
Das Stück über die Flüchtlingskrise auf den Bühnen der Medienhäuser ist vorläufig abgesetzt, der Vorhang zu - und alle Fragen offen. Seit den Landtagswahlen vor zwei Wochen, seit dem Abkommen der Europäischen Union mit der Türkei und natürlich erst recht seit den Terror-Anschlägen in Brüssel ist den Deutschen das Schicksal von flüchtenden Syrern, Afghanen und Irakern nicht mehr so wichtig.
Ihre Not rückt uns buchstäblich nicht mehr auf den Leib; die toten Kinder in Mittelmeer und Ägäis werden in den Tageszeitungen nach hinten durchgereicht - warum auch nicht, seit Politiker nicht mehr von Schutzsuchenden, sondern „illegalen Migranten“ sprechen. Auf den „humanitären Imperativ“ der Hilfe hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der de-facto-Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl reagiert.
Und den Schutz seiner Außengrenzen - einstmals der Kern der „Wertegemeinschaft“ Europa - hat die EU kurzerhand outgesourct an die rüpelnde Erdogan-Türkei. Anders gesagt: Die AfD hat auf ganzer Linie gesiegt. Europa hat wegen Rechtsruck geschlossen. Merkel-Deutschland winkt nicht mehr durch, sondern ab: Willkommen im griechischer Lagerhaft, jetzt gibt’s ein herzliches Schnellverfahren - und dann geht’s ab zurück nach Asien!
Status und Schutz von Flüchtlingen in Deutschland
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Viele von ihnen dürfen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen bleiben. Dabei reicht die Spannbreite vom Asylstatus bis zu einer befristen Duldung mit drohender Abschiebung.
Flüchtlinge, die in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden, haben laut Artikel 16 a des Grundgesetzes Anspruch auf Asyl. Hierfür gibt es allerdings zahlreiche Schranken, die Ablehnungsquote bei Asylanträgen liegt bei 98 Prozent. Schutz und Bleiberecht etwa wegen religiöser Verfolgung oder der sexuellen Orientierung wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Für die Praxis spielt die genaue rechtliche Grundlage allerdings keine Rolle: Anerkannte Asylberechtigte erhalten gleichermaßen eine Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren überprüft wird. Auch bei den staatlichen Unterstützungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Kindergeld, gibt es keine Unterschiede.
Sogenannten subsidiären, also nachrangigen, Schutz erhalten Flüchtlinge, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, in ihrer Heimat aber ernsthaft bedroht werden, etwa durch Bürgerkrieg oder Folter. Sie sind als „international Schutzberechtigte“ vor einer Abschiebung erst einmal sicher und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr. Die Erlaubnis wird verlängert, wenn sich die Situation im Heimatland nicht geändert hat.
Eine Duldung erhält, wer etwa nach einem gescheiterten Asylantrag zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn kein Pass vorliegt oder es keine Flugverbindung in eine Bürgerkriegsregion gibt. Fällt dieses sogenannte Hindernis weg, droht dem Betroffenen akut die Abschiebung. Zu den Hindernissen für eine Abschiebung zählt unter anderem auch der Schutz von Ehe und Familie. Beispielweise kann ein Ausländer, der hier mit einer Deutschen ein Kind hat, nicht ohne weiteres abgeschoben werden.
Willkommen sind in Deutschland nicht mal mehr die rund 50.000 Flüchtlinge, die in den vergangenen Wochen in Griechenland gestrandet sind. Dabei hat SPD-Chef Sigmar Gabriel vor wenigen Monaten noch getönt, dass eine halbe Million Flüchtlinge pro Jahr gut verkraftbar seien. Dabei hat Merkel noch vor ein paar Wochen posaunt, die Flüchtlinge wären eine wirtschaftlich-demographische Chance für Deutschland - und Treiber einer gesellschaftlichen Veränderung, die sie ausdrücklich begrüße. Angesichts der seit Wochen offensichtlichen Probleme, die Griechenland mit der Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge hat, ist die Kluft zwischen deutscher Regierungspolitik und moralischem Selbstanspruch nur noch beschämend. Auch die Nonchalance, mit der das EU-Türkei-Abkommen als Erfolg verbucht wird - obwohl seine rechtlichen Grundlagen fragwürdig und unanständig sind, sein Ergebnis minimal und vorläufig - ist atemberaubend. Sind es wirklich nur Randnotizen, wenn eine Organisation wie „Ärzte ohne Grenzen“ ihre Arbeit einstellt, weil sie sich nicht „zu Komplizen eines Systems“ machen will, „das wir als unfair und unmenschlich ansehen“? Dass das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sich nicht an „Haftzentren“ beteiligen will - und das Abkommen für rechtlich bedenklich hält?
Flüchtlinge: Das ist der Integrationskatalog der CDU
Für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sollen Praktika mit Abweichungen vom Mindestlohn auf mindestens sechs Monate verlängert werden, um einen Berufseinstieg zu erleichtern. Schon heute sind Abstriche von den 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde bei betrieblichen Einstiegsqualifizierungen von bis zu zwölf Monaten möglich. Die CDU-Spitze verzichtete nach Protest der SPD und des Arbeitnehmerflügels der Union darauf, anerkannte Flüchtlinge mit Langzeitarbeitslosen gleichzustellen. Auch dann wäre eine Abweichung vom Mindestlohn von bis zu sechs Monaten möglich gewesen.
Quelle: CDU-Bundesvorstand / Reuters, Stand: 15.02.2016
Eine Anstellung in der Leiharbeitsbranche soll nach drei statt derzeit erst 15 Monaten möglich sein. Bei gemeinnützigen Organisationen soll stärker dafür geworben werden, Flüchtlinge in den von den Jobcentern geförderten Ein-Euro-Jobs zu beschäftigen.
Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und sogenannte subsidiär Schutzberechtigte sollen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht nur erhalten, wenn sie über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nachweisen, keine Straftaten begangen haben und ihren Lebensunterhalt sichern können. Auch der Familiennachzug soll von der erfolgreichen Teilnahme an Integrationskursen abhängig gemacht werden.
Die Hürde für eine frühe Teilnahme an Integrationskursen oder Förderprogrammen der Arbeitsagenturen noch vor Abschluss des Asylverfahrens soll höhergelegt werden. Laut dem im Oktober beschlossenen Asylpaket I reicht dafür bisher eine "gute Bleibeperspektive" aus. Diese wird bei Asylsuchenden aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von über 50 Prozent angenommen. Laut CDU-Papier soll "künftig eine 'sehr gute Bleibeperspektive' entscheidend sein, weil wir insbesondere Syrern und Irakern helfen wollen".
Die CDU strebt Gesetze von Bund und Ländern an, in denen verbindliche Integrationsvereinbarungen festgelegt werden sollen. In den Aufnahmeeinrichtungen sollen ein Basissprachkurs und ein Kurs zu Grundregeln des Zusammenlebens Pflicht sein und mit einem Abschlusstest versehen werden.
Asylberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten soll ihr Wohnsitz zugewiesen werden, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sichern können. Ausnahmen sollen möglich sein, wenn die Betroffenen am Wohnort ihrer Wahl einen Arbeitsplatz und eine eigene Wohnung nachweisen können.
Die CDU will prüfen lassen, ob die Schulpflicht für Flüchtlinge ohne Schulabschluss über das bisher geltende Alter von 18 Jahren hinausgehen soll. Im Entwurf stand noch eine angestrebte Altersgrenze von 25 Jahren.
Tatsächlich ist die Vertragskonstruktion in vielerlei Hinsicht heikel, um nicht zu sagen: tollkühn - der jüngste Beleg für eine Politik, die nur noch nachsorgend flickt und schustert - und dabei alle Prinzipien außer Kraft setzt, zu deren Verteidigung sie recht eigentlich vor Eintritt des Schadenfalles aufgerufen (gewesen) wäre. Erstens: Europa schützt seine griechische Außengrenze nicht mehr aus eigener Kraft und kraft eigener Souveränität, sondern lässt sie schützen - militärisch (NATO) und mit Hilfe der Türkei.
Bildlich gesprochen heißt das: Europa will künftig nicht mehr auf den Zinnen seiner beneidenswert reich ausgestatten Burg stehen, um eigenhändig seinen Wohlstand zu verteidigen, sondern nutzt Wassergräben, bezahlte Söldnertruppen und vorgelagerte Pufferzonen, um sich unschöne Abwehrkämpfe zu ersparen. Die sechs Milliarden Euro, die von Brüssel aus in die Türkei fließen, sind eine Prämie für die Delegation moralisch delikater Grenzbegegnungen.
Zweitens: Das individuelle Recht auf Asyl bzw. auf eine Prüfung des Asylantrags ist in Europa praktisch außer Kraft gesetzt. Es stand vor einem Jahr noch - auf ausdrücklichen Wunsch Deutschlands - jedem zu, der in Spanien, Italien, Griechenland europäischen Boden betrat (Einzelfallprüfung; Dublin-Verfahren). Jetzt nicht mehr. Statt dessen soll jeder Flüchtling aus Syrien, der seit dem 20. März Griechenland erreicht, in die Türkei zurückgeschickt werden - solange man davon ausgehen kann, er werde in der Türkei nicht verfolgt (also prinzipiell alle).