
Nein, das Chlorhühnchen macht den Wissenschaftlern keine Sorgen. Es kommt im 43 Seiten langen Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen nicht namentlich vor.
Erinnern wir uns: Bei der Auseinandersetzung um Umwelt- und Gesundheitsstandards in einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA schwirrte voriges Jahr das Chlorhuhn durch die Medien – als Wappentier von TTIP, dem Vertrag, den beide Seiten offiziell anstreben. Die Amerikaner tauchen ihr Geflügel nach dem Schlachten in ein Chlorbad. Das soll Keime auf der Hühnerhaut vernichten. Bäh, riefen manche Deutsche.
Der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung berät, hat nun die Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union (EU) und den USA auf Natur und Menschen systematischer untersucht. Die sieben Sachverständigen fordern in ihrer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme, Umweltschutz auf hohem Niveau festzuschreiben. Egal ob bei Lebensmitteln, Chemie, Gentechnik oder Kosmetika – die USA und die EU regulierten diese Bereiche unterschiedlich streng.
Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken
Dieser Meinung ist jeder zweite Amerikaner – aber nur jeder fünfte Deutsche.
Hier sind sich die Deutschen und die Amerikaner nahezu einige: Jeweils jeder Fünfte glaubt das.
Dieser Ansicht sind zwölf Prozent der befragten Amerikaner und 61 Prozent der Deutschen.
Meist seien die Vorschriften in Europa schärfer. Produkte, die in den USA aber zum Beispiel nicht Kosmetik, sondern Medizinprodukte seien, bewerteten die Amerikaner strikter. „Negative Umweltauswirkungen können deshalb nur vermieden werden, wenn eine Angleichung auf hohem Niveau gelingt“, so das Gutachten. Eine grundsätzliche Kritik schiebt der Rat hinterher: „Wichtige Bereiche wie den Klimaschutz“ blende der Vertrag in seiner aktuellen Verhandlungsversion ganz aus.
Damit spiegelt die Stellungnahme viel von der Kritik wieder, die in den vergangenen Monaten am geplanten Abkommen laut wurde. TTIP soll den Handel zwischen beiden Wirtschaftsmächten erleichtern und Wohlstand schaffen. Doch Umweltschützer und manche Politiker sehen die Gefahr, dass durch eine Öffnung der Märkte Umweltauflagen oder Sozialstandards aufgeweicht werden.
Hier einzelne Punkte aus dem Gutachten:
Kritik der Umweltschützer an TTIP
Egal ob Creme, Lippenstift oder Mascara – in Europa müssen solche Produkte eine Zulassung überstehen, die es in den USA so einheitlich nicht gibt. Sicherheitstests erfolgten dort freiwillig, heißt es beim Sachverständigenrat. Sonnenmilch allerdings gelte in Amerika als Medikament und sei streng reguliert.
Die Europäer wollen geklonte Nutztiere und Klonfleisch verbieten, auch deren Import. In den USA gibt es dagegen kein einheitliches Verbot. Gentechnisch veränderte Tiere, etwa Lachse, die schneller wachsen, sind dort bereits zugelassen und im Handel. Eine besondere Kennzeichnung ist nicht vorgeschrieben.
Gentechnisch veränderte Pflanzen und Nahrungsmittel müssen in der EU zugelassen und später gekennzeichnet werden. Das gilt auch für Futtermittel. Einzelne Mitgliedsstaaten können seit 2015 auf ihrem Gebiet sogar einzelne gentechnisch veränderte Pflanzen verbieten. In den USA ist nicht nur die Zulassung großzügiger, gentechnisch veränderte Lebensmittel werden regelmäßig nicht kenntlich gemacht.
Pflanzenschutzmittel, die möglicherweise Krebs erregen oder vielleicht das Erbgut schädigen können in der EU erst gar nicht auf den Markt – anders als in den USA.
Die Verordnung REACH gilt mit als schärfstes Chemikaliengesetz weltweit. Darin wird ein Zulassungsverfahren, eine Risikobewertung und teils eine Beschränkung für Chemikalien von der Herstellung in der Fabrik bis zum buntgefärbten T-Shirt beim Endverbraucher festgeschrieben. In den USA gilt kein vergleichbares „Vorsorgeprinzip“ bei Chemieprodukten.
Insgesamt urteilt der Sachverständigenrat aus Ingenieuren, Ökonomen, Ökologen und Juristen, gerade bei Umweltfragen habe das angestrebte Freihandelsabkommen in der Bevölkerung „Bedenken und Ängste hervorgerufen, die teilweise überzogen, teilweise aber nicht von der Hand zu weisen“ seien. Allein deshalb sei sinnvoll, bei den Entscheidungen zu TTIP frühzeitig das Europäische Parlament einzubeziehen und immer mit entscheiden zu lassen.
In einem Vertrag solle zudem ausdrücklich verankert werden, bei welchen Themen das Vorsorgeprinzip zum vorsorglichen Schutz von Umwelt und Gesundheit gelten solle. Dieses Prinzip ermögliche, dass beim Freihandel nicht nur Kosten und Nutzen, sondern auch das Gemeinwohl berücksichtigt werde. Schließlich fordern die Sachverständigen sogar Handelssanktionen - falls eine Seite ignoriere, was untereinander als nachhaltig festgelegt worden sei.
Im Klartext: Wenn Billigware andere Produkte verdrängt, die nach Umwelt- und Sozialstandards hergestellt wurden, sind Strafmaßnahmen gegen die andere Seite erlaubt.
Beim Chlorhühnchen, das hier nicht vorkommt, hat sich die Aufregung längst gelegt. So testete etwa das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) dieses Geflügel und kam zum Schluss, es sei gesundheitlich völlig ungefährlich. Deutsches Huhn sei dagegen auf keinen Fall gesünder – denn es habe ein massives Keimproblem.