Preisabsprachen: Wie Algorithmen die Kartellwächter auf Trab halten
Daten, Algorithmen und bald KI bestimmen die Zukunft der Wirtschaft. Kann das Kartellamt da mithalten?
Foto: dpaDie Arbeit des Bundeskartellamts ist ein hartes Geschäft – auch ohne den Werkzeugkasten der IT. „Ein perfektes Kartell wird nie auffliegen, dafür braucht es keine KI“, sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts. Doch machen es die neuen Möglichkeiten noch einfacher, den Wettbewerbswächtern zu entgehen?
Klar ist, Algorithmen werden genutzt. Das zeigt ein aktueller Fall des US-Justizministeriums (DOJ). Sechs Großvermieter sollen laut Anklage ihre Preisabsprachen geschickt verschleiert haben. Statt sich im verrauchten Hinterzimmer einer Kneipe zu treffen, sollen die Verantwortlichen über die Plattform RealPage Daten aus ihren Mietportfolios ausgetauscht und damit Algorithmen des Anbieters auf die Preisfindung trainiert haben. Diese sollen dann dafür gesorgt haben, dass sich die Mietpreise zum Nachteil der Mieter entwickelten.
Im Fall RealPage geht es der Kartellrechtsexpertin Ellen Braun zufolge aber nicht allein um die Preisvorschläge. Hinzu komme, dass „auf der Basis von Compliance-Mechanismen der Plattform die Befolgung dieser Vorschläge erleichtert wurde“. Zum Beispiel wenn die Annahme der Empfehlung technisch einfacher gestaltet ist als die Auswahl abweichender Preise.
Der Einsatz von Algorithmen allein beweise noch kein rechtswidriges Verhalten, so die Partnerin der Kanzlei A&O Sherman: „Algorithmen können sowohl für das Monitoring der Preissetzung von Wettbewerbern als auch für die Optimierung eigener Preisentscheidungen eingesetzt werden. Beides ist unproblematisch, da somit lediglich manuelle Vorgänge automatisiert werden. Die Frage ist, was hinzutreten muss, damit es zum Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern über die Preissetzung und damit zur verbotenen Abstimmung kommt.“
Um diese Frage zu beantworten, komme es auf die Rechtsordnung an: „Was in Europa gilt, gilt nicht unbedingt in den USA und umgekehrt“, sagt Braun. In Europa wird im Fall eines preisbezogenen Informationsaustausches unter Wettbewerbern eine Verhaltensabstimmung vermutet. In den USA orientiert sich die Rechtspraxis gerade neu, mit offenem Ausgang.
Jeder Dönerladen beobachtet den Markt. Wenn die Konkurrenz den Preis erhöht, zieht der Inhaber nach. „In transparenten Märkten mit wenigen Akteuren und einer überschaubaren Anzahl von Produkten reicht die gegenseitige Preisbeobachtung aus, um zu Preisangleichung zu gelangen.“, berichtet die Juristin. Dieses bewusste Parallelverhalten aufgrund von Beobachtung ist laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) zulässig.
Neue Risiken durch Digitalisierung
Den Unterschied – nach europäischem Recht – macht der willentliche Austausch von Informationen. Dieser muss den Angaben zufolge nicht kontinuierlich erfolgen, einmal reicht. Das muss aber nicht immer zu höheren Preisen führen. „Einem Informationsaustausch kann auch ein bewusstes Unterbieten der Preise des Konkurrenten folgen, um Marktanteile an sich zu ziehen. Beides gilt als Störung des freien Wettbewerbs“, sagt Braun.
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Was sich durch die Digitalisierung verändert hat, sind die technischen Erleichterungen für Datensammlung, Datenaustausch und Preissetzung für digitale (beziehungsweise digital beworbene) Güter und Dienstleistungen. Neben dem Austausch von (strategischen) Daten oder der gemeinsamen Nutzung einer Plattform als Mittel des Austausches und unter Umständen der Verständigung unter Wettbewerbern gibt es zahlreiche weitere.
Ein Arbeitspapier des Bundeskartellamts nennt einen Fall auf EU-Ebene als Beispiel. Die Elektronikhersteller Asus, Denon & Marantz, Philips und Pioneer hatten ihren Online-Händlern Preisbindungen auferlegt. Da viele Online-Händler ohnehin Algorithmen einsetzen, um ihre Preise für Produkte desselben Herstellers an die der Wettbewerber anzupassen, führten die Preisvorgaben der Hersteller indirekt zur Preisübereinstimmung auch auf Händlerebene.
Ab wann ist dabei die Grenze einer legitimen Marktbeobachtung erreicht? „Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Abschauen und Nachmachen ist erlaubt – Absprechen hingegen nicht. Das gilt unabhängig von der Frage, ob KI und Algorithmen eingesetzt werden, um die Konkurrenz zu beobachten“, erklärt Bundeskartellamt-Präsident Mundt.
Doch wie so oft im Recht, lassen sich auch mit klaren Grundsätzen nicht alle Einzelfälle abdecken. Wer sich öfter mit Justizthemen befasst, hört irgendwann die Lieblingsantwort der Zunft: „Es kommt darauf an.“ Das Kartellrecht bildet da keine Ausnahme.
Braun berichtet etwa von der sogenannten Revenue Management Software (RMS), die unter anderem im amerikanischen RealPage-Fall zum Stein des Anstoßes wurde. „In einem Markt mit vielen Akteuren kann eine RMS, welche ihre Preisdaten von allen Playern bezieht, kleineren Akteuren helfen, am Markt zu bestehen, während größere selbst über einen ausreichend großen Datenpool verfügen. Es fördert also den Wettbewerb.“ Eine Vergemeinschaftung der Daten sei hingegen problematisch, wenn wie im Fall RealPage daraus Preisempfehlungen generiert und im gegenseitigen Wissen befolgt werden.
Somit sind Datenanalysen dann ein Problem, wenn daraus eine Anpassung des Marktverhaltens unter Wettbewerbern folgt, weil der Markt zu eng oder die Datenaggregation nicht hoch genug ist.
Ähnliche Dienstleistungen, nämlich Marktstatistiken, bieten auch Verbände für ihre Mitglieder an. Aus diesem Grund hat sich die Praxis Braun zufolge über die Jahre verschärft: Heute werden Verbandsstatistiken – jedenfalls in Märkten für homogene Güter – keine Umsatzwerte mehr nennen. Stattdessen beschränken sie sich auf Marktvolumina, und Marktanteile aufgrund von Absatzzahlen, um die Errechnung von Durchschnittspreisen zu vermeiden.
Bloß nicht zu viel Transparenz
Die neuen Möglichkeiten bergen also Risiken, sie bieten aber auch viele Vorteile. Ohne den Einsatz von Datenauswertungen, Plattformen und Algorithmen wäre die deutsche Wirtschaft vermutlich schnell international im Hintertreffen. Das sieht auch das Bundeskartellamt so. In einer Mitteilung zur Zulassung der Agrarhandelsplattform Unamera erläutert Mundt seine Abwägung wie folgt: „Es darf über solche Netzwerke nicht zu Preisabsprachen kommen, sie dürfen nicht diskriminierend wirken, und es darf kein Übermaß an Transparenz geschaffen werden.“
Aber nicht nur die Wirtschaft hat Algorithmen für sich entdeckt. Auch Behörden experimentieren laut Bundeskartellamt längst mit Software-Unterstützung. Doch diese Entwicklung steht noch am Anfang: „Trotz bereits existierender Software-Tools bleiben Kronzeugen und anonyme Hinweise weiter die wichtigsten Hilfsmittel zur Aufdeckung von Kartellabsprachen“, erläutert Mundt.
Das heißt nicht, dass Kartellwächter nicht schon heute durchspielen, welche Methoden in Zukunft zum Einsatz kommen könnten. Bei diesen theoretischen Überlegungen geht es nach Angaben des Kartellamtes darum, im Vorfeld rechtliche Konsequenzen auszuloten.
Sobald es aber um den Bereich der generativen KI geht, also die Art von KI, die tatsächlich unabhängig von menschlichen Eingaben agiert, ist das Kartellamt noch zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen. Es stellt sich die Frage: Kann ein Unternehmen für die Handlungen eines Algorithmus, der unabhängig von Menschen agiert, belangt werden? Eine Frage, auf die die Justiz eine Antwort finden muss, sobald erste Fälle auftauchen.
Auch die Wissenschaft macht sich bereits Gedanken. Unter anderem der Experte für maschinelles Lernen Ashwin Ittoo und der Kartellrechtler Nicolas Petit kamen dabei zu dem Ergebnis, dass sich bestimmte KI-Lernmodelle theoretisch zur automatisierten und von menschlicher Einwirkung unabhängigen Gewinnmaximierung einsetzen lassen. Grundlage ihrer Modellierung war dabei die Spieltheorie, die laut Braun bereits in der Vergangenheit bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen strategisch eingesetzt wurde, „um das Verhalten der Mitbieter über mehrere Runden vorauszusagen und somit Frequenzen zu möglichst niedrigen Preisen zu ersteigern“.
Beweisführung bleibt schwierig
Kartellamtspräsident Mundt ist optimistisch. „Solange wir den Unternehmen eine Koordinierung über wettbewerbsrelevante Parameter nachweisen können, ist das eingesetzte Mittel egal. Wenn ein Unternehmen KI einsetzt, ist es für den Einsatz der KI auch verantwortlich. In diesem Sinne ist die KI nur ein Mittel zum Zweck, wenn auch ein raffiniertes.“
Mögliche Probleme sieht er eher bei der Beweisführung. Künftige Kartellverfahren könnten sich dadurch hinziehen. Er sieht auch hier jedoch keine großartige Veränderung zum Status quo: „Egal ob herkömmliches Hinterzimmer-Gespräch oder Datenaustausch, es ist immer eine Herausforderung, die Beweismittel dingfest zu machen.“
Auch Ellen Braun sieht das Kartellrecht trotz offener Fragen gut auf die kommenden technischen Neuerungen vorbereitet. „Wir stehen am Anfang einer Entwicklung“, sagt sie. Vor zehn Jahren sei erstmals über die Folgen des Einsatzes von Algorithmen geschrieben worden, in den vergangenen drei Jahren habe sich das intensiviert. „Um die Weiterentwicklung des Kartellrechts mache ich mir hier keine Sorgen, denn das ist – neben der anpassungsfähigen Anwendungspraxis – auch ein Regulierungswettbewerb, den die Politik aktiv betreibt.“
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