Hirnforscher Christof Koch „Wir brauchen womöglich ein leistungsfähigeres Gehirn“

Christof Koch Quelle: LAIF/Frederic Neema

Roboter werden immer schlauer, schon bald werden sie das menschliche Gehirn überflügeln. Da hilft nur eins, sagt der Hirnforscher Christof Koch vom Allen-Institut für Neurowissenschaft: Wir müssen unser Gehirn aufrüsten.

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WirtschaftsWoche: Herr Koch, wenn Künstliche Intelligenz weiter so voranschreitet wie in den vergangenen Jahren, reicht dann unser Gehirn, um mitzuhalten?
Christof Koch: Was sich zunächst einmal sicher sagen lässt: Das Gehirn wird immer mehr ins Zentrum jeder Entwicklung rücken. Früher wurde man in eine gute Lebensposition hineingeboren. Heute braucht man mentale Fähigkeiten und eine gute Ausbildung, um sich eine gesellschaftliche Position zu erobern. Das Gehirn bilden wir aus. Das ist es, was zählt.

Das Gehirn wird also das Unterscheidungsmerkmal der nächsten Generationen?
Genau. Das gebiert aber auch neue Herausforderungen. Es gibt eine kleine Schicht an Leuten, die auf Grund ihrer Gehirnleistung einflussreich werden kann. Allerdings neigt die dazu, wiederum andere zu heiraten, denen es genauso geht. Es wird deswegen eine extreme Konzentration von Talent und Ressourcen an einem Ende der Gesellschaft geben.

Droht dadurch eine Art neurales Prekariat?
Nicht in dem Sinne einer direkten technologischen Erweiterung des Gehirns. Sondern in dem Sinne dass Training und Bildung immer wichtiger werden.

Aber reicht Training, damit unser Gehirn mit Künstlicher Intelligenz konkurrieren kann?
Wer weiß das schon? Wir sollten uns jedenfalls darauf einstellen, dass es konkurrieren muss. Denn Künstliche Intelligenz wird sich rasant weiterentwickeln. Das ist keine Frage, ob wir das wollen. Denn anders als bei anderen großen Technologien, etwa der Atomkraft, lässt sich der Fortschritt kaum eingrenzen. Atomkraft ist sehr schwer zu kopieren, weil es am Ende immer die Ressourcen von Staaten braucht wie zum Beispiel Nordkorea. Künstliche Intelligenz lässt sich viel leichter in kleinen Organisationen weiterentwickeln. Nehmen Sie die Firma Deep Mind in London, einer der wichtigsten Akteure im Bereich KI. Da arbeiten nur 600 Leute. Wir sind längst in das Experiment Künstliche Intelligenz aufgebrochen. Und das wird sich nur schwer aufhalten lassen. Ob wir wollen oder nicht.

Was folgt für Sie daraus?
Wir brauchen womöglich ein leistungsfähigeres Gehirn, um mit der Künstlichen Intelligenz mithalten zu können. Es wird den Punkt geben, an dem wir mehr Gehirnfähigkeiten brauchen, die den Fähigkeiten von Computern ähneln.

Wann wird das sein?
Das wird nicht in den nächsten fünf oder zehn Jahren passieren.

Es gibt aber doch Forscher und Unternehmer, die schon versprechen, dass sich das menschliche Gehirn durch den Einbau von Chips erweitern lässt.
Da muss man unterscheiden: Ja, man kann jetzt schon die Leistungsfähigkeit des Gehirns erweitern aber mit konventionellen Mitteln – bessere Ernährung, mentales Training, Fitness. Ich komme gerade von meinem morgendlichen Sport. Im Studio war es richtig voll. Warum? Weil die Leute erkannt haben, dass sich über körperliche Fitness auch die Leistung des Gehirns steigern lässt. Der Gedanke, das Gehirn zu verbessern, ist also schon sehr gut angekommen. Das heißt aber nicht, dass wir kurz davorstehen, wirklich leistungserweiternde Geräte ins Gehirn einzubauen. Im Gegenteil, das ist noch weit in der Zukunft.

Facebook hat vergangenes Jahr angekündigt, dass sie an einem Gerät arbeiten, mit dem wir unsere Textnachrichten künftig ins Smartphone denken können.
Ich bin da extrem skeptisch. Niels Bierbaumer in Tübingen etwa arbeitet seit Jahren mit ALS-Patienten an so einer Hirn-Computer-Schnittstelle. Damit können Sie vielleicht einige Buchstaben pro Minuten per Gedankenakt auf eine Maschine übertragen. All diese Schnittstellen zwischen Gehirn und Technik sind sehr kompliziert. Man kann als Querschnittsgelähmter so zum Beispiel einen Rollstuhl nach rechts oder links steuern. Aber sich Dinge abstrakter vorzustellen, das ist sehr schwierig.

Wie in einem Stadion

Ich habe das in Tübingen selbst probiert und habe mehrere Minuten für ein einziges Wort gebraucht.
Das ist genau das Problem. Solche Geräte werden so schnell nicht Realität. Man muss da sehr ruhig, sehr konzentriert sein, damit das funktioniert.

Man muss sich das so vorstellen: Das technische Gerät mit EEG-Elektroden muss durch die Schädeldecke die Signale der Nervenzellen aus dem Gehirn herauslesen. Wenn Sie sich ganz stark auf ein Wort konzentrieren geht das, sobald Parallelprozesse laufen, wird das schwieriger. Das ist wie in einem Stadion: Wenn ein Zuschauer „Tor“ ruft, hören sie ihn nicht aus 80.000 heraus. Schreien alle, verstehen Sie das Wort. Deswegen glaube ich auch: Facebook kann 100 Leute drauf ansetzen oder auch 1000. Sie werden aber die Naturgesetze nicht außer Kraft setzen können.

Elon Musks Firma Neuralink verspricht, dass die Gehirn-Maschine-Schnittstelle kommt.
Jetzt sprechen wir über ferne Zukunft.

Er sagt, wenn wir unsere Gehirne nicht vernetzen und erweitern, werden wir gegen die Künstliche Intelligenz verlieren.
Langfristig hat er damit recht. Warum sind wir Menschen die dominante Spezies auf der Welt? Nicht weil wir die schnellsten und stärksten sondern die cleversten und aggressivsten sind. Wenn man jetzt etwas baut, das eine ähnliche Intelligenz hat wie wir, aber auf leistungsfähigerer Hardware aufbaut, kann uns das überflügeln. Aber das wird länger dauern, als wir denken. Es gibt derzeit 30 querschnittsgelähmte Patienten in den USA mit ins Gehirn implantierten Chips. Das muss aber sehr intensiv klinisch beaufsichtigt werden und funktioniert nicht wirklich. Das braucht alles sehr viel Zeit. Der menschliche Körper ist sehr komplex, und wir müssen sehr vorsichtig sein.

Was kann Künstliche Intelligenz realistisch schon?
Schauen Sie auf autonome Autos. Da habe ich schon vor 20 Jahren Forschungsmittel von Daimler bekommen. Und, was glauben Sie, wann Sie auf der Autobahn ein Auto ohne Fahrer neben sich sehen?

Vermutlich nicht so bald.
Genau. Wenn es gut läuft, werden vielleicht in 15 Jahren zehn Prozent der Fahrzeuge ohne Fahrer unterwegs sein.

Aber grundsätzlich geht das, mit Computern menschliche Intelligenz nachzubauen und beides miteinander zu verbinden?
Och, ich kann mir vieles vorstellen. Wenn man zwei Gehirne verbinden würde …

... dann lesen die zusammen ein Buch?
Es geht eher in die Richtung, dass dann ein gemeinsames Bewusstsein über zwei Köpfe entsteht. Man startet mit zwei Gehirnen und zwei Bewusstsein, man kann sie aber koppeln zu zwei Gehirnen und einem Bewusstsein. Das wären dann nicht Sie und ich, sondern eine seltsame Kombination, in der aus zweien eins wird. Der Traum aller Liebespaare.
Vielleicht aller Liebespaare, aber wenn ich mir das mit jedem möglichen Menschen vorstelle, doch eher ein Alptraum.
Wer weiß das schon? Ich kann mir vorstellen, dass um diese Möglichkeit herum ein neuer Kult entsteht.

Wem gehört eigentlich ein Gedanke, der aus so einem gemeinsamen Bewusstsein entsteht?
Beiden Körpern.

Das wird aber doch die Art, wie wir denken, komplett ändern.
Das wird alles ändern.

Und dann kommt noch die Künstliche Intelligenz ins Spiel.
Wenn wir versuchen, mit Computern mitzuhalten, werden wir mehr und mehr Teil der Maschinenwelt. Das ist ein wenig wie beim Skifahren. Irgendwann wird der Skistock Teil Deines Körpers. Aber ich will auch keine falschen Szenarien befeuern: da reden wir über eine Zukunft in 50 Jahren.

Werden wir das Gehirn jemals komplett verstehen?
Was meinen Sie mit verstehen? Es in Silikon nachzubauen oder als eine Art Software zu replizieren?

Ich meine die Fähigkeit, es zu simulieren.
Prinzipiell wird das gehen, ja. Aber in der Praxis? Lassen Sie mich das schmutzige, kleine Geheimnis der Neurowissenschaft verraten: Das meiststudierte Lebewesen ist der Fadenwurm C. elegans. Der ist einen Millimeter lang und hat 302 Nervenzellen. Die sind komplett kartiert. Und doch können wir daraus bis jetzt nicht ableiten, wie der Wurm sich verhält. Das menschliche Gehirn besteht aus 86 Milliarden Nervenzellen. Es ist gibt also keinen Grund zu hyperventilieren.

"Es ist wie in den sehr frühen Tagen des Internets"

Gleichzeitig fließen Milliarden an Forschungs- und Investorengeldern in den Bereich. Erleben wir einen Hype in Neurotechnologie?
Es gibt zwei Segmente der Industrie. Die einen fokussieren auf den medizinischen Fortschritt und haben sehr fundierte, aber vorsichtige Wachstumsmodelle. Und dann gibt es Unternehmen, die auf den Konsumentenmarkt zielen, mit großen Dollar-Zeichen in den Augen. Es ist wie in den sehr frühen Tagen des Internets.

Wo gibt es Geschäftsmodelle in dem Bereich?
Bis zu einer allgemeinen Anwendung wird es dauern. Es gibt "Second Sight", eine Firma in Los Angeles, die einen kleinen Chip ins Auge setzen kann. Dessen Entwicklung dauerte etwa 20 Jahre. Das zeigt, wie langfristig dieses Geschäft ist. Nicht nur wegen der technischen Entwicklung, sondern weil sie bei diesen Themen ja auch immer die Regulierung berücksichtigen müssen.

Und die Akzeptanz der Menschen?
Der normale Verbraucher wird eine Technologie am Körper nicht nutzen, wenn sie sein Leben um fünf Prozent verbessert, aber enorme Risiken hat. Wenn es sein Leben dramatisch verbessert, wird er es nutzen. Zum Beispiel, wenn wir uns durch ein neurotechnologisches Gerät direkt mit dem Internet verbinden können. Aber davon sind wir weit entfernt. Heute lassen sich zehn Prozent der Frauen in Los Angeles die Brüste verändern. Weil es plötzlich sicher ist und erschwinglich. Als es in den 50er Jahren aufkam, war das anders. Es dauerte 60 Jahre, bis sich das durchsetzte. Und da ging es um Silikonkissen in Brüsten, nicht darum, Dinge ins Gehirn zu pflanzen.

Der körperliche Eingriff ist das eine. Wird es auch möglich sein, das Bewusstsein nachzubauen?
Software, die auf einer digitalen Maschine läuft, kann das Verhalten von Gehirnen im Prinzip simulieren, aber nicht das Bewusstsein. Das ist wichtig zu unterscheiden. Wir können nun Intelligenz von Bewusstsein trennen. Wir können eine Superintelligenz schaffen, die doch kein Bewusstsein hat. Das ist einmalig in der Weltgeschichte.

Eine Künstliche Intelligenz mit Bewusstsein wird es also nie geben?
Wir werden das nicht mal simulieren können. Das ist wie mit dem Schwarzen Loch ein unserer Galaxie: Man kann es auf dem Rechner simulieren. Aber warum zieht es einen dann nicht rein? Weil man die Kraft, die es hat, eben nicht simulieren kann. So ist es mit dem Bewusstsein auch: Man kann es simulieren, aber nicht die Kraft, die es entfaltet.

Ist vielleicht nicht ein Problem, dass wir Menschen Künstliche Intelligenz zu verstehen versuchen, indem wir unser Verhalten auf das Verhalten intelligenter Maschinen projizieren?
Menschen begegnen Maschinen so, wie sie sich selbst sehen und übertragen ihre Gefühle auf die Maschine. Natürlich werden wir uns in Maschinen verlieben. Besonders Männer scheinen dafür offenbar anfällig, sonst würden sie nicht in den Science Fiction Filmen zum Thema die Hauptrolle spielen. Haben Sie schon mal Alexa ausprobiert?
Ja.
Das ist schon bemerkenswert, wie sich das System in den vergangenen fünf Jahren verbessert hat. Bevor ich sterbe, werde ich vorher eine perfekte Unterhaltung mit Alexa gehabt haben, inklusive Witzen, über die wir beide lachen. Aber sie wird nicht lachen, weil sie mich witzig findet – sondern weil sie gelernt hat, an bestimmten Stellen zu lachen.

Glauben Sie an den freien Willen?
Ja. Auch wenn das nicht das ist, was Menschen darunter verstehen.

Haben wir noch den freien Willen zu entscheiden, ob wir irgendwann mit intelligenten Maschinen fusionieren wollen?
Ich denke schon.

Sie nennen sich in einem Ihrer Bücher einen romantischen Reduzierer. Was heißt das?
Reduzieren in dem Sinn, dass ich Wissenschaftler bin. Und wir Wissenschaftler versuchen das Ganze zu verstehen, indem wir uns die Details anschauen und sie dann wieder zusammensetzen. Romantisch, weil ich glaube, dass ich Teil von einem Universum voller Sinn und Bedeutung bin. Dazu gehört auch die evolutionäre Einsicht, dass wir nicht die letzte Spezies mit einem hoch entwickelten Bewusstsein sind.

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