Fragwürdiges Wachstum: Musk feiert angebliche Rekorde bei X – doch die Werte passen nicht

Mit rund 202 Millionen Followern gehört X-Eigner Elon Musk zu den Nutzern mit der größten Reichweite auf der Plattform.
„All-time high usage of this platform!“, jubelte Elon Musk zwei Tage nach der US-Präsidentenwahl in einem Post auf seinem Messaging-Dienst X: Mit gut 434 Milliarden Nutzungssekunden habe seine Plattform tags zuvor ein „Allzeit-Hoch bei der Nutzung„ erreicht. Allein am Tag der Wahl sei die Nutzerzahl bei X um 15,5 Prozent angestiegen, meldete die Plattform nach dem Urnengang.
Blickt man auf die Daten, scheint nicht bloß Musk selbst, den Wahlsieger Donald Trump soeben als künftigen Co-Vorsitzenden einer neu zu schaffenden Behörde für Regierungseffizienz benannt hat, einer der Profiteure von Trumps Rückkehr ins Präsidentenamt zu sein. Auch der Messenger X, der nach der Übernahme durch Musk lange unter schrumpfenden Nutzerzahlen und Nutzungsintensität sowie dem Verlust profitabler Werbekunden wegen der Verbreitung von Hass- und Hetzbotschaften gelitten hatte, scheint vom Trump-Sieg zu profitieren.
Genau betrachtet aber bleiben nach Musks und X‘ vermeintlichen Erfolgszahlen mehr Fragen offen, als die publizierten Daten Glauben machen sollen. Nicht bloß, dass Musk ständig andere Messgrößten als Erfolgsbelege anführt: Mal ist (wie kurz nach der Wahl) von „aktiven Nutzersekunden“ die Rede, mal feiert er Höchstwerte bei „täglich aktiven Nutzern“, mal bei „monatlich aktiven Nutzern“; ohne freilich konsistente Zahlen zu den zuvor genannten Messgrößen zu melden, die einen Ein-zu-Eins-Vergleich der Entwicklung ermöglichen würden.
Vor allem aber passt das gerade gefeierte „Allzeit-Hoch der Nutzersekunden“ nicht zu älteren Werten, die Musk beispielsweise schon im November 2022 als „All-time high“ gemeldet hatte. Umgerechnet auf Minutenbasis würden die aktuellen 434 Milliarden Nutzersekunden einer Verweildauer der X-Anwender von 7,23 Milliarden Nutzerminuten entsprechen. Was deutlich unter dem 2022 bejubelten Spitzenwert von täglich acht Milliarden Nutzerminuten auf der Plattform liegt. Statt eines Bestwerts im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl bedeuten die Daten vom 7. November dieses Jahres also einem Rückgang der Nutzung um rund zehn Prozent in den vergangenen zwei Jahren.
Musks „falsche Narrative“
Das sind nicht die einzigen von X publizierten Werte, die bei externen Beobachtern Stirnrunzeln auslösen. „Tatsache ist, dass Elon und Co. – absichtlich oder unabsichtlich – falsche Narrative über den relativen Erfolg von X verbreiten“, kommentiert Andrew Hutchinson, Social-Media-Marketing-Analyst und Chefautor beim Branchenblog Socialmediatoday.com.
Tatsächlich meldete X im Frühjahr 2024, täglich seien rund 250 Millionen Menschen auf der Plattform aktiv, monatlich riefen rund 550 Millionen Nutzer den Kurznachrichtendienst auf. Verglichen mit älteren Daten bedeutete das, dass es seit November 2022 kein Nutzerwachstum auf Tagesbasis gab und, dass der Zuwachs auf Monatsbasis in den zwölf Monaten zuvor bei 50 Millionen Nutzern lag. 50 Millionen Menschen, die X zwar installiert haben, den Dienst aber – wie die Tagesnutzung zeigt – offensichtlich nicht aktiv verwenden.
Für Oktober 2024 wirbt X laut bei Datareportal veröffentlichten Zahlen inzwischen bei Werbekunden mit der Aussage, gut 590 Millionen Nutzer für Werbekampagnen zu erreichen. Das wäre gegenüber April 2023 ein Plus von immerhin 220 Millionen adressierbaren Kunden und deutet auf ein anhaltendes Nutzerwachstum auf Monatsbasis hin. Doch darüber, wie aktiv die neu gewonnene Kundschaft den Dienst tatsächlich nutzt, sagen diese Zahlen wenig aus.
Dass X bei der Präsidentschaftswahl eine maßgebliche Rolle als Meinungsplattform gespielt hat, ist trotz aller schwammigen Reichweitenangaben unstrittig. Und dass Elon Musk, wie schon im Wahlkampf, seinen Dienst weiterhin offensiv als Werbeplattform für die Trump-Regierung nutzen dürfte, ist ebenfalls anzunehmen. Fakt ist allerdings auch, dass längst nicht alle Nutzer von X die Politisierung der Plattform goutieren.
Im Gegenteil, der von der Facebook-Mutter Meta im Sommer 2023 gestartete X-Konkurrent Threads habe inzwischen rund 275 Millionen monatlich aktive Nutzer, meldete Konzerngründer Mark Zuckerberg bei der Veröffentlichung der jüngsten Meta-Quartalszahlen. Das wäre ein Plus von immerhin 100 Millionen Nutzern seit diesem Frühjahr.
Und auch der vom einstigen Twitter-Gründer Jack Dorsey gegründete Messenger-Dienst Bluesky wächst. Deutlich langsamer zwar als das durch die offensive Werbung innerhalb der Meta-Plattform gepushte Threads. Aber erkennbar in offensichtlich durch Musks Aktivitäten bei X getriebenen Schüben: So stieg die globale Nutzerzahl bei Bluesky im September um 50 Prozent auf neun Millionen, nachdem ein brasilianisches Gericht X wegen Missachtung der nationalen Gesetze den Betrieb im Land zeitweise untersagt hatte.
Bluesky legt sprunghaft zu
Nur zwei Monate später liegt die Reichweite nochmals gut 50 Prozent höher als im September: bei mehr als 15 Millionen Nutzern. Allein in der Woche um die US-Wahlen meldeten sich mehr als 700.000 Anwender neu auf der Plattform an, zum großen Teil in den USA, berichtete „The Verge“ vor wenigen Tagen. Und das Wachstum hält an.
Gemessen an der Reichweite von X, wie auch immer man sie im Detail misst, ist das noch marginal. Doch es spiegelt eine anhaltende Skepsis gegenüber dem von Musk inzwischen unter dem Schlagwort der „Meinungsfreiheit“ zum Trump-Werbekanal umfunktionierten Nachrichtendienst. Eine Skepsis, die – viel mehr als anhand der Nutzerentwicklung –, besonders in der Zurückhaltung der Werbekunden zu messen ist. So meldete der Marktforscher Kantar vor den US-Wahlen miserable Werte, was die sogenannte Markensicherheit bei Werbung auf der Plattform X angeht.
Nur noch vier Prozent der befragten Werbeverantwortlichen glauben, dass X ein sicheres Markenumfeld für Anzeigen biete. Insgesamt sank das Vertrauen der Werbekunden in die positive Wirkung von Anzeigen bei X von 22 Prozent im Jahr 2022 auf nur noch zwölf Prozent in diesem Jahr; ein Minusrekord. Und 26 Prozent der Befragten wollen die Werbeausgaben bei X im kommenden Jahr reduzieren. „Die Markensicherheit ist gering, das Vertrauen ist gering, die Empfänglichkeit ist gering, die Ausgaben sinken. Das scheint ziemlich einfach zu sein“, kommentierte Kantar-Managerin Gonca Bubai das Imagedesaster von Musks Nachrichtendienst.
Daran dürften auch die jüngsten Jubelposts des Chefs nichts ändern.
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