Freytags-Frage

Sollten wir die Unternehmenssteuer in Europa angleichen?

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Das Dilemma der Steuerpolitik

Wahrscheinlich ist das Gegenteil der Fall. Der Faktor Kapital zahlt nur wenig Steuern. Allein die Drohung, sich zurückzuziehen, führt häufig zu Steuernachlässen für global tätige Unternehmen. Diese werden entweder in komplexe Ausnahmen verpackt, die das Publikum kaum durschaut, oder sie werden in Form von Ansiedlungsprämien gezahlt.

In diesem Fall geht die Politik mit den Unternehmen eine Art impliziten Vertrag ein: Das international mobile Kapital zahlt Steuern, damit der Anschein der Sozialverträglichkeit bewahrt bleibt, bekommt diese aber in Form von Ansiedlungsprämien oder sonstiger Subventionen zurück. Das ist zwar aus Sicht der Menschen nicht erstrebenswert, aber es sichert wenigstens die Investitionen am Standort. Man muss sich nur die zentralen Aufgabenfelder der Wirtschaftsministerien der Bundesländer ansehen. Sie liegen in der Anwerbung von Unternehmen. Zentrale Instrumente sind Prämien, subventionierte Flächen oder Erschließungen etc. – es geht also immer um finanzielle Vergünstigungen.

Der Nokia-Fall in Bochum vor gut zehn Jahren beleuchtet diese Praxis anschaulich: Ziemlich genau an dem Tag, als die vom Land Nordrhein-Westfalen und Nokia vereinbarte Frist der wirtschaftlichen Aktivität von Nokia (ohne die Subventionen zurückzahlen zu müssen) auslief, gab das Unternehmen die Aufgabe des Standortes und eine Neuinvestition in Rumänien bekannt, zu der es aber nicht mehr kam. Die Empörung war groß, der Zynismus dieser Vereinbarung wurde deutlich.

Man muss davon ausgehen, dass diese Art der Ansiedlungspolitik weltweit stattfindet. Insofern ist es falsch, den Steuerwettbewerb isoliert zu betrachten; der Subventionswettlauf muss ergänzend betrachtet werden. Hiermit gleichen gerade die reichen Mitgliedsländer der EU den vermeintlichen Steuernachteil regelmäßig aus.

Wenn Herr Macron die Harmonisierung und die Vermeidung eines ungesunden Steuerwettbewerbs ernsthaft anstrebt, muss er diese Zahlungen in den Blick nehmen. Sie zu verbieten und dieses Verbot durchzusetzen, erscheint nahezu unmöglich, auf jeden Fall aber komplizierter als die Vereinheitlichung von Steuersätzen. Vielleicht wird es Zeit anzuerkennen, dass man den international mobilen Faktor, der immerhin für Beschäftigung der immobilen Faktoren (dazu gehören ja immer noch einige Unternehmen) sorgt, schlechter besteuern kann als Menschen, die immer an irgendwelche Standorte gebunden sind. Immerhin könnte man sich damit ein wenig beruhigen, dass am Ende die Eigner von Kapital immer Menschen sind. Es wäre dafür aber sicher von Vorteil, wenn die Vermögensverteilung weltweit nicht so ungerecht wäre.

Man erkennt das grundsätzliche Dilemma der Steuerpolitik gegenüber den Unternehmen. Ob der Vorschlag von Emanuel Macron vor diesem Hintergrund wirklich für mehr Gerechtigkeit sorgen würde, bleibt offen.

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