
Am 14. Januar verrät das Statistische Bundesamt, wie stark in Deutschland das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2015 gestiegen ist. Aller Voraussicht nach wird das Amt den Anstieg auf 1,7 Prozent taxieren, das wäre praktisch die gleiche Zunahme wie 2014. Klingt zunächst einmal nicht schlecht: Schon wieder ein Plus, und nicht nur so ein krümeliges wie 2012 und 2013 (0,4 beziehungsweise 0,3 Prozent).
Schauen wir uns die Lage genauer an: Der Dax ist seit Ende 2011 um 85 Prozent gestiegen, die Immobilienpreise ziehen kräftig an, zumindest in den Ballungszentren. Die Arbeitslosigkeit hat weiter abgenommen. Rund 43 Millionen Menschen dürften 2015 in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sein – so viele wie nie zuvor. Die Löhne steigen ordentlich, die Anschaffungsneigung der Konsumenten liegt in der Nähe früherer Rekordmarken.





Auch die Unternehmen sind guter Stimmung. Laut Umfragen schätzen die Unternehmen ihre Geschäftslage ähnlich günstig ein wie 2006. Damals stieg nicht nur die Beschäftigung wie im laufenden Jahr um 0,8 Prozent, sondern auch das reale BIP – allerdings um stolze 3,7 Prozent.
Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen den Aufschwung nicht
Hochkonjunkturstimmung somit allenthalben. Und so sollte man es auch erwarten in einem Land, in dem die kurzfristigen Realzinsen im sechsten Jahr negativ sind. In dem die langfristigen Realzinsen im vierten Jahr um mehr als vier Punkte unter ihrem langjährigen Mittel liegen. Und in dem die Abwertung des Euro und der geringe Preisauftrieb dafür gesorgt haben, dass die preisliche Wettbewerbsfähigkeit so hoch ist wie nie zuvor in den vergangenen 50 Jahren.
Zur Person
Carsten-Patrick Meier, 49, ist seit 2009 Geschäftsführer des Forschungsinstituts Kiel Economics. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt zehn Jahre beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel.
Das Merkwürdige ist nur: Die Hochkonjunktur spiegelt sich im Zahlenwerk des Statistischen Bundesamts nicht wider. Danach befindet sich die Wirtschaft überhaupt nicht in einem kräftigen Aufschwung. Das Niveau des realen BIPs entsprach 2015 nach Schätzung von Forschungsinstituten, Sachverständigenrat und Bundesbank ziemlich genau dem des Produktionspotenzials. Die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten waren also gerade mal normal ausgelastet, nach einer geringfügigen Unterauslastung in den drei Jahren davor. Die 1,7 Prozent plus beim BIP entsprechen in etwa der Wachstumsrate des Produktionspotenzials.
An der gesamtwirtschaftlichen Kapazitätsauslastung ändert sich somit derzeit praktisch nichts. Von hoher gesamtwirtschaftlicher Auslastung oder zumindest einer Bewegung in diese Richtung keine Spur. Laut jüngster Gemeinschaftsdiagnose wird die Kapazitätsauslastung sogar bis 2020 nicht zulegen, Sachverständigenrat und Bundesbank erwarten eine ganz leichte Überauslastung.