Streitgespräch "Die Rettungspakete haben deutsches Vermögen geschützt"

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"Eine Maut alleine kann die Kosten nicht decken"

Hans-Werner Sinn ist gegen den Mindestlohn und fordert mehr Investitionen in die staatliche Infrastruktur Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Sinn: Die Mütterrente ist durchaus berechtigt. Unser Rentensystem benachteiligt diejenigen, die Kinder großziehen und dafür auf eine kontinuierliche Erwerbsbiografie verzichten. Die Schaffenskraft unserer Kinder wird in unserem Rentensystem sozialisiert. Die Mütterrente reduziert das Ausmaß der Umverteilung zulasten der Mütter ein wenig und geht daher in die richtige Richtung. Die Rente mit 63 dagegen dreht die Agenda 2010 zurück und wird Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Beiträge Milliarden kosten. Das belastet die Wettbewerbsfähigkeit.

Wäre es nicht vernünftig, die staatliche Infrastruktur zu privatisieren, um den Staatshaushalt zu entlasten?

Fratzscher: Ich sehe da durchaus Potenzial. Weltweit werden 75 Prozent der Verkehrsinfrastruktur privat finanziert. Wir hängen in Deutschland noch der Vorstellung an, der Staat müsse die Infrastruktur finanzieren. Angesichts der Schuldenbremse, die wir uns verordnet haben, müssen wir von dieser Vorstellung Abschied nehmen.

Sinn: Ich halte die öffentlich-privaten Partnerschaften großenteils für Mogelpackungen. Dabei handelt es sich meistens um eine verdeckte Staatsverschuldung, weil der Staat für die Nutzung der Straße Leasingraten an das private Unternehmen zahlt, das die Straßen baut. Der Staat zahlt auf diese Weise mehr Zinsen, als wenn er sich direkt verschuldet, aber der optische Vorteil ist, dass er die Schulden nicht verbuchen muss.

Private Unternehmen könnten aber auch mit einer Maut die Finanzierung selbst übernehmen.

Sinn: Es spricht zwar viel für die Maut, aber sie allein kann die Kosten für den Bau von Straßen nicht decken. Um staatliche Zuschüsse wird man nicht umhinkommen. Private können Straßen nur bei Monopolpreisen rentabel betreiben. Die dürften aber kaum erwünscht sein.

Fratzscher: Sie unterstellen, dass der Staat die öffentlichen Güter genauso effizient betreiben und produzieren kann wie private Anbieter. In der Realität gibt es aber viele öffentliche Güter, die von Privaten effizienter betrieben werden als vom Staat. Deshalb machen öffentlich-private Partnerschaft durchaus Sinn.

Nicht nur beim Staat, auch bei den Unternehmen entwickeln sich die Investitionen zurück – und das schon seit den Siebzigerjahren, wenn wir die Phase der Einheit einmal weglassen. Wie kommt das?

Fratzscher: Die deutschen Unternehmen verfügen zwar über riesige Finanzreserven, aber sie investieren nicht in Deutschland, weil die europäische Krise für eine große Verunsicherung sorgt. Aber auch die Rahmenbedingungen in Deutschland sind schwächer geworden: Die Verkehrsinfrastruktur wird schlechter, Fachkräfte sind rar, und kein Unternehmen weiß heute, ob in zwei Jahren seine Energiekosten um 10, 20 oder 40 Prozent höher liegen werden. Das macht es enorm schwierig, zu planen, und setzt Anreize, eher im Ausland zu investieren.

Sinn: 36 Prozent der deutschen Exporte gehen aber nur in die Euro-Zone. Ich stimme aber zu, dass Deutschland wieder viel mehr im Inland investieren sollte. Das Geld, das ins Ausland wanderte, kommt häufig nicht mehr zurück.

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