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Diese Illustratoin von 1863 zeigt verbrannte englische Waren. Im Dezember 1807 wurde das Mailänder Dekret verabschiedet zur Bekämpfung der englischen Kontinentalblockade. Quelle: imago images

Wie zielsicher sind Sanktionen? Ein Blick in die Geschichte

Geschichte wiederholt sich nicht, und so ist es schwer, die Wirkungen der aktuellen Sanktionen gegen Russland adäquat zu beurteilen. Aber es gibt historisch überaus zahlreiche Beispiele, deren Betrachtung hilfreich sein könnte. Eine Kolumne.

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Die Antwort auf die militärische Aggression Russlands in der Ukraine besteht vom Krieg selbst abgesehen in einer bisher unbekannten Dichte von wirtschaftlichen Sanktionen, deren erklärtes Ziel es ist, Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Geschichte wiederholt sich nicht, und daher ist es schwer, die Wirkungen dieser Sanktionen, die wie alle Wirtschaftssanktionen ja immer beide Seiten treffen, angemessen zu beurteilen. Gleichwohl gibt es historisch überaus zahlreiche Beispiele von größeren und/oder kleineren Sanktionen, deren Kenntnis immerhin nützlich sein dürfte. Denn selbst bei großem Einsatz waren die Wirkungen dieser Sanktionen im Sinne ihrer Urheber selten zielführend, ja hatten wie die französischen Blockademaßnahmen gegen den englischen Außenhandel im Kontext der Kontinentalsperre zum Teil gegenteilige Wirkungen.

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Die Erfinder von Sanktionen sind historisch nicht leicht auszumachen. Wirtschaftsblockaden gehören zum Arsenal der zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen, seit es derartige Konflikte gibt. Maßnahmen, die mit den heutigen Sanktionen vergleichbar sind, entstammen aber fast durchweg der Zeit des Merkantilismus, und hier ist wiederum England streng genommen das Mutterland derartiger Maßnahmen. Dabei waren seinerzeit Maßnahmen, um die französische Wirtschaft zu treffen, wenn etwa der Weinimport erschwert oder ganz verboten wurde oder andererseits der englische Wollexport eingeschränkt wurde. Den härtesten Sanktionen waren anfänglich indes weniger Frankreich als die niederländische Wirtschaft ausgesetzt, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sehr zum Ärger der englischen Regierung große Teile des Welthandels kontrollierte.

Erste Wirtschaftsblockaden im 17. Jahrhundert

Zwischen 1651 und 1663 erließ die englische Regierung insgesamt drei Navigationsakten, die den Handel zwischen England und seinen Kolonien englischen Schiffen vorbehielten und auch den Handel der englischen Kolonien mit anderen Staaten unter englische Kontrolle stellten. Verboten wurde aber auch das Anlanden von Fisch auf fremden Schiffen, was direkt die holländische Heringsfischerei treffen sollte. Ziel war es, den niederländischen Fischfang und den Handel stark einzuschränken, ja die Niederlande aus dem Kolonialhandel weitgehend zu verdrängen, was allein über eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der englischen Seefahrt ausgeschlossen schien.

von Malte Fischer, Julian Heißler, Bert Losse, Jörn Petring, Christian Ramthun

Die Überlegenheit des niederländischen Schiffbaus und die ökonomische Leistungsfähigkeit des holländischen Handels waren wirtschaftlich nicht zu erreichen. So blieb der englischen Regierung nur der Zwang, den die niederländische Seite naheliegenderweise als Angriff auf die Freiheit der Meere ansah und zu Gegenmaßnahmen griff, die dann zu den zwei englisch-niederländischen Seekriegen der Jahre 1652-1654 und 1665-1667 führten.

Da gleichzeitig Frankreich daran interessiert war, die niederländische Dominanz im Außenhandel zu brechen und vor einer militärischen Besatzung des Landes nicht zurückschreckte, geriet das Land erst in die Zange und verlor später an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und blieb hinter den Fortschritten der englischen Industrie und des englischen Außenhandels zurück.

Englisch-französische Rivalität – und die Kontinentalsperre

Die Wirksamkeit der Sanktionsmaßnahmen war hier sehr groß; Leopold von Ranke, Historiker im 19. Jahrhundert, hielt die englischen Navigationsakten gar für eine Weichenstellung in der jüngeren europäischen Geschichte. Doch mit der Niederringung der niederländischen Dominanz kam die Sanktionswirtschaft keineswegs an ihr Ende. Vielmehr trat jetzt die englisch-französische Rivalität an deren Stelle, die von Ludwig XIV. bis zu Napoleon stets auch eine Art offener oder versteckter Handelskrieg war.



Gegenseitige Wirtschaftssanktionen waren seit den Tagen der französischen Revolution an der Tagesordnung. Die Engländer wussten in dieser Zeit ihre maritime Stärke zu nutzten. Vor allem blockierte die Royal Navy die französischen Häfen. Napoleon griff Anfang des 19. Jahrhunderts, als sein militärischer Arm den europäischen Kontinent im Griff hatte, zum Mittel der Kontinentalsperre, die 1806 mit dem sogenannten Berliner Dekret verkündet wurde. England wurde vom Kontinent radikal abgeschnitten, da schließlich auch Russland in die Blockade einwilligte, und die napoleonischen Truppen die gesamte Nordseeküste bis zur dänischen Grenze kontrollierten. Englische Ware durfte nicht mehr eingeführt werden; Schmuggelgut wurde beschlagnahmt, vernichtet oder zugunsten der französischen Staatskasse verkauft. Damit hoffte man den englischen Außenhandel zu treffen, wie andererseits das Verbot von Getreideexporten die englische Nahrungsmittelversorgung verteuern sollte, was im Übrigen auch eintrat. Der englische Export auf den Kontinent ging trotz umfangreichen Schmuggels deutlich zurück, während in Großbritannien die Brotpreise deutlich stiegen, was gleichzeitig soziale Unruhen befeuerte und die dortige Revolutionsangst schürte.

Napoleons Sanktionsplan gegen England scheiterte

Die Rechnung Napoleons ging nicht auf, weil die englischen Gegenmaßnahmen zu einer dauerhaften Verdrängung des französischen Fernhandels führten und die englische Regierung als Vertreter der annektierten Niederlande deren Kolonialbesitz namentlich am Kap der guten Hoffnung und in Indonesien in Gewahrsam nahm. Zudem gelang es, für den englischen Export neue Absatzgebiete unter anderem in Lateinamerika zu finden. Der wirtschaftliche Schaden für den Kontinent war trotz der Gewinne, die mancher Textilunternehmer durch die Verdrängung der englischen Konkurrenz erzielen konnte, größer als der Nutzen – zumal die Blockadefront nicht nur löcherig war, sondern schließlich auch bröckelte. Russlands Weigerung, an den Blockademaßnahmen weiterhin teilzunehmen, löste 1812 Napoleons Angriff auf das Zarenreich aus, der im Desaster von 1813 endete und zugleich die Niederlage Napoleons einleitete.

Als die englischen Produkte nach dem Ende der Sperre auf den Kontinent zurückkehrten, litt die kontinentale Wirtschaft erheblich. Im Endeffekt war der Welthandel nach 1815 mehr oder weniger uneingeschränkt unter britischer Kontrolle. Das war zwar primär ein Resultat der frühen Industrialisierung des Landes und der damit verbundenen überlegenen Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der englischen Textilindustrie; aber die fatalen Folgen der Kontinentalsperre hatten letztlich eine Art Rückzug der Konkurrenz mit sich gebracht und Freiräume geschaffen, die der englische Export ausfüllte. Für den französischen Überseehandel und die französische Kolonialwirtschaft war das alles jedenfalls ein großes Desaster.

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