Großbritannien und EU May ist beim Brexit noch längst nicht am Ziel

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May droht heftiger Streit in ihrem Kabinett

So versuchte May am Mittwoch stundenlang, ihr Kabinett auf Linie zu bringen. Um 15 Uhr kam ihr Kabinett zusammen, um über Annahme oder Ablehnung des Vertragsentwurfs zu entscheiden. Für May gilt es hierbei die erste wichtige Hürde zu nehmen: Es droht der Showdown mit ihrer Ministerriege. Doch ob das Kabinett das Abkommen annehmen wird, ist nach wie vor offen. Über die Ergebnisse der Kabinettsberatung will May am Donnerstag im Parlament eine Erklärung geben.
Bei der Sitzung dürfte es turbulent zugehen: Mehrere Kabinettsmitglieder, darunter Brexit-Minister Dominic Raab, Handelsminister Liam Fox und Innenminister Sajid Javid sollen schon im Vorfeld große Vorbehalte angemeldet haben. Es kursieren gar Gerüchte, dass fünf oder sechs Minister mit Rücktritt drohen werden. Nicht auszuschließen, dass neben den harten Brexitiers, wie Raab und Entwicklungsministerin Penny Mordaunt, auch einige pro-Europäer den Entwurf ablehnen könnten. Schließlich hatte Ex-Verkehrsminister Jo Johnson, Bruder des schillernden Boris und ein überzeugter Verfechter der britischen EU-Mitgliedschaft, Ende vergangener Woche mit der Begründung das Handtuch geworfen, er könne einen Kompromiss, der Großbritannien schlechter stellen würde als der Status Quo, nicht mittragen.

Deshalb könnte es sehr eng werden für Theresa May. Gelingt es ihr nicht, ihrem Kabinett die Unterstützung für ihren Plan abzutrotzen, dann wäre der Scheidungsvertrag nicht nur Makulatur sondern möglicherweise auch ihre eigene politische Karriere als Premierministerin am Ende. Eine Meuterei ihres Kabinetts könnte nämlich drei Folgen haben: eine erneute Überarbeitung des Entwurfs durch die Beamten, den Sturz der Premierministerin und sogar Neuwahlen.

Der nun vorliegende Austrittsvertrag ist allerdings auch mit Zustimmung des Kabinetts noch keineswegs unterschriftsreif. Fast noch größer ist nämlich die nächste Hürde. Denn ob May ihn erfolgreich durchs Parlament bekommt ist ebenfalls äußerst ungewiss. Als Premierministerin einer Minderheitsregierung ist sie dort dringend auf die Unterstützung der zehn Abgeordneten der nordirischen DUP angewiesen. Deren Fraktionschef Nigel Dodd hatte allerdings bereits Zweifel angemeldet, dass er und seine Parteifreunde den Entwurf akzeptieren werden. Zwar hatte die DUP bisher noch keine Gelegenheit ihn zu lesen, aber sie befürchtet, dass in der nordirischen Provinz nach dem Brexit künftig Vorschriften, Bestimmungen und Kontrollen gelten könnten, die von denen im restlichen Großbritannien abweichen.

Lautstarke Kritik kommt auch aus Mays eigener Partei – von den Euroskeptiker unter Führung des Erzbrexitiers Jacob Rees-Mogg. Der erklärte noch am Dienstagabend, er sei so unzufrieden, dass er May seine Unterstützung versagen werde. Beobachter schätzen, dass bis zu 20 Rebellen unter den euroskeptischen Tories seiner Empfehlung folgen werden. Möglicherweise werden aber auch einige europafreundliche Konservative May die Gefolgschaft aufkündigen.

Alles in allem benötigt die Regierungschefin 320 Stimmen, um den Brexit-Vertrag vom Parlament absegnen zu lassen. Da die schottischen Nationalisten mit ihren 35 Abgeordneten geschlossen dagegen stimmen wollen, wird May unter Umständen darauf angewiesen sein, dass sie einige abtrünnige Labour-Politiker auf ihre Seite ziehen kann. Ob ihr das gelingt? Labours Schattenbrexitminister Keir Starmer will unbedingt erreichen, dass May Großbritannien dauerhaft in einer Zollunion mit der EU bleibt und Oppositionschef Jeremy Corbyn will May eigentlich eine Niederlage beibringen um Neuwahlen zu erzwingen. So ist bisher offen, wie Labour sich bei der Abstimmung verhalten wird.

So oder so hoffen Brüssel und London nun, dass ein EU-Sondergipfel am 25. November möglich sein wird. Für die Unternehmen aber ist entscheidender, dass der Scheidungsvertrag noch vor Weihnachten vom britischen Parlament abgesegnet wird und damit Gewissheit besteht, dass im bilateralen Handel mit Großbritannien auch nach dem offiziellen Austrittstermin am 29. März 2019 für eine Übergangsperiode von mindestens zwanzig Monaten die Bedingungen der Zollunion und des Binnenmarktes gelten. Viele Unternehmer haben ihre Notfallpläne für einen No-Deal-Brexit nämlich schon auf dem Schreibtisch und spätestens ab Weihnachten wären sie gezwungen diese dann auch umzusetzen.

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