WirtschaftsWoche: Herr Friebel, Sie haben in einer neuen Studie herausgefunden, dass weltweit nur jede vierte Wirtschaftsprofessur mit einer Frau besetzt ist. Interessieren sich Frauen zu wenig für die Wirtschaftswissenschaften?
Guido Friebel: Nicht unbedingt. Im Bachelorstudium ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen noch ausgeglichen. Auch bei den Doktorabschlüssen sind Frauen und Männer nahezu gleich repräsentiert. Der Bruch kommt danach. Ausgerechnet an den renommiertesten Forschungseinrichtungen der Welt gibt es sogar die Tendenz, bereits auf Ebene der Juniorprofessuren weniger Frauen einzustellen.
Was genau haben Sie in Ihrer Studie untersucht?
Es gibt zwar einzelne Länder, in denen zur Gleichstellung in den Wirtschaftswissenschaften geforscht wurde, aber ein großer weltweiter Überblick lag bis jetzt nicht vor. Emmanuelle Auriol und ich waren damals beide Mitglieder des Women-in-Economics-Ausschusses der European Economic Association - und wollten das ändern. Wir haben einen „Web-Scraping-Algorithmus“ entwickelt und eine Software zur Geschlechtererkennung genutzt, um Websitedaten von 238 Universitäten und Business Schools zu sammeln. Danach haben wir zusätzlich die Dekane der Universitäten angeschrieben, denn oft sind Daten auf den Websites so verborgen, dass der Web-Scraper sie nicht erfasst. Und manchmal sind die Websites schlicht nicht mehr aktuell.
Was hat Sie bei der Auswertung der Daten am meisten überrascht?
Ich hätte nicht damit gerechnet, dass die USA schlechter abschneiden als Europa. Nur 20 Prozent der leitenden Positionen, also etwa Professuren, sind an US-amerikanischen Einrichtungen mit Frauen besetzt. In Europa sind es 27 Prozent. Bei den Einstiegspositionen liegen die USA bei 32 Prozent, während es in Europa immerhin 38 Prozent sind. Und das, obwohl in den USA Themen wie Gleichstellung schon viel länger diskutiert werden und der akademische Markt dort viel größer ist.
Zur Person
Guido Friebel ist seit 2008 Professor für Personalwirtschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und Mitautor der Studie mit dem etwas unhandlichen Titel "Underrepresentation of women in the economics profession more pronounced in the United States compared to heterogeneous Europe". Die Arbeit entstand in Kooperation der Universität Frankfurt und der Toulouse School of Economics entstand.
Wie sieht es in Deutschland aus?
Deutschland liegt wie die USA unter dem weltweiten Durchschnitt, ebenso wie Österreich, die Niederlande und die Schweiz. Besser abgeschnitten haben zum Beispiel Italien und Frankreich und die nordischen Länder.
Frankreich hat eine bessere Betreuungssituation für Kinder als Deutschland. Könnte es daran liegen?
Das kann ein Erklärungsansatz sein, aber sicher nicht der einzige. Angesichts dessen, dass sich die Betreuungssituation auch in Deutschland verbessert hat, frage ich mich, wie lange wir das noch als Argument nutzen können. Ich glaube, viel wichtiger sind gesellschaftliche Normen. Wir haben die Ergebnisse in den verschiedenen Ländern mit Kulturvariablen in Zusammenhang gesetzt, also mit Fragen wie „Ist Ihrer Meinung nach für Männer eine gute Ausbildung wichtiger als für Frauen?“. Das korreliert stark mit dem Frauenanteil in den leitenden Positionen an den Unis.
Könnte es nicht auch sein, dass Frauen keine Lust auf eine mühselige Karriere in Forschung haben - und lieber einen gut bezahlten Job in der Wirtschaft annehmen?
Wenn Frauen knapp die Hälfte der Studierenden in den Wirtschaftswissenschaften ausmachen und sich davon nur ein Bruchteil in der Forschung wiederfindet, müsste man erwarten, dass sie in der freien Wirtschaft umso stärker vertreten sind. Aber zählen Sie mal die weiblichen Vorstände in den DAX-Konzernen. Das ändert sich nur langsam. Auch auf der zweiten Führungsebene sind Frauen stark unterrepräsentiert. Irgendwo gehen viele Frauen verloren und damit auch ein großer Anteil des Talents in unseren Gesellschaften.
Welche Folgen hat das für die Wissenschaft?
Der Frauenmangel führt dazu, dass bestimmte Forschungsfelder vernachlässigt werden, weil Frauen im Durchschnitt zu anderen Schwerpunkten forschen als Männer. Männer haben eher Interesse an Theorie, Makroökonomik und Finance. Frauen sind eher an sozialpolitischen Fragen interessiert, arbeiten empirisch, werten Daten aus.
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Der Mann ist der abstrakte Theoretiker, die Frauen eher an sozialen Themen interessiert. Ist das nicht etwas klischeehaft?
Manchmal sind Klischees aber auch empirisch richtig. Wir haben das für den Verein für Sozialpolitik für alle deutschen Fakultäten ausgewertet und genau das beobachtet. Es gibt wenige deutsche Wirtschaftstheoretikerinnen und relativ wenige Frauen in der Makroökonomie, während die Felder Entwicklung, Gesundheit und Arbeit deutlich weiblicher besetzt sind.
Könnten die verschiedenen Interessen auch ein Grund sein, warum es so wenige Frauen in der Forschung gibt?
Ja. Wenn eine Professorenstelle nachbesetzt wird, sucht das Institut oft jemanden, der genau dieselben Themen erforscht wie sein Vorgänger. Da es mehr Männer in den leitenden Forschungsstellen gibt, spiegeln die Stellenausschreibungen auch eher männliche Interessen wider. Es bewirbt sich also auch mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Mann. Wären die offenen Stellen breiter ausgeschrieben, würden sich mehr Frauen bewerben.
Zulasten der Makroökonomie und Theorie?
Wenn Sie sich die Wirtschaftsnobelpreise der vergangenen Jahre ansehen, dann merken Sie: Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung verlagert sich zunehmend zur Empirie. Also dazu, aus komplizierten Datensätzen kausale Zusammenhänge herauszuarbeiten und für die großen Probleme wie Entwicklung, Arbeit, Gesundheit und Klimawandel Lösungen zu finden. Das sind genau die Schwerpunkte, die Frauen setzen und hier müssten auch offene Professuren ansetzen. Aktuell spiegeln sie eher das Forschungsinteresse der Ökonomie von vor 25 Jahren wider.
Wie stark schrecken in Deutschland die meist nur befristeten Verträge ab?
In Frankreich und Italien, wo Frauen im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt etwas häufiger vertreten sind, erhalten Forscher sofort eine Beamtenstelle. Die sind zwar relativ schlecht bezahlt, aber es sind Dauerstellen. Ich plädiere nicht dafür, nur noch Dauerstellen zu vergeben, das ließe sich nicht finanzieren und könnte auch dazu führen, dass Anreize für die beste Forschung leiden. Aber sechs bis acht Jahre beruflich in der Schwebe zu hängen, ist ein Risiko, das viele Frauen nicht eingehen möchten, gerade mit Blick auf die Familienplanung. Besonders in frühen Karrierejahren müssten wir mehr Förderungen für Frauen einführen, damit sie ihre Forschung erfolgreich publizieren können und den Weg an die Spitze finden.
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