Als Oskar das erste Mal das Büro seiner Mutter besucht, klettert er wie selbstverständlich auf dem Schreibtischstuhl und greift zum iPad. Wie selbstverständlich entsperrt er das Gerät per Wisch und sucht sich das lustige Gesicht mit drei Zähnen. Er öffnet die Puzzle-App und freut sich über die kichernden Geräusche der kleinen Männchen, die er per Fingerzeig in den Bus befördert. Oskar ist noch keine zwei Jahre alt. Die kleine Szene macht Großes deutlich: Unsere Kinder wachsen in einer neuen digitalen Welt auf, die sich für sie ganz natürlich anfühlt.
Diese digitale Welt erhält verstärkt Einzug in Kindergärten, Kitas und Grundschulen – in die ersten Stationen des deutschen Bildungssystems. Auf der aktuell laufenden Bildungsmesse Didacta in Köln werden über 8.000 Aussteller aus 20 Ländern wieder etliche Softwares, Programme, Ansätze und Ideen vorgestellt werden, die den Unterricht und die frühkindliche Bildung verändern oder gar vereinfachen sollen. Doch wie sinnvoll ist es, uns Menschen schon im Kleinkindalter mit dem Tablet spielen zu lassen? Wo ist die Grenze? Und wie weit ist die Branche eigentlich?
Fragt man Hirnforscher Manfred Spitzer aus Ulm, bekommt man eine klare Antwort. In seinem Buch „Digitale Demenz: Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen“ erklärt er ausführlich, warum Tablets und Smartphones süchtig machen. Den Einsatz der Geräte im frühkindlichen Alter bezeichnet er als „anfixen“. Für seine Ansichten hat er viel Kritik erfahren. Zu schwarz-weiß sei seine Darstellung der digitalen Gesellschaft. Es gebe schließlich nicht nur analog und digital – in unserer Welt existiere beides parallel. Eine gegensätzliche Meinung, die auch Johnny und Tanja Haeusler mit ihrem Buch „Netzgemüse: Aufzucht und Pflege der Generation Internet“ ausdrücken.
Das Tablet im Kindergarten
„Kinder werden heutzutage mit Computern groß, sie gehören zu ihrer Lebenswirklichkeit“, sagt Henrik Tesch. Der Politologe ist in der Abteilung für gesellschaftliches und politisches Engagement bei Microsoft tätig. „Viele Kinder haben zuhause bereits in sehr frühem Alter Zugang zum Computer, ohne dass sie jemand im verantwortungsbewussten und sinnvollen Umgang damit anleitet“, ist er sich sicher. Um dem entgegen zu wirken hat Microsoft die Lernförderungssoftware „Schlaumäuse“ entwickelt. „Mit den Schlaumäusen legen wir neben der Sprachförderung auch einen Grundstein für Medienkompetenz und fördern die altersgerechte Medienerziehung“, sagt Tesch. Aktuell wurde das Projekt auf der Didacta mit dem Deutschen Bildungs-Medien-Preis ausgezeichnet.
Anstoß des Projektes waren die ersten Pisa-Studien Anfang der 2000er Jahre, die die schlechte Lesekompetenz der deutschen Schülerinnen und Schüler bestätigte. An dieser Stelle setzte Microsoft an und erfand mit Partnern der TU Berlin eine Software zur Förderung von Lesekompetenz. Inzwischen sind laut Microsoft etwa 8000 Kitas und Kindergärten mit der Lernsoftware ausgestattet. Um mitmachen zu können, mussten die Einrichtungen lediglich einen Computer vor Ort haben. „Es ist überhaupt nicht mehr ungewöhnlich, dass ein PC in der Kita vorhanden ist“, sagt Tesch. Vor allem Netbooks seien sehr verbreitet. Er ist sehr zufrieden mit der Entwicklung des Projektes. „Das Programm hat sich in den letzten vier Jahren besonders positiv entwickelt. Inzwischen leben wir von der Mund-Propaganda“, sagt er.
Die Welt der Schlaumäuse besteht aus Orten wie dem Wörtersee, dem Gutenberg, der Eselsbrücke und dem Humboldthain. Hier treibt der Wörterwichtel sein Unwesen. Er klaut Buchstaben, so dass aus einem „Fisch“ auch mal ein „Tisch“ werden kann. Die Schlaumäuse kommentieren das Tun des Wörterwichtels, so dass Kinder nicht einmal lesen können müssen, um den Spielen und Geschichten der Software folgen zu können. Seit November ist Microsoft auch mit der mobilen Version der Schlaumäuse auf Basis des Betriebssystems Windows 8 auf dem Markt. Für die Präsentation reiste eigens Konzern-Chef Steve Ballmer aus den USA nach Berlin an.
Für die Version 3.0 hat man sich mit der Universität Erfurt einen neuen Partner gesucht, die hinter dem didaktischen Konzept der Software steht. „Ich stimme nicht zu, dass Tablets per se in die Kita gehören. Denn die Geräte machen nur Sinn, wenn die Anwendungen darauf gut sind“, sagt Gerd Mannhaupt, Professor an der Universität Erfurt, der an der Initiative Schlaumäuse aktiv beteiligt war. „Ich würde Tablets im Kindergarten aber auch nicht verdammen, wie mein Kollege Spitzer.“ Die Geräte böten etliche Vorteile: Sie können eine differenzierte Rückmeldung über die Leistung des Kindes geben und führen die Kinder per Sprache durch die einzelnen Aufgaben.
Apps müssen pädagogisch sinnvoll sein
„Die Anwendungen sind dann gut, wenn sie pädagogisch sinnvoll sind und die Erzieherinnen und Lehrkräfte unterstützen“, findet Mannhaupt. Das Tablet an sich, sei so sinnvoll wie ein leeres Blatt Papier. Was darauf passiert, sei das wirklich spannende, denn bisher gebe es noch viel zu wenige gute Angebote. „Es fehlt an guter Software, die die Lehrkräfte besser unterstützt“, sagt Mannhaupt. Bisher ist es Lehrern nicht möglich ihren Wochenplan über ein Tablet zu steuern und sich die Aufgabenblätter der Kinder einfach auf das eigene Gerät schicken zu lassen. Solange es an dieser Infrastruktur fehle würde zumindest in den Grundschulen weiter auf Papierbögen gesetzt werden.
Doch kommen Microsofts Schlaumäuse eigentlich bei der jungen Zielgruppe an? Um das zu testen, haben Mannhaupt und seine Studenten Kitas und Kindergärten besucht. „Die Kinder haben sich in den Tests sehr positiv beteiligt“, sagt Fachmann aus Erfurt. Sie seien intuitiv und spielerisch mit dem Gerät umgegangen. Das Tolle an Tablets sei, dass man Kindern den Umgang mit der Maus gar nicht mehr erklären müsse. „Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine verschmilzt immer mehr“, beschreibt Mannhaupt das Phänomen. Die Kinder machen einfach, weil das Gerät da ist.