Im Laufe des Nachmittags heulten die Sirenen nicht mehr so oft. Auch die Helikopter, die Stunden lang über dem Brüsseler Europa-Viertel schwebten, drehten ab. Um 16 Uhr öffneten die drei großen Bahnhöfe in der Stadt wieder. Am frühen Abend soll die Metro wenigstens teilweise wieder den Betrieb aufnehmen.
Anders als in Paris, wo nach den tödlichen Anschlägen vom November, das öffentliche Leben still stand, müht sich Brüssel um Normalität. Die Schulen werden am kommenden Morgen wie gewohnt öffnen. Die Geschäfte ebenso.
Dabei kann an einem Tag, an dem die Terrororganisation IS mindestens 30 Menschen getötet und hunderte verletzt hat, nichts mehr normal sein.
Belgiens Premier Charles Michel sprach am Dienstag davon, dass eingetreten ist, was die Regierung befürchtet hatte: eine konzertierte Terroraktion.
Schon wenige Stunden nach den Explosionen am Flughafen von Brüssel und in der Metro-Station Maelbeek hieß es aus Sicherheitskreisen, dass die Attentate möglicherweise länger geplant waren. Wegen der Verhaftung des mutmaßlichen Attentäters von Paris, Salah Abdeslam, könnten sie vorgezogen worden sein.
Es wäre eine Machdemonstration des IS. Auf einen Fahndungserfolg der belgischen Sicherheitskräfte reagiert die Terrororganisation mit mehr Gewalt.
Die Angst ist groß: Im Tagesverlauf hatten sich in der belgischen Hauptstadt die Fehlalarme gehäuft. Am Königspalast, am Universitäts-Campus und in einer Tiefgarage in der Nähe des Südbahnhofs wurden verdächtige Päckchen gefunden, die sich als harmlos herausgestellt haben.
Aktuell lägen den Sicherheitskräften keine Anzeichen für weitere Anschläge vor, berichtet die Tageszeitung “De Tijd”. Aber Entwarnung kann natürlich auch niemand gegeben.
Das offizielle Sicherheitsniveau soll bis auf weiteres auf dem höchsten Niveau bleiben. Bürger sollen Menschenansammlungen vermeiden.
Angriff auf die EU
Die Attentate galten aber sicher nicht nur Belgien, weil es an dem Einsatz gegen IS im Nahen Osten beteiligt ist. Wer morgens um kurz nach neun mitten im Brüsseler Europaviertel eine Bombe hochgehen lässt, der attackiert bewusst alle 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Alle sprachen Belgien ihre Solidarität aus und kündigten an, gemeinsam und "mit allen notwendigen Mitteln" gegen terroristische Bedrohungen vorzugehen.
Es bleibt nicht nur bei diplomatischen Formeln. Am Abend sollen der Eiffel-Turm in Paris und das Brandenburger Tor in den belgischen Nationalfahnen schwarz, gelb, rot erstrahlen. Ein bisschen sind heute Abend alle Brüssel.
Was nach den Anschlägen bleibt
Drei Tage Staatstrauer hat sich Belgien vorgenommen. Aber die Attentate von diesem Dienstag werden noch lange nachwirken.
Was wird bleiben?
Nicht nur die belgischen Sicherheitskräfte, seit den Attentaten von Paris ohnehin in der Kritik, werden ihre Arbeitsweise überprüfen müssen. Auch Europa wird die Debatte über Sicherheit versus Freiheit neu führen müssen.
Die Betroffenheit der EU ist ungleich größer, wenn eine U-Bahnstation entfernt vom Sitz der EU-Kommission Berlaymont Menschen ihr Leben durch Terror verlieren.
EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini brach am Nachmittag bei einer Rede in Tränen aus, als sie über den schwierigen Tag für Brüssel sprach.
Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hat noch am Dienstag eine gefordert, Europa müsse in eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsstruktur investieren. “Seit 1954 streiten wir über die gemeinsame Sicherheitspolitik”, kritisierte er den bisherigen Mangel an Fortschritt.
Eigentlich wollte die EU vor dem Brexit-Referendum am 23. Juni keine großen Initiativen vorlegen, um die britischen Wähler nicht zu verschrecken. Mit dem heutigen Tag ist das schwierig geworden.
Europa muss mit einer starken Geste auf den Angriff reagieren.
Zu seinem Amtsantritt hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker versprochen, dass Europa bei großem Dingen groß agieren werde. In den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, wie schwer sich Europa mit der großen Herausforderung in der Flüchtlingskrise tut.
Europas Sicherheit stellt eine mindestens genauso große Herausforderung dar. Seit dem heutigen Tag ist offensichtlich, dass die EU darauf eine Antwort geben muss.