Konjunktur Wann nimmt die Wirtschaft wieder Fahrt auf?

Seite 4/6

Unternehmen rechnen mit starkem Wachstum

Wo die Schuldenländer schon Erfolge erzielen
Griechenland: Die Lohnstückkosten sinkenStillstand in Griechenland? Nicht ganz. Bei der Sanierung der Staatsfinanzen hat Athen durchaus Erfolge vorzuweisen: Um sechs Prozentpunkte vom Bruttoinlandsprodukt wurde das Haushaltssaldo in nur zwei Jahren verbessert. Eine solche Konsolidierungsleistung hat kein anderes Euro-Land geschafft. Und im ersten Halbjahr liegt Griechenland beim Defizitabbau sogar vor dem Plan. Auch dem Ziel, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, kommt das Land näher: Die Lohnstückkosten sind seit 2009 rückläufig. Aber bei den Strukturreformen, die für eine international konkurrenzfähige Wirtschaft zumindest ebenso bedeutend sind, bleibt noch viel zu tun.
Zwar hat das griechische Parlament seit 2010 Dutzende von Reformgesetzen verabschiedet. Aber es hapert bei der Umsetzung, weil die zuständigen Ministerien die notwendigen Durchführungsbestimmungen schuldig bleiben. Das geschieht weniger aus Nachlässigkeit als gezielt, um die Reformen zu hintertreiben. Denn die Politiker scheuen immer noch die Konfrontation mit den Kartellen, Gewerkschaften und Zünften, die sich gegen eine Deregulierung der Wirtschaft sträuben, weil sie sich dann dem Wettbewerb stellen müssten. Ein Beispiel: Die Öffnung der "geschlossenen Berufe", Hunderter Tätigkeiten, deren Ausübung strikt reglementiert ist, wie der Rechtsanwaltsberuf. Weil die Anwälte im Parlament stark vertreten sind konnten sie die Liberalisierung für ihren Berufsstand bisher verhindern. Manche Reformen ist Griechenland seit über einem Jahr schuldig geblieben. Die Wahlen vom Frühsommer haben das Land weiter in Verzug gebracht. Umso energischer drängen jetzt die Delegationschefs der Troika in Athen darauf, bei den Reformen endlich Gas zu geben.Text: Gerd Höhler, Athen
Italien: Die Erfolge sind sichtbarDie Technokraten-Regierung von Mario Monti hat in Italien innerhalb von neun Monaten mehr Reformen durchgesetzt als Silvio Berlusconi in allen seinen Legislaturperioden zusammen. Gleich nach seinem Amtsantritt im November hatte Monti noch vor Weihnachten das Maßnahmenpaket "Salva Italia" (Rette Italien) durchgepaukt, das jährlich Mehreinnahmen von 26 Milliarden Euro bringen soll. Zudem beschloss das Kabinett innerhalb kürzester Zeit eine Rentenreform, die das früher sehr großzügig ausgestaltete Rentensystem für die kommenden Jahrzehnte auf sichere Beine stellen soll. Es folgten zaghafte Liberalisierungen einiger Berufsstände und schließlich die große Arbeitsmarktreform im Frühsommer: Sie setzt auf mehr Flexibilität bei Einstellungen, ermöglicht aber auch ein leichteres Kündigen.
In Italien, wo die Arbeitslosigkeit im Juni mit 10,8 Prozent auf ein neues Rekordhoch seit 2004 stieg, ist der Arbeitsmarkt bislang zweigeteilt: Während sich ältere Angestellte meist über fast unkündbare Arbeitsverhältnisse freuen können, hangeln sich viele junge Menschen oft von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Diese befristeten Verträge liefen in der Krise einfach aus. Diese Zweiteilung soll durch die Reform überwunden werden. Um die ausufernden Staatsausgaben zu drosseln, hat Monti (rechts) eigens den Parmalat-Sanierer Enrico Bondi als Spar-Kommissar an Bord geholt. Er sollte alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Das Ergebnis: 26 Milliarden Euro sollen innerhalb von drei Jahren eingespart werden. Die Ausgabenkürzungen sind wichtig, da die Regierung nicht ohne Grund in der Kritik steht, bisher vor allem durch Steuererhöhungen den Haushalt saniert zu haben.Text: Katharina Kort, Mailand Quelle: dpa
Portugal: Auf dem rechten WegPortugal macht alles richtig - aber die Euro-Schuldenkrise und die Abhängigkeit von Spanien bergen weiter Risiken. So begründete die Ratingagentur Standard & Poor's den negativen Ausblick für das Land. Ähnlich war der Tenor im Juli bei der vierten Überprüfung des Kreditprogramms durch die Troika. Die portugiesische Regierung unter Premier Pedro Passos Coelho hat in einem Jahr enorm viel erreicht. Steigende Exporte und fallende Einfuhren brachten das Handelsdefizit fast ins Gleichgewicht, das Haushaltsdefizit schrumpfte von fast zehn auf 4,2 Prozent Ende 2011. Auch 2012 sei ein Defizit von 4,5 Prozent machbar, meint die Troika.
Die Arbeitsgesetzgebung wurde reformiert, Arbeitszeit und Löhne wurden flexibilisiert, die Kündigungskosten gesenkt. Nun soll die Regierung auf Geheiß der Troika eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge prüfen, um die Beschäftigung zu beleben. Bis September muss Premier Passos Coelho (im Bild zu sehen) zudem die Lohnverhandlungen weiter flexibilisieren. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde teilweise umgesetzt, ein neues Wettbewerbsrecht verabschiedet, diverse Berufe wurden liberalisiert. Der Mietmarkt mit extrem niedrigen fixen Mieten und entsprechend verfallenen Gebäuden wurde dereguliert, eine Reform des teuren, trägen Rechtssystems ist angeschoben. "Wir glauben, dass all diese mikroökonomischen Reformen dazu beitragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit durch steigende Produktivität statt durch sinkende Löhne verbessert wird", urteilt S&P. Immerhin lag der durchschnittliche Stundenlohn in Portugal mit 12,10 Euro Ende 2011 bereits 41 Prozent unter Spanien.Text: Anne Grüttner, Madrid
Spanien: Das Sparpaket ausgeweitetSpaniens Premier Mariano Rajoy gönnt sich derzeit ein paar Tage Urlaub in seiner Heimat Galizien. Kurz zuvor brach er ein bis dahin geltendes Tabu. Auf die stets eisern verneinte Frage, ob er den EU-Rettungsfonds in irgendeiner Weise anzuzapfen gedenke, antwortete Rajoy nun: "Ich habe keine Entscheidung getroffen, ich werde tun, was im allgemeinen und im spanischen Interesse ist." Er wolle zunächst alle Bedingungen kennen. Rajoy gab damit den Ball an EZB-Chef Mario Draghi zurück, der klargemacht hatte, die bedrängten Südländer müssten zunächst die Anleihekäufe des EFSF aktivieren, bevor die EZB den Rettungsfonds mit eigenen Maßnahmen unterstützen könne.

Deutsche Unternehmen blicken daher zuversichtlich auf ihr Amerika-Geschäft. Einer aktuellen Umfrage der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer und der Unternehmensberatung Roland Berger zufolge rechnen 45 Prozent der US-Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen für 2013 mit einem "starken Wachstum" ihres Umsatzes jenseits des Atlantiks.

Auch in China stehen die Zeichen auf Erholung. Nach einer vorübergehenden Schwächephase hat sich die Konjunktur zuletzt beschleunigt. Zwar dürften die Zeiten, in denen Chinas Wirtschaft mit zweistelligen Raten auf und davon stürmte, vorerst vorüber sein. Doch auch bei Wachstumsraten von rund acht Prozent werden Deutschlands Exporteure ordentliche Gewinne in Fernost einfahren.

Europa macht weiterhin Sorgen

Schlechter sieht es dagegen für das Europa-Geschäft aus. Der alte Kontinent bleibt das größte Sorgenkind der Weltwirtschaft. Die Peripherieländer müssen ihre Lohnkosten senken und die Staatshaushalte sanieren. Immerhin dürfte der konjunkturelle Bremseffekt der Sparprogramme im nächsten Jahr etwas geringer ausfallen. Nach Berechnungen der EU-Kommission zeichnen sich für 2013 Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen im Volumen von 1,3 Prozent vom BIP ab. In diesem Jahr waren es zwei Prozent.

Einkommen und Konsum in Deutschland

Deutschlands Exporteure haben sich auf die Veränderungen auf dem Weltmarkt eingestellt und ihre Ausfuhren in die aufstrebenden Schwellenländer umgelenkt. Der Anteil der Ausfuhren nach Asien hat sich von zehn Prozent im Jahr 1999 auf nunmehr 16 Prozent erhöht. Der Exportanteil der Euro-Länder dagegen ist im selben Zeitraum von 46 auf weniger als 40 Prozent gesunken. In den nächsten Jahren dürfte sich dieser Trend fortsetzen. "Die deutsche Wirtschaft profitiert von ihrer weltweiten Verflechtung und treibt die Diversifizierung ihrer Absatzmärkte voran", sagt Anton Börner, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen. Für 2013 erwartet er ein Exportplus von bis zu fünf Prozent.

Deutschland kann sich weiterhin auf Exporte verlassen

Laufen die Exporte rund, stehen die Chancen gut, dass die Unternehmen im Jahresverlauf 2013 ihre Investitionspläne aufstocken. Zumal die Finanzierungsbedingungen wegen der niedrigen Zinsen so günstig sind wie nie. Auch Unternehmer, die vor der Alternative stehen, ihre Barmittel in Bundesanleihen mit negativen Realzinsen zu stecken oder lieber neue Maschinen zu kaufen, dürften sich zunehmend für Letzteres entscheiden.

So wie Klaus Beckonert, Geschäftsführer des Silologistikdienstleisters Greiwing aus dem westfälischen Greven. "In den vergangenen Jahren hat uns die Euro-Krise vorsichtiger agieren lassen", sagt Beckonert. Doch im nächsten Jahr will das mittelständische Familienunternehmen mit knapp 500 Mitarbeitern 50 Millionen Euro mehr für Investitionen in die Hand nehmen, ein Plus von 30 Prozent. Klotzen statt kleckern also. Und: Das Geld soll nicht nur in den Ersatz alter Fahrzeuge, sondern auch in die Erweiterung der Kapazitäten fließen. Das Geschäft bewege sich zwar noch rund fünf Prozent unter den alten Höchstständen. "Doch für 2013 sind die Aussichten nicht schlecht", sagt Beckonert.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%