Deutsche Industrie schwächelt Exporte und Produktion gehen zurück

Deutsche Industrie leidet: Exporte und Produktion gehen zurück Quelle: dpa

Sowohl die Exporte als auch die Produktion schrumpften im Juli überraschend - die Importe hingegen klettern auf Rekordniveau. Derweil steigen die deutschen Arbeitskosten.

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Viel Schatten, aber auch ein großer Lichtblick: Die deutsche Industrie ist mit sinkenden Exporten, einer schrumpfenden Produktion und schwindenden Aufträgen in die zweite Jahreshälfte gestartet. Gegen ein Ende des Aufschwungs spricht allerdings, dass zugleich so viel importiert wurde wie noch nie. Das signalisiert robuste Investitionen und einen wachsenden Konsum.

Die Ausfuhren fielen im Juli überraschend um 0,9 Prozent zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Wachstum von 0,2 Prozent gerechnet. „Vor allem die Handelskonflikte der USA mit Europa und China sowie die unsichere Zukunft des nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta treiben die Sorgenfalten auf die Stirn der Unternehmer", sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. „Die Exportverlangsamung ist sicher nur ein Vorbote.“

Deutlich besser liefen die Importe: Sie legten um 2,8 Prozent zu. Das war nicht nur der vierte Anstieg in Folge, sondern zugleich der kräftigste seit fast vier Jahren. Insgesamt wurden Waren im Wert von 94,5 Milliarden Euro importiert - so viel wie noch nie in einem Monat. Dies sei ein „Beleg dafür, dass die deutsche Binnennachfrage nach wie vor gut läuft", sagte Allianz-Ökonom Gregor Eder. „Die starken Importe könnten eine Indikation für ein starkes Investitionswachstum sein", meinte auch der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel.

Die Durststrecke der deutschen Industrie hält überraschend an. Experten hatten mit einem Anstieg beim Neugeschäft gerechnet. Dieses schrumpfte im Juli jedoch um 0,9 Prozent zum Vormonat.

Der Bundesregierung dürfte die Entwicklung gar nicht mal ungelegen kommen. Denn der viel kritisierte Überschuss in der deutschen Handelsbilanz - Exporte minus Importe - schmolz im Juli zusammen. Er summierte sich saisonbereinigt auf nur noch 15,8 Milliarden Euro, den niedrigsten Wert seit mehr als vier Jahren. „Die Handelsbilanzdaten können von der Bundesregierung jedenfalls zur Vermarktung in Washington benutzt werden: Die Importe legen zu und die Exporte geben nach - mit einem schönen Gruß an Donald Trump", sagte Gitzel. Der US-Präsident sieht sein Land im Handel übervorteilt und brachte deshalb Strafzölle für Autos aus der Europäischen Union ins Spiel.

Angesichts schwächelnder Aufträge - sie sanken in sechs der vergangenen sieben Monate - trat die Industrie auf die Produktionsbremse: Sie stellte im Juli 1,9 Prozent weniger her als im Vormonat. Die gesamte Produktion - zu der auch noch Bau und Versorger gehören - schrumpfte um 1,1 Prozent. Hier hatten Ökonomen ein kleines Plus erwartet. Das Bundeswirtschaftsministerium sieht darin keinen Grund zur Sorge und verweist auf einen Sondereffekt: „Die aktuelle Produktionsschwäche in der Industrie hängt auch mit temporären Engpässen bei den Zulassungen von Pkw nach dem neuen Fahrzyklus (WLTP) zusammen". Volkswagen etwa räumte ein, Schwierigkeiten mit der Umstellung auf den strengeren Abgasmesszyklus zu haben. In einigen Werken ruht deshalb zeitweise die Produktion. „Bei gegenwärtig zögerlichen Auftragseingängen, aber hohem Auftragsbestand, dürfte sich der Aufschwung in der Industrie mit der Auflösung des Zulassungsstaus fortsetzen", erwartet das Ministerium.

Ein Ende des Aufschwungs erwarten auch Ökonomen nicht. „Denn die Geldpolitik der EZB bleibt sehr expansiv ausgerichtet und schiebt die Wirtschaft weiter an", sagte Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen. Die Europäische Zentralbank dürfte ihren Leitzins noch über den Sommer 2019 hinweg bei null Prozent halten. Die meisten Institute rechnen auch deshalb damit, dass Europas größte Volkswirtschaft ihren 2010 begonnenen Aufwärtstrend mindestens bis 2020 fortsetzen wird - mit jährlichen Wachstumsraten von knapp zwei Prozent.

In Deutschland ist zudem der Faktor Arbeit auch im zweiten Quartal dieses Jahres teurer geworden. Die Kosten für eine Arbeitsstunde sind nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Vergleich zum Vorjahresquartal um 2,0 Prozent gestiegen, wie die Behörde am Freitag mitteilte. Dabei nahmen die Bruttolöhne um 2,0 Prozent zu und somit etwas stärker als die Lohnnebenkosten wie Sozialabgaben und Lohnfortzahlungen, die um 1,9 Prozent zulegten. Gegenüber dem ersten Quartal dieses Jahres ergab sich ein Plus bei den Arbeitskosten von 0,2 Prozent.

Im europäischen Vergleich der Arbeitskosten in Industrie und wirtschaftlichen Dienstleistungen für 2017 lag Deutschland mit einem durchschnittlichen Stundensatz von 34,20 Euro über dem EU-Wert von 26,30 Euro und dem Schnitt der Euro-Zone von 30,60 Euro. Spitzenreiter war 2017 Dänemark mit Arbeitskosten von 43,60 Euro je Stunde, Schlusslicht Rumänien mit 6,10 Euro.

Im ersten Quartal 2018 verteuerte sich eine Stunde Arbeit in Deutschland im Vergleich zum Vorjahresquartal kalenderbereinigt um 2,7 Prozent. In der gesamten EU lag der durchschnittliche Anstieg in diesem Zeitraum mit 3,0 Prozent über dem Wert für Deutschland.

Die höchsten Wachstumsraten innerhalb der EU wiesen den Angaben zufolge Rumänien (10,8 Prozent), Lettland (10,4) und Ungarn (9,2) auf, allesamt Länder mit einem unterdurchschnittlichen Arbeitskostenniveau. Gesunken sind die Arbeitskosten in der EU in den ersten drei Monaten dieses Jahres nur in Portugal, und zwar um 1,9 Prozent. In Frankreich fiel das Plus bei den Arbeitskosten mit 2,6 Prozent etwas geringer aus als in Deutschland.

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