Mehlige Äpfel? Matschige Pommes? Ab in die Tonne! In riesigem Ausmaß werden Lebensmittel weggeworfen. Um das zu ändern, hält die Wissenschaft mit Kniffen und Tricks dagegen. Ob Restaurants, Landwirte, Lebensmittelproduzenten oder der Handel - ihnen allen können Chemie und Physik im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung beistehen. So lenken Forscherinnen und Forscher den Blick auf aufgesprühte Schutzschalen oder Hightech-Beutel, die den Reifeprozess von Obst verlangsamen können.
In Entwicklung sind ferner digitale Sensoren, die anzeigen, ob das Fleisch noch ohne Bedenken verzehrt werden kann - und dies genauer tun als jedes Etikett. Oder man setzt auf eine Thermodynamik-Lösung, die Pommes in der Verpackung aus der Imbissbude knusprig hält. „Das ist plötzlich ein großes Thema“, sagt Elizabeth Mitchum vom Lebensmitteltechnologiezentrum an der Universität von Kalifornien. „Selbst alteingesessene Unternehmen sprechen nun darüber, was sie in die Richtung tun können.“
Allein in den USA wurden nach Zahlen der Organisation ReFed, die sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetzt, im Jahr 2019 mehr als ein Drittel der 229 Millionen Tonnen Lebensmittel nicht verkauft oder nicht gegessen. In Geldwert entspricht dies 418 Milliarden Dollar (etwa 397 Milliarden Euro). Enorme Kosten fallen indes auch unter ökologischen Aspekten an. Bei Produktion und Vertrieb der Lebensmittel sind beträchtliche Ressourcen nötig, und auch die Entsorgung ist problematisch. Laut der US-Umweltschutzbehörde stellen Lebensmittelabfälle, deren Verrottung das Treibhausgas Methan freisetzt, den größten Anteil auf den kommunalen Mülldeponien.
ReFed schätzt, dass mit dem Einsatz von Hightech-Verpackungen ein großer Teil der Lebensmittel vor seinem Mülldeponie-Schicksal bewahrt werden kann. Zu den in Entwicklung befindlichen Produkten gehört beispielsweise ein Sensor des Stockholmer Unternehmens Innoscentia: Anhand der Mikrobenbildung in der Verpackung kann dieser anzeigen, ob das Fleisch noch bedenkenlos genießbar ist. Ein weiteres Beispiel ist ein Aufkleber zur Verlangsamung der Reifung von Obst und Gemüse, an dem das in den USA und Belgien ansässige Unternehmen Ryp Labs arbeitet.
SavrPak sorgt derweil dafür, dass Pommes und Co. heißer und knuspriger bleiben. Gegründet wurde das Unternehmen vor zwei Jahren von dem Luft- und Raumfahrtingenieur Bill Bergen, der das durchweichte Essen in seiner Lunchbox leid war. Er entwickelte eine Verpackung auf pflanzlicher Basis, die in die Imbissbox eingelegt werden kann und dort Kondenswasser absorbiert.
Im Einsatz sind die SavrPaks bereits bei der Hähnchenkette Hattie B's in Nashville in Tennessee. Nach anfänglicher Skepsis überzeugte ein Test den Imbissbetreiber, der die Erfindung inzwischen bei seinem Catering nutzt und nun gemeinsam mit SavrPak an einer Frischhalte-Verpackung in den regulären Mitnahmeboxen arbeitet. „Bei den Brathähnchen verlieren wir irgendwie die Kontrolle, sobald sie unser Haus verlassen“, sagt Brian Morris aus dem Führungsteam von Hattie B's. Dank SavrPak könne dies behoben und die Kunden vor schlechten Erfahrungen bewahrt werden. Die zusätzlichen Verpackungskosten sind es dem Unternehmen wert.
Doch für viele Anbieter und Verbraucher bleiben die Finanzen eine Hürde. So ließ die Lebensmittelkette Kroger in diesem Jahr eine Partnerschaft mit dem Unternehmen Apeel Sciences aus Kalifornien auslaufen, weil die Kundschaft den Erhebungen zufolge nicht bereit war, mehr Geld für entsprechend haltbarer gemachte Lebensmittel auszugeben. Mit einer essbaren Beschichtung hält Apeel die Feuchtigkeit länger im Inneren und damit die Produkte länger frisch. Laut Apeel ist das Unternehmen aber weiterhin mit Kroger über andere Lösungen im Gespräch.
Um Lebensmittel zu retten und gegen die Verschwendung anzugehen, braucht es viele Ideen. „Es gibt nicht die eine große Veränderung, die die Situation verbessern kann“, betont Randy Beaudry von der Michigan-State-Universität. Die Komplexität des Ganzen habe auch schon einige Projekte scheitern lassen, erklärt er. So habe er mit einem großen Verpackungsunternehmen an einem Behälter gearbeitet, der Tomaten vor dem Schimmeln bewahren sollte. Damit dies funktioniert habe, hätten aber die Tomaten nach Größe sortiert und mit dem Stiel nach oben eingelegt werden müssen. Letztendlich sei das Vorhaben dann aufgegeben worden. Die Wissenschaft sei vielversprechend, aber auch sie könne nur ein Teil der Lösung sein, unterstreicht Yvette Cabrera von der Umweltschutzorganisation NRDC. Sie appelliert ganz besonders an die Verbraucher.
Die meisten Lebensmittelabfälle kämen aus Haushalten, erklärt sie. Kleinere Portionsgrößen, der Kauf kleinerer Mengen von Lebensmitteln oder bessere Haltbarkeitsangaben könnten mehr bewirken als jede Technologie. Cabrera bringt das Problem auf den Punkt: „Insgesamt wertschätzen wir als Gesellschaft Lebensmittel nicht so, wie sie gewürdigt werden sollten.“
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