Monsieur van Dormael, bei den Terroranschlägen in Brüssel starben vergangenen Dienstag Duzende Menschen, hunderte wurden verletzt. Darf man in Zeiten des Terrors noch lachen?
Wenn wir nicht mehr lachen, haben die Terroristen gewonnen. Meinen Film „Das brandneue Testament“ haben wir geschnitten, als in Paris im Januar 2015 das Attentat auf die Satirezeitung Charlie Hebdo stattfand. Wir haben uns gefragt, ob wir mit dem Film weiter machen können. Und dann haben wir haben beschlossen, dass wir weiterhin mit allen über alles lachen dürfen.
In Ihrem Film „Das brandneue Testament“ erhalten alle Menschen den Todeszeitpunkt per SMS. Aus heutiger Sicht wirkt das sehr makaber. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Ein Lehrer von mir sagte, die Qualität eines Drehbuch lässt sich daran ablesen, wie abgewetzt die Hose des Autoren vom Sitzen ist.
Zur Person
Jaco Van Dormael (59) ist in Brüssel geboren, lebte aber als Kind bis zum Alter von sieben in der Nähe von Frankfurt, ehe er in seine Heimatstadt zurückkehrte. Mit seinem ersten Spielfilm "Toto le héros" gewann der Regisseur 1991 die Palme d´Or in Cannes. Erst mit seinem jüngsten Film "Das brandneue Testament" ist er in Deutschland bei einem breiteren Publikum bekannt geworden. Der Film ist ab 7. April als DVD, Blu-ray und VoD erhältlich.
Man muss schreiben, umschreiben, sitzen bleiben. Ich wollte einen Film machen, in dem Gott eine Frau und eine Tochter hat. Als Kind habe ich mich darüber gewundert, dass in der Bibel über Hunderte von Seiten Frauen nicht zu Wort kommen. In meinem Film ärgert die Tochter ihren Vater, indem sie das am besten gehütete Geheimnis preisgibt: Unseren Todestag. Der Akt der Rebellion des Mädchens führt zum Thema des Films: Was machen wir, bevor wir sterben?
In Ihrem Film machen die Menschen nicht viel, bevor sie die SMS bekommen…
…meine Figuren haben ihr Leben in kleine Kisten gepackt, und halten den Inhalt für ihr ganzes Leben. Sie halten sich im Wartesaal des Glücks auf, ohne das Glück je kennenzulernen.
Zwingt der Tod uns, dem Leben einen Sinn zu geben, wie das der Philosoph Martin Heidegger postuliert hat?
Wir alle kennen die Situation, in der ein Angehöriger krank wird, und auf einmal jeder Augenblick wertvoll ist. Ohne den Tod vor Augen verschieben wir das Glück auf morgen und machen vielleicht in drei Jahren das, worauf wir wirklich Lust haben.
Denken Sie denn oft an Ihre eigene Sterblichkeit?
Ich weiß, dass es mir gut tut, daran zu denken, ich treffe dann radikalere Entscheidungen. Aber die meiste Zeit lebe ich so, als ob ich 250 Jahre alt werden würde.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich habe da keine Antwort, tendiere aber eher zu einem Nein. Ich glaube, das Paradies ist im Hier und Jetzt.
Seit dem vergangenen Herbst kennt die Welt den Brüsseler Stadtteil Molenbeek, meist versehen mit dem Zusatz Problemviertel…
Ja, das ist schon komisch, selbst in den USA wurde ich darauf angesprochen. Viele Szenen im Film wurden in Molenbeek gedreht, ich habe dort geprobt. Dass sich Menschen in Brüssel verstecken, ist übrigens nichts Neues. Victor Hugo, kam nach Brüssel, um sich hier zu verstecken, Karl Marx hat das Kapital im Stadtteil Ixelles geschrieben.
In der Soziologie gibt es die Terror-Management-Theorie, die besagt, dass wir weniger tolerant werden, wenn mit dem Tod konfrontiert und dass wir uns hinter kulturellen Normen verschanzen. Passiert das gerade?
Wir erleben gerade, wie Religion verwendet wird, um Macht auszuüben und Angst zu sähen. Der französische Philosoph Gilles Deleuze hat einmal gesagt, dass sowohl die Religion als auch das Kino versuchen, den Menschen zu suggerieren, das Leben hätte einen Sinn. Es wird eine Illusion hergestellt. In der Religion wird das Erzählen von Geschichten benützt, um Macht auszuüben.