
Evgeny Morozov hat in seinem Bestseller „Smarte neue Welt“ vor vier Jahren die digitale Utopie des Silicon Valley entlarvt: als hohles Versprechen, die Probleme der Welt durch technologischen Fortschritt lösen zu können. Heute sagt der Harvard-Forscher: Die Philosophie des „Solutionismus“ folgt der ökonomischen Logik der Datenausbeutung und nicht umgekehrt. Wir sprachen mit dem Vortragsreisenden am Rande einer Veranstaltung des Thinktanks BrandTrust Future Circle für Topmanager in Konstanz.
WirtschaftsWoche: Herr Morozov, sind die Welterlösungsfantasien der Techpropheten in Wahrheit nur die Camouflage eines beinharten Wettlaufs um unsere Daten?
Evgeny Morozov: Na ja, die Chefs der großen Firmen sind nach wie vor ambitioniert. Sie versprechen uns noch immer eine reibungslos funktionierende Welt des Überflusses und der leicht lösbaren Probleme. Aber die ökonomische Logik dahinter ist heute viel stärker sichtbar als früher: Im Valley geht es um das Abzapfen von Daten. Um den Aufbau von Plattformen, die Suchtpotenzial haben. Um vernetzte Infrastrukturen, die unser gesamtes Alltagsleben in sich aufnehmen und steuern sollen.
Sie sprechen von selbstfahrenden Autos und einkaufenden Kühlschränken ...
… und von unseren Defiziten, die Matrix der digitalen Ökonomie zu verstehen. Wir müssen etwa begreifen, in welchem Ausmaß sich das Abzapfen von Daten in Unternehmenswerte übersetzt. Seit Anfang des Jahres ist die Marktkapitalisierung der vier größten Techfirmen in den USA um 450 Milliarden Dollar gestiegen – und die der vier größten Techfirmen in China um 400 Milliarden Dollar. Diese Kapitalkonzentration hat Folgen, die sich nicht auf die Digitalökonomie beschränken. Die wachsende Ungleichheit ist, vor allem in Amerika, ein ernstes Problem. Was mich zum zweiten analytischen Defizit bringt: Wir verstehen noch zu wenig von den kurzfristigen Vorteilen der Digitalökonomie, die wir als Privatleute genießen – und ihren langfristigen Nachteilen für unsere Wirtschaft und Demokratie.
Was meinen Sie damit?
Viele digitale Dienstleistungen werden heute gratis angeboten: E-Mails, Kurznachrichten, soziale Medien. Dabei handelt es sich im Grunde um eine Subvention, die sich die Konzerne dank der Datenabschöpfung leisten können – nicht zuletzt, um die Illusion eines digitalen Wohlfahrtsstaates zu erwecken, der von Internetplattformen aufgebaut und verwaltet wird. Wenn aber Daten der Rohstoff zum Aufbau von selbstlernenden Systemen sind, dann hat das eben nicht nur Folgen für uns als Konsumenten, sondern auch für uns als Arbeitnehmer. Menschen, die heute noch den Google-Algorithmus trainieren, indem sie sich bei Google aufhalten, werden morgen schon durch ihn auf die Straße gesetzt.
Sie argumentieren weniger kulturkritisch, mehr ökonomisch.
Weil ich glaube, dass eine robuste Debatte überfällig ist, die über die kulturellen und technologischen Aspekte, über Echokammern, Filter bubble, Fake News, über selbstfahrende Autos und 3-D-Drucker hinausgeht. Diese Aspekte sind wichtig. Aber ihre Diskussion erschließt uns nicht die Dramatik der ökonomischen Transformation.
Werbefinanzierte Datenabzapfung, Kapitalkonzentration, Ungleichheit – welche ökonomischen Aspekte sind noch wichtig?
Zum Beispiel die Finanzierung. Junge Technologiefirmen halten sich üblicherweise vom Kapitalmarkt fern, weil sie fürchten, dass Investoren Druck auf sie ausüben könnten. Und wenn sie dann doch an die Börse gehen, erfinden sie spezielle Besitzverhältnisse, die es Anteilseignern nicht erlauben, auf unternehmerische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Anteile ja, Mitsprache nein – wir haben es hier offenbar mit einer ganz neuen Form des Kapitalismus zu tun. Die meisten Techfirmen, sogar große wie Uber, sammeln das Geld privater Investoren ein. Sie existieren gleichsam außerhalb des Kapitalismus und sind keinen Kontrollmechanismen des Marktes unterworfen.
Und die politischen Aspekte der Debatte …
… sind noch verstörender. Die Gesundheitsvorsorge, das Bildungssystem, die Zukunft des Verkehrs – all diese Bereiche sind vom Vormarsch selbstlernender Maschinen zutiefst betroffen. Die Menschen werden älter. Millionen Jobs werden verschwinden. Die Einnahmen des Staates aus der Besteuerung von Löhnen werden zurückgehen. Kurz: Der Reformdruck, der auf unseren Gesellschaften lastet, ist enorm. Die gute Nachricht ist, dass die künstliche Intelligenz uns helfen wird, manche der mit ihr heraufziehenden Probleme zu lösen.
Auf welche Bereiche wirkt sich die Digitalisierung im Arbeitsalltag aus?
47 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, dass sich die Digitalisierung positiv auf das eigenständige Arbeiten auswirkt. 37 Prozent spüren keine Auswirkung, zehn Prozent beklagen negative Einflüsse.
Quelle: Edenred-Ipsos-Barometer 2015, "Wohlbefinden & Motivation der Arbeitnehmer"
45 Prozent sagen, dass die Digitalisierung die Zusammenarbeit verbessert, 13 Prozent sehen eine Verschlechterung.
43 Prozent spüren einen positiven Einfluss der Digitalisierung auf ihre Lebensqualität im Job, 36 Prozent merken gar keine Veränderung und 15 Prozent spüren negative Einflüsse auf die Teamarbeit.
Die Zusammenarbeit mit Kunden verbessert sich laut 42 Prozent der Befragten. Neun Prozent sehen hier eine Verschlechterung.
Eine Verbesserung durch die Digitalisierung erleben 41 Prozent, elf Prozent beklagen negative Einflüsse.
43 Prozent sagen, dass die Digitalisierung an den Kompetenzen nichts verändert hat. 40 Prozent sehen einen positiven Einfluss und acht Prozent einen negativen.
40 Prozent fühlen sich durch die Digitalisierung bei der Arbeit motivierter, bei elf Prozent sehe es durch die Digitalisierung schlechter aus mit ihrer Motivation. Für 43 Prozent hat sich durch die Digitalisierung nichts an ihrer Motivation verändert.
Dank der Digitalisierung können 34 Prozent der Befragten berufliches und privates leichter vereinen. Bei 16 Prozent ist es dagegen schwieriger geworden, beides unter einen Hut zu bekommen. 42 Prozent spüren keine Veränderung.
Bessere Chefs dank Digitalisierung? Keine Veränderung bemerkten 42 Prozent. Einen positiven Einfluss glauben 28 Prozent bei ihren Vorgesetzten bemerkt zu haben, eine Verschlechterung beklagten 28 Prozent.
Und die schlechte Nachricht?
Dass die Systeme der künstlichen Intelligenz von einer Handvoll amerikanischer und chinesischer Firmen kontrolliert werden. Das birgt nicht nur geopolitische Risiken, vor allem für Europa. Sondern das sorgt auch für machtpolitische Balancestörungen im Verhältnis zwischen Staaten und Unternehmen. Wir haben einen Sektor mit ungeheuer viel Kapital und Macht entstehen lassen – und ungeheuer wenig Rechenschaftspflicht. In einer solchen Situation ist es keine gute Nachricht, dass wir noch immer zögernd rätseln, wie wir die Folgen der neuen Datenökonomie zum Ausgangspunkt einer Agenda für den sozialen Fortschritt machen.
Arbeitsmarkt
Die meisten Auguren prophezeien uns am Arbeitsmarkt „a great displacement“.
Auch ich sehe gravierende Konsequenzen der Automatisierung. Die Disruption am Arbeitsmarkt betrifft nicht nur einfache Tätigkeiten und wird auch nicht nur Busfahrer überflüssig machen. Sondern sie erstreckt sich auch auf die routinehafte, diagnostische, datenbasierte Büroarbeit. Alles, was Computer auf der Grundlage gesammelten Wissens besser durchforsten können – Gerichtsakten, Krankheitsbilder oder auch die ökonomischen Eckdaten eines Unternehmens –, werden sie auch durchforsten.
Wir bekommen es mit einer großen Welle der Arbeitslosigkeit zu tun?
Ich kann jedenfalls nicht erkennen, wie durch den technologischen Fortschritt ausreichend neue Jobs entstehen sollen. Und selbst wenn sie entstünden: Die neuen Dienstleistungsjobs werden unsicher und prekär sein – in etwa so prekär, wie es schon heute die Jobs der Uber-Fahrer sind. Es sind Jobs, die ihrerseits zu verschwinden drohen in den nächsten fünf Jahren durch den Vormarsch selbstfahrender Autos.
Im Valley selbst macht daher schon der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens die Runde.
Als Venture Capitalist würde ich das vielleicht auch vorschlagen. Sehen Sie: Viele Digitalunternehmen gehen bereits dazu über, ihre Nutzer für bestimmte Dienste bezahlen zu lassen, etwa für Datenpakete in der Cloud oder Cyberversicherungen zum Schutz der Privatsphäre, ganz zu schweigen von Gebühren für Mobilitäts- oder Streamingdienste. Das heißt, die Digitalökonomie züchtet Nutzer heran, die einen großen Teil ihres Grundeinkommens darauf verwenden, Nutzer sein zu können. Klar also, dass Investoren die Idee ganz prima finden. Sie haben viel Geld in smarte Städte, saubere Energie und das „Internet der Dinge“ gesteckt – und brauchen Konsumenten, die einen return on investment garantieren.
Diese Jobs sind durch die Digitalisierung entstanden
Der Data Engineer sorgt dafür, dass Data Analysten und Data Scientisten erfolgreich arbeiten können. Denn die Data Engineers sammeln, generieren und säubern die Daten und bereiten sie auf, um sie dann den Analysten und Scientists zur Verfügung zu stellen. Sie stehen in der Wertschöpfungskette quasi ganz am Anfang aber gleichzeitig in enger Abstimmung mit den Fachbereichen und konkreten Inhalten. Eine Herausforderung, mit der sich Data Engineers immer stärker beschäftigen, ist das Thema Big Data und die damit verbundene Komplexität der Daten.
Quelle: Telefónica
Neben der Anwendung klassischer Analysemodelle zur Generierung von Business-Insights (Job des bisherigen „Data Analyst“), wendet der Data Scientist komplexere statische Methoden an, hat Kenntnisse im Bereich maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz. Außerdem spielt beim Data Scientist am Ende eines Projekts die Visualisierung der Ergebnisse und das sogenannte Storytelling eine große Rolle. Das heißt, er muss nicht nur gut mit Zahlen jonglieren, sondern auch kommunikative Fähigkeiten besitzen.
Bei der Arbeit mit Daten kommen die Spezialisten mit Themen wie Datensicherheit und Datenschutz in Kontakt, wodurch wiederrum neue Berufsprofile entstehen. So sucht Telefónica aktuell nach einem Data Protection & Data Security Consultant, der sich als erster Ansprechpartner und Berater um alle internen Themen rund um den Datenschutz bei der neuen Tochtergesellschaft Telefónica NEXT kümmert.
Der Take-to-Market Analyst ist Bindeglied und Übersetzter zwischen Analysten und externen Partnern. Wenn die Mitarbeiter anonymisierte Bewegungsdaten der Kunden nutzen wollen, um ihren Service zu verbessern, übersetzt der TTM Analyst die Anforderung jeweils in die Sprache des anderen. Dafür muss er – wie alle anderen Rollen auch – beide Parteien verstehen können. Er benötigt dazu ein gewisses technisch-analytisches Know-how und zugleich ein unternehmerisches Verständnis. Der TTM Analyst ist ein Allrounder, denn er schreibt ebenso Verträge und begleitet die Produktmanager zum Kundentermin. Anschließend erklärt er den Analysten, was genau zu tun ist.
Er gibt die Leitlinien für den Umgang mit Daten vor. Welche Informationen können bedenkenlos in welchem Zusammenhang verwendet werden? Wo liegen rechtliche Grauzonen bei der Auswertung von Daten? Wo ethische Barrieren? Seine Position ist meist nah am Vorstand angesiedelt, da eine Fehlentscheidung schnell ernsthafte Probleme verursachen kann.
Sowohl Mathematiker und Informatiker als auch Physiker sind für die Tätigkeit des Data Strategist besonders geeignet. Denn hohes technisches Verständnis ist Grundvoraussetzung, um nachvollziehen zu können, wie die Daten überhaupt erhoben werden.
Der CDO ist der oberste Digitalisierungsbeauftragte eines Unternehmens – oftmals sogar auf Vorstandsebene. Er gibt die Leitlinien für die Digitalisierung vor: entwickelt neue Geschäftsmodelle, führt innovative Technologien ein und fördert vernetztes Arbeiten in seinem Konzern. In seiner Position muss er die zukünftige Richtung vorgeben, Mitarbeiter und Anteilseigner in die digitale Transformation mitnehmen. Dazu braucht er neben fachlichen Qualifikationen vor allem Überzeugungskraft, Risikobereitschaft und Neugier.
Dieser Entwickler kümmert sich um neue Programme für Smartphones und Tablets. Bei kleineren Unternehmen ist er nicht nur Ideengeber, sondern programmiert die Anwendungen auch selbst.
Die meisten Mobile Developer sind entweder auf das Apple-Betriebssystem iOs oder Googles Konkurrenzprodukt Android spezialisiert. Früher ein Feld für Autodidakten, ist dieser Job heutzutage am besten für Informatiker geeignet – egal, ob studiert oder mit Berufsausbildung zum Fachinformatiker.
Der SEO-Manager – die Abkürzung steht für Search Engine Optimization, zu Deutsch: Suchmaschinen-Optimierung – ist der wohl bekannteste Performance Marketing Manager. Er ist dafür verantwortlich, Inhalte von Web-Seiten so zu optimieren, dass sie von Suchmaschinen möglichst gut gefunden werden.
Ebenfalls dazu gehören der SEM- und der SEA-Manager. Sie sind für Search Engine Marketing beziehungsweise Search Engine Advertising zuständig. Das heißt, sie entscheiden unter anderem, bei welchen Suchbegriffen eine Anzeige ihres Arbeitgebers erscheint, und kontrollieren den Erfolg solcher Maßnahmen. Ebenfalls in den Aufgabenbereich von Performance Marketing Managern fallen Direktmarketingaktionen zum Beispiel via E-Mail oder die Schaltung von Werbebannern.
Was schlagen Sie stattdessen vor? Eine Maschinensteuer?
Das wäre im Moment die falsche Antwort. Nein, um zu verhindern, dass vier, fünf Firmen aus dem Valley uns diktieren, wie wir unsere Gesellschaft zu organisieren haben, braucht es was anderes: eine Agenda von Regierungen, Städten und Vor-Ort-Unternehmern – für einen alternativen, sozusagen schonenden Umgang mit unseren Datenressourcen. Diese Daten gehören nicht dem Silicon Valley. Sondern sie gehören in die Hand regionaler, gemeinschaftlich definierter Interessen.
Dazu bräuchte es einen starken politischen Willen ...
... und eine ambitionierte, paneuropäische Gesamtstrategie. Eine Strategie, die kein „kontinentales Google“ zum Ziel hat, keinen Datenkonzern, der in Brüssel geboren wird und Facebook nacheifern soll wie einst Airbus dem Boeing-Konzern. Nein, was wir brauchen, sind dezentrale Lösungen auf der Basis einer gemeinschaftlich genutzten Dateninfrastruktur. Ist eine Welt, in der jeder Gründer auf der Basis desselben Zugangs zu künstlicher Intelligenz Ideen entwickeln und Innovationen vorantreiben kann. Wir dürfen nicht zulassen, dass drei, vier Konzerne eigene Systeme der Datenausbeutung aufbauen – und Innovation monopolisieren.
Wie soll das gehen?
Mit traditionellen Mitteln. Eine Infrastruktur ist für alle da – warum soll das nicht auch für die Dateninfrastruktur gelten? Wir erlauben doch auch keinem Autobauer einen exklusiven Zugang zu unseren Straßen. Mal ganz abgesehen also von der Frage, wem die Daten gehören: Künstliche Intelligenz ist eine moderne, universelle Infrastruktur, zu der jeder Zugang haben muss, um produktiv sein zu können.
Wie viel Zeit bleibt der Politik und den gesellschaftlichen Akteuren, sich ihrer Daten und Infrastrukturen zu bemächtigen?
Nicht viel. Google beschäftigt mehr Lobbyisten als Goldman Sachs, unterhält eigene Denkfabriken, produziert jeden Tag mehr Wissen – Mehrwert. Man kann daher davon ausgehen, dass die Digitalkonzerne die Dezentralisierung der Systeme für künstliche Intelligenz heftig bekämpfen werden. Was es braucht, sind einschneidende politische Interventionen auf der Basis eines Denkens, das sich nicht in der Forderung nach einem „freien Datenverkehr“ nach dem Vorbild des „freien Welthandels“ erschöpft. Sondern das im Interesse der Menschen an dezentralen Lösungen bei der Gewinnung und Verarbeitung von Daten arbeitet. In 10, 15 Jahren sind die Ressourcen weitgehend ausgebeutet. Jedenfalls wird Google dann mehr als genug über uns wissen – und auf der Basis von Daten Entscheidungen darüber treffen, was wir uns wünschen sollen. Anders gesagt: Handeln wir nicht in den nächsten fünf oder zehn Jahren, ist das Spiel verloren.