Italien-Schreck lass nach Europas schillerndste Regierung im Wirtschafts-Check

Quelle: Getty Images

Gleich nach der Wahl zitterten die Märkte vor Italiens neuer Regierung. Am Samstag ist sie 100 Tage im Amt: Politisch ist sie die erwartete Chaos-Truppe – zum ökonomischen Schreckgespenst taugt sie nicht.

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Das stählerne Monster also. Ein Stahlwerk, ganz unten am Stiefel der italienischen Landkarte gelegen, das größte Europas und gewissermaßen ein Symbol für die Lage im Land: Seit Jahren läuft der Betrieb im Stahlwerk Ilva irgendwie weiter, seit Jahren wissen aber auch alle Beteiligten, dass es angesichts horrender Verluste, absurder Subventionen und irrsinniger Umweltverschmutzung so nicht weitergeht. Es geht aber weiter. Und das ist der Stand, da das Thema nun, da er seit 100 Tagen im Amt ist, auf dem Schreibtisch von Italiens Vize-Ministerpräsident und Industrie- und Sozialminister Luigi di Maio landet.

Di Maio, Vorsitzender der größten Regierungspartei „Fünf Sterne“, hat seinen Wahlsieg vor allem der überragenden Mehrheit im Süden des Landes zu verdanken. Insbesondere gegen das Stahlwerk hat er Wahlkampf gemacht, die Schließung und Umwandlung in einen Freizeitpark versprochen. Nun aber, da er an der Macht und für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zuständig ist, fällt das alles etwas schwerer. Um gut 13.000 Arbeitsplätze im strukturschwachen Apulien geht es. Und mit dem Stahlkonzern ArcelorMittal stände ein Interessent für die Übernahme bereit, wenn der italienische Staat etwa helfen würde. Nun ist di Maio in einem Dilemma: lässt er sich auf den Deal ein oder bleibt er bei seiner Position aus dem Wahlkampf?

Bisher hat di Maio beides versucht: Mal bezweifelte er die Rechtmäßigkeit einer Vor-Vereinbarung, die die Vorgängerregierung bereits mit Mittal traf. Mal führte er eine Wiederverstaatlichung an, dann doch eher eine Schließung und versprach den Stahlarbeitern, sie woanders zu beschäftigen. Doch nun geht die Laviererei zu Ende: di Maio hat sich dafür entscheiden, das Stahlwerk irgendwie weiter laufen zu lassen. Immerhin wäre er damit gewissermaßen auf Linie zur bisherigen Wirtschaftspolitik der Regierung aus „Fünf Sternen“ und der rechtsextremen Lega: Es wird bombastisches, zum Teil Märkte erschütterndes, angekündigt. Dann aber Kompromisspolitik umgesetzt.

Italiens neue Regierung hat teure Wahlversprechen gemacht, trotz hoher Verschuldung. Dennoch: Mittels massiver neuer Schulden sollten sie realisiert werden. Lässt sich eine noch größere Euro-Krise verhindern?
von Stefan Bielmeier

Der Schreck in Euro-Land war groß, als sich im Mai die beiden Gewinner der italienischen Parlamentswahlen zu einer Regierung zusammenschlossen: die Lega und die „Fünf Sterne“, so schien es, könnten eine neue Krise des Euros herbeibeschwören, weil sich viele ihrer Versprechungen sehr ausgabenintensiv vom Mainstream der Brüsseler Wirtschaftspolitik unterschieden. Vor allem den beiden Vizepremiers, di Maio und dem Lega-Chef Matteo Salvini, schlug das Misstrauen entgegen. Sie seien die wahren Anführer des Bündnisses, nicht der bis dahin völlig unbekannte Premier Giuseppe Conte. Und deswegen sei mit wenig Gutem zu rechnen. Was aber wurde aus den Schreckensvisionen?

Nach den ersten drei Monaten hat die Regierung sechs konkrete Gesetze auf den Weg gebracht, die meisten davon sind technischer Natur. An den Märkten jedenfalls hat sich die Lage beruhigt: Zwar kursieren immer wieder Angstszenarien, aber insgesamt sind weder die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen wahnsinnig nach oben ausgeschlagen, noch ist das Land in den Ratings der entsprechenden Agenturen dramatisch eingebrochen – es steht eher unter Dauerbeobachtung. Das liegt daran, dass die Regierung in den drei wesentlichen Bereichen der Wirtschaftspolitik bisher vor allem angekündigt, aber wenig konkret umgesetzt hat. Das unterscheidet die Wirtschaftspolitik von anderen Politikbereichen – etwa der Flüchtlingspolitik, in der insbesondere die Lega um Salvini mit offen rechtsradikalen Positionen das öffentliche Klima im Land dramatisch ins Negative gedreht hat.

Haushalt: der große Unsicherheitsfaktor 

Es ist der größte Unsicherheitsfaktor: Gibt die Italienische Regierung mehr Geld aus, als der Brüsseler Stabilitätspakt ihr erlaubt? Nach entsprechend deftigen Äußerungen vor allem von Rechtsaußen Salvini in der Vergangenheit – („Der Stabilitätspakt ist mir Scheißegal“) – ist dort vor allem wegen des Einflusses des parteilosen Finanzministers Giovanni Tria zunächst Beruhigung eingekehrt. Die italienische Regierung hat sich zu den von der EU vorgegebenen Haushaltszielen bekannt. „Wir wollen den Finanzmärkten und der EU einen seriösen Haushalt präsentieren, der das Wachstum fördert“, sagt Salvini nun. Der Haushalt für das Jahr 2019 solle die Vorgaben der EU erfüllen.

Die schier endlosen Finanzprobleme der südeuropäischen Länder
Mit einem Wachstum von 2,7 Prozent lag Portugal 2017 in der Eurozone gut vorne. Quelle: dpa
Portugals Ministerpräsident António Costa Quelle: dpa
Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy ist einer der wichtigsten Verbündeten von Angela Merkel bei der Gestaltung der Zukunft der EU. Quelle: dpa
In Sachen Wirtschaft kann man der spanischen Rajoy-Regierung aber nicht viel vorwerfen. Sie zog das Land mit Reformen und Sparplänen aus der Krise. Quelle: dpa
Arbeitslose stehen in einer Schlange vor einem Arbeitsamt in Alcala de Henares, bei Madrid, Spanien. Quelle: dpa
Sergio Mattarella, Präsident von Italien, spricht nach einem Treffen mit dem designierten Ministerpräsidenten Conte, vor Journalisten. Quelle: dpa
Nach einer langen Rezession wächst die Wirtschaft erst wieder seit 2015, aber nur schwach. Quelle: imago images

Salvini signalisierte zudem, dass nicht alle Reformen aus den Wahlprogrammen der Regierungsparteien sofort umgesetzt werden sollen: „Es ist klar, dass wir nicht alles gleichzeitig machen werden.“ Die Italiener würden dies auch nicht erwarten. Laut Informationen der Tageszeitung „Il Messagero“ ist Salvini bereit, die von der Regierung geplante Steuerreform zu verschieben. Salvini wolle lediglich ein Haushaltsdefizit von leicht über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Auch di Maio sagte in einem Radiointerview, dass er keine Differenzen mit dem Tria habe. Tria steht für eine solide Haushaltspolitik. Man stehe auch nicht in Opposition zur Europäischen Union. Die Frage ist so entscheidend, weil Italien nach Griechenland im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) die höchste Verschuldung in der Eurozone hat. Entsprechend positiv reagierten die Märkte auf die Aussagen: Die Risikoaufschläge (Spreads) auf italienische im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen fielen diese Woche.

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