Digital Services Act Wir müssen die von Big Tech geschaffenen Mauern einreißen!

Quelle: imago images

EU-Kommissarin Margrethe Vestager begründet ihren Eifer, die Macht von Meta, Google und Facebook zu begrenzen. Und ihre Hoffnung, dass dadurch ein Traum aus den frühen Tagen des Internets Realität werden könnte.

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In den kommenden Monaten werden in Europa neue, weltweit einzigartige Gesetze in Kraft treten, um große Technologieunternehmen gegenüber den Gesellschaften, in denen sie tätig sind und Geschäfte machen, rechenschaftspflichtig zu machen. Wir haben inzwischen alle von den Gefahren gehört, die von großen Online-Plattformen für unser Leben, unsere Demokratien, die geistige Gesundheit unserer Kinder und den wirtschaftlichen Wettbewerb ausgehen. Die Europäische Union tut nun etwas dagegen.

Bei jeder dieser Bedrohungen sind dieselben grundlegenden Prozesse am Werk. Algorithmen verengen den gesellschaftlichen Dialog auf kleine Gruppen datenbestimmter „Freunde“, während sogenannte „Gatekeeper“ Online-Märkte zum eigenen Nutzen verengen. Dies birgt die Gefahr, dass wir den Überblick darüber verlieren, was in der weiteren Welt und auf dem breiteren Markt um uns herum passiert.

Jahrzehntelang ließ man die Technologie-Plattformen weitgehend machen, was sie wollten, und es gab kaum Gesetze, um ihnen Grenzen zu setzen, während sie eine immer stärkere Kontrolle über die weltweiten Informationskanäle übernahmen. Vor einigen Jahren jedoch begann sich das zu ändern: Die EU stellte sich an die Spitze weltweiter Bemühungen, wieder ein gewisses Gleichgewicht innerhalb der digitalen Wirtschaft herzustellen, um Fairness und grundlegende Schutzmechanismen für die Menschen sicherzustellen.

Margrethe Vestager. Quelle: Project Syndicate

Zur Person

Datenschutz für mehr Privatsphäre der Bürger

Das erste zu Sorgen Anlass gebende Thema war der Datenschutz. Die großen Plattformen steigerten ihre Einnahmen, indem sie massenhaft Nutzerdaten sammelten. Damit war klar, dass unser Verständnis der Privatsphäre einer Modernisierung bedurfte. Der Datenschutz wurde damit für alle Menschen in Europa zu einem nicht verhandelbaren Recht. Als Bürger legen nun wir – und nur wir – die Grenzen dessen fest, was wir anderen über uns mitteilen.

Dieses Verständnis des Rechts auf Privatsphäre als Grundrecht wurde in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU von 2016 verankert. Mit der DSGVO steckte Europa einen Kurs ab, auf dem die Demokratie mit der technologischen Entwicklung Schritt halten kann. An diesem Gesetz führt heute kein Weg mehr vorbei. Die bahnbrechende Gesetzgebung der EU hat inzwischen ähnliche Regelwerke in anderen Rechtsräumen weltweit inspiriert.

Dieser ersten Datenschutzinitiative folgte der Cambridge Analytica-Skandal auf dem Fuße: Er offenbarte, dass Facebook einem Forscher 87 Millionen Nutzerprofile überlassen hatte, der die Daten dann im Präsidentschaftswahlkampf 2016 an eine für Donald Trumps Wahlkampfteam tätige Politikberatung weitergab. Plötzlich begannen wir uns alle zu fragen, ob unser digitales Leben sicher sei und in welchem Umfang wir online überwacht, beeinflusst und manipuliert wurden.

Stein für Stein wurde so die Mauer der Pseudoneutralität, hinter der sich die Plattformen versteckt hatten – häufig mit der Behauptung, sie seien bloße „Durchreichen“ von Informationen – abgetragen. Es wurde zunehmend offensichtlich, dass die großen Technologieunternehmen eine Verantwortung für die Inhalte übernehmen sollten, die sie und ihre Algorithmen innerhalb der Gesellschaft verbreiteten. Wir reagierten, indem wir diese Verantwortung laut und klar im erstmals im Dezember 2020 vorgelegten Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) festschrieben.

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von Michael Kroker

Das DSA ist das Kernstück der EU-Gesetzgebung, die in Kürze regeln wird, wie Inhalte auf großen digitalen Plattformen behandelt werden. Es verpflichtet die Plattformen zur Löschung aller ungesetzlichen Inhalte und stellt zugleich sicher, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung unberührt bleibt. Es spricht zudem an, wie Plattformen Algorithmen nutzen, um zu entscheiden, was wir zu sehen bekommen und was nicht. Wir sind jetzt dabei, festzulegen, welche großen Plattformen und Suchmaschinen diesen DSA-Bestimmungen unterliegen sollen, bevor sie im kommenden Herbst in Kraft treten.

Mangel an Wettbewerb im Technologiesektor

Das letzte große Thema, mit dem sich die neue Digitalgesetzgebung der EU befassen wird, ist der Mangel an gesundem Wettbewerb im Technologiesektor. In den letzten Jahren haben die Aufsichtsbehörden wichtige Gerichtsverfahren gegen große Online-Plattformen eingeleitet. Einige davon haben das öffentliche Bewusstsein über die unverhältnismäßige Marktmacht der Plattformen geschärft. Doch mit zunehmender Komplexität der digitalen Märkte brauchten wir neue systemische Instrumente, um die gängigen Instrumente des Kartellrechts zu ergänzen.

Das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) wurde entworfen, um diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen. Es enthält eine Ge- und Verbotsliste, die darauf zielt, Gatekeeper-Plattformen am Missbrauch ihrer Stellung in den digitalen Märkten zu hindern und Raum für Marktneulinge zu schaffen, auf Basis ihrer Leistung mit den etablierten Unternehmen zu konkurrieren. So wie das DSA offiziell die Verantwortlichkeiten der Plattformen gegenüber ihren Nutzern artikuliert, wird das DMA ihre Verantwortlichkeiten gegenüber anderen – häufig kleineren – Marktteilnehmern festlegen. Das wird zu einem dynamischeren, innovativeren und faireren Technologiemarkt führen.

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Wir haben diese Gesetze in Rekordzeit verabschiedet. Dabei haben wir sichergestellt, dass unsere Arbeit durch Werte und nicht durch die zugrundeliegende Technologie bestimmt wurde. Das ist wichtig, denn während sich Technologien ständig ändern, tun Werte das nicht.

Wir sind stolz, dass Europa sich global zu einer Wiege der Technologie-Regulierung entwickelt hat. Es war erfreulich, zu sehen, wie in Ländern, die unsere demokratischen und humanistischen Werte teilen, ähnliche Gesetze formuliert wurden. Und wir sind weiterhin sehr daran interessiert, unsere eigenen Regulierungs- und Regelsetzungsmaßnahmen mit anderen abzustimmen. Der 2021 ins Leben gerufene EU-US Trade and Technology Council war ein frühes Beispiel dafür, wie wir die internationale Zusammenarbeit vertiefen können, um sicherzustellen, dass alle von Technologien profitieren. Inzwischen haben wir ähnliche Partnerschaften mit Indien, Japan, Singapur und Südkorea geschlossen.

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Eine blühende Demokratie braucht offene Räume, in denen die Menschen miteinander reden, unterschiedlicher Meinung sein, einander widersprechen und gemeinsame Lösungen finden können. In der Vergangenheit hatten wir öffentliche Plätze, gewählte Gremien, Universitäten und Cafés. Als das Internet auf den Plan trat, versprach es zunächst, diese Foren weltweit auszuweiten. Doch der Aufstieg der großen Plattformen kam dem in die Quere; er hat den gesellschaftlichen Dialog in eine Konstellation undurchsichtiger, durch Mauern voneinander abgegrenzter Räume gespalten und stellt daher eine Gefahr für unsere Demokratie dar.

Es ist nun Aufgabe der Bürger überall, diese Mauern einzureißen.

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Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2023.

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