterzugehen.
So wie Oulu die Stadt zu den Wechselfällen der finnischen Wirtschaft ist, so ist Juha Sipilä ihr Gesicht. Sipilä stammt aus Oulu, 1998 gründete er dort das Telekommunikationsunternehmen Fortel und wurde durch den Verkauf zum Millionär. Er hat die Höhen voll ausgekostet, jetzt will er sich auch in der Krise nützlich machen.
Am Wochenende könnte er Ministerpräsident werden. So sehen die Umfragen allesamt die Zentrumspartei vorne, die zwischen 23 und 26 Prozent der Stimmen erreichen dürfte. Deren Chef Sipilä führt auch alle Umfragen an, in denen es um die persönliche Eignung als Ministerpräsident geht.
Dahinter rangeln die liberale Koalitionspartei des aktuellen Ministerpräsidenten Alexander Stubb und die Sozialdemokraten um den zweiten Platz, auch die die Rechtspopulisten haben darauf noch Chancen. Hoffnungen auf einen Wahlsieg, wie noch bei der letzten Abstimmung, können sie sich aber nicht mehr machen.





Der Staat verkauft Anteile an Mobilfunkkonzern
Nach der Wahl wird es daher wohl recht komplizierte Koalitionsverhandlungen geben, mit denen die Finnen aber Erfahrung haben. Das System ist hier zwar nicht so institutionalisiert wie in der Schweiz – aber auch in Finnland sind wechselnde Koalitionen bekannter Partner ein übliches Bild. Denn die großen vier Parteien und die Grünen sind sich schon jetzt im Kern darüber einig, was in Finnland getan werden muss: Ausgaben runter, Steuern rauf. So soll der Haushalt wieder ins Lot kommen.
Denn längst schlägt die Krise auch auf die Staatsfinanzen durch. Die Neuverschuldung wird 2015 laut Finanzministerium auf 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen, ein Rückgang unter die Maastricht-Grenze von drei Prozent ist erst für 2018 geplant.
Selbst um das zu schaffen, muss vieles gelingen. Denn der Staat geht bereits heute an sein Tafelsilber. So muss die staatliche Beteiligungsgesellschaft Solidium in diesem Jahr mindestens eine Milliarde Euro zur Haushaltssanierung beitragen. Die Hälfte der Anteile am schwedisch-finnischen Mobilfunkkonzern Telia Sonera wird der Staat dafür verkaufen.