Es muss ja nicht unbedingt ewiges Leben sein. Aber ein paar Jahre mehr, so denken viele, das wäre nicht schlecht. Lange war die Idee mit der Lebensverlängerung nur ein ferner Traum. Doch nun rückt seine Erfüllung in greifbare Nähe. Jedenfalls für Taufliegen im Kölner Max-Planck-Institut (MPI) für Biologie des Alterns.
Während normale Taufliegen nur 50 bis 60 Tage alt werden, leben Vertreter der Zuchtlinie dilp2-3,5 gut doppelt so lange. Der Grund: Der Forscher Sebastian Grönke und seine Kollegen haben drei der Fliegen-Gene gezielt ausgeschaltet. Das lässt die nur drei Millimeter kleinen Tiere so alt werden. Und wenn der Biologe mithilfe von Duftstoffen das Erinnerungsvermögen der Winzlinge testet, zeigt sich zudem: Seine Fliegen-Methusalems sind bis ins hohe Alter geistig auch noch topfit.
Was Forscher wie Grönke an Modellorganismen wie der Taufliege, dem Fadenwurm, Mäusen, Fischen und Affen gerade über die biologischen Grundlagen des Alterns lernen, soll bald auch auf den Menschen übertragbar sein.
Gesundes Altern ermöglichen
Dabei geht es zunächst weniger darum, die Lebensspanne an sich zu verlängern. Die Wissenschaftler wollen vor allem erreichen, ein gesundes Altern zu ermöglichen – ohne Krebs, Diabetes, Alzheimer und Herzinfarkt. „Wir haben eine Reihe von Angriffspunkten für Medikamente gegen das Altern entdeckt“, sagt MPI-Direktorin und Alternsforscherin Linda Partridge. Die ersten Mittel werden bereits getestet.
Eine Wunderpille gegen die Gebrechen des Alters? Nichts scheint mehr ausgeschlossen. Auf einmal erlebt die Erforschung des Alterns enormen Auftrieb. Ärzte, Versicherungen und Politiker setzen größte Hoffnungen in die sogenannte Gerontologie.
Zu Recht. Denn die Forscher förderten in den vergangenen Jahren bahnbrechende Erkenntnisse zutage: Sie verstehen jetzt viel besser, wie sich der Prozess des Alterns möglicherweise bis zum letzten Atemzug herauszögern lässt.
Das würde enorme Probleme lösen. Denn die Menschen werden dank der Errungenschaften der High-Tech-Medizin zwar immer älter: Die Lebenserwartung hat sich in den vergangenen 130 Jahren mehr als verdoppelt. Doch weil die Evolution den Menschen nur für seine reproduktive Lebensspanne bis etwa 40 Jahren optimiert hat, nehmen danach Alterserkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes, Altersdemenzen und Gelenkschäden zu. Und mit jedem gewonnenen Lebensjahr dehnt sich auch die Phase des Leidens und Dahinsiechens immer weiter aus.
Triste Aussichten sind das. Oder, um es mit Loriot zu sagen: „Im Großen und Ganzen ist das Altern ist eine Zumutung.“
Großer Trend
Klar ist auch: Immer mehr alte und kranke Menschen überfordern die Sozialsysteme, fürchten Gesundheitspolitiker. Die medizinische Versorgung werde schlichtweg nicht finanzierbar sein, wenn sich die Zahl der Pflegefälle in Deutschland bis 2060 verdoppelt – und die Zahl der Erwerbstätigen gleichzeitig sinkt (siehe Grafiken).
Weltweit ist Alternsforschung deshalb einer der großen medizinischen Trends. Zum Beispiel für die Pharmaindustrie. „Wir müssen für die Alterserkrankungen neue Arzneimittel entwickeln, die die Menschen fit halten bis zum Schluss“, sagt Elias Zerhouni, der Forschungschef des deutsch-französischen Medikamentenherstellers Sanofi.
Google ist dabei
Dabei steigen auch ganz neue Spieler in den Markt ein, etwa der Suchmaschinenkonzern Google. Er gründete im Herbst eine Tochtergesellschaft namens Calico – die California Life Company. Sie soll neue, innovative Gesundheitstechnologien voranbringen, die das Leben der Menschen verbessern und verlängern können.
Als Chefentwickler im Hauptkonzern engagierte Google schon vor einem Jahr den Zukunftsforscher Ray Kurzweil. Der schluckt seit Jahren täglich mindestens 150 Vitaminpillen, um seine Lebenszeit auszudehnen. Dabei ist noch nicht einmal erwiesen, ob diese Anti-Aging-Strategie überhaupt etwas bringt.
Diese Anti-Aging-Mittel helfen nicht
Botox als Creme in die Haut einzumassieren sei ähnlich sinnfrei. Wird das Nervengift in Muskeln gespritzt, die beim Lachen oder Sprechen Falten machen, lähmt es diese Muskeln bis zu einem halben Jahr lang und glättet so die Haut. Zu glauben, der Wirkstoff werde aus der Creme in den Muskel gelangen, findet der Anti-Aging-Experte jedoch grotesk: „Das ist, als wenn ich mir ein Schnitzel auf den Bauch lege, wenn ich Hunger habe, und hoffe, dass es einzieht.“
Colon-Hydrotherapie ist der moderne Name für eine uralte Therapie, die des Einlaufs. Dass die Fäulnis im Darm todbringend sei, hatten schon die alten Ägypter geglaubt und sie mit Spülungen des Darms zu bekämpfen versucht. Damals wie heute ohne messbaren Erfolg.
Energy-Drinks wie Red Bull haben in der Szene den Nimbus von gesunden Fitmachern. Doch angesichts des enorm hohen Zuckergehalts sind sie laut Kleine-Gunk eher „Dick- und Altmacher“. Mit diesen Wachmachern könne man zwar eine Nacht durchtanzen, doch das Aufputschen sei „Raubbau am Körper“.
Vitamintabletten gehören zu den Klassikern der Anti-Aging-Medizin. Sie sollen beispielsweise die schädlichen freien Radikale abfangen, die erwiesenermaßen den Alterungsprozess in Zellen und Geweben fördern. Dass Vitamincocktails oder die hoch dosierte Gabe einzelner Vitamine das Altern aufhalten, ließ sich bisher aber nicht beweisen.
Wachstumshormone in Pillenform sind derzeit der Renner auf dem Anti-Aging-Markt, weil sie frei verfügbar und günstiger sind als die Originalspritzen. Doch ein Hormon wie HGH (Human Growth Hormone) zu schlucken sei völlig wirkungslos, sagt Kleine-Gunk: „Es wird restlos verdaut.“
Hochburgen der Alternsforschung
Auch Peter Thiel, Mitgründer und früherer Chef des Online-Zahl-Systems PayPal investiert ins ewige Leben. Er steckte 3,5 Millionen Dollar in die Methuselah Foundation, die vom britischen Biomathematiker und Gerontologen Aubrey de Grey mitgegründet wurde. Der behauptet seit Jahren, dass es keine genetisch festgelegte Obergrenze für die Lebenserwartung des Menschen gebe. Er glaubt, dass Altern eine Krankheit sei, „die wir besiegen können“.
Ob das stimmt, versucht eine weltweit wachsende Schar von Forschern herauszufinden. Dabei gehört – neben Forschungseinrichtungen in den USA und Großbritannien – auch Deutschland zu den Hochburgen der Alternsforschung. Ganz vorne mit dabei: Köln.
In dem vor fünf Jahren gegründeten Max-Planck-Institut von Linda Partridge arbeiten mit dem Fliegen-Forscher Grönke 75 Wissenschaftler. 280 weitere Mediziner, Genetiker und Biochemiker beschäftigen sich am direkt gegenüberliegenden Exzellenzcluster CECAD der Universität Köln ebenfalls mit Fragen des Alterns. Zum Beispiel damit, wie zellulärer Stress zu Altersleiden führt. Weitere 50 Wissenschaftler ergründen am wenige Hundert Meter entfernten Max-Planck-Institut für neurologische Forschung die Ursache des geistigen Verfalls, der Demenzerkrankungen.
Was wirklich hilft
Omega-3-Fettsäuren seien als Nahrungsergänzungsmittel dagegen zu empfehlen, um dem Altern vorzubeugen, sagt der Anti-Aging-Experte. Denn ein allgemeiner Alterungsfaktor sind sogenannte unterschwellige chronische Entzündungen, das haben Forscher inzwischen erkannt. Die Entzündungen werden von Botenstoffen, den Zytokinen, vermittelt. Dabei werden die entzündungsfördernden unter ihnen aus gesättigten Fettsäuren aufgebaut. Die schützenden, anti-entzündlichen Zytokine dagegen aus ungesättigten Fettsäuren wie Omega-3-Fettsäuren. Die sind zwar auch in Seefisch enthalten. Aber da die meisten Menschen zu wenig davon essen, sei eine künstliche Zufuhr sinnvoll, glaubt Kleine-Gunk: „Es schützt vor Arteriosklerose, Alzheimer und Krebs.“
Vitamin D fehle im Winter fast allen Menschen, weil dieses Vitamin nur unter Sonneneinstrahlung in der Haut gebildet wird. Ein Zusatz in der dunklen Jahreszeit beuge Osteoporose, Krebs und Winterdepressionen vor und sei zudem preiswerter als manche Wunderdroge, sagt der Arzt: „Für weniger als zehn Euro kommen Sie durch den ganzen Winter.“
Sport und Bewegung sind noch günstiger zu haben – und als Jungbrunnen mindestens so wirksam, wenn man nicht gerade Risikosportarten betreibe, argumentiert Kleine-Gunk.
Sich ausgewogen zu ernähren und Übergewicht zu vermeiden ist nach Ansicht des Anti-Aging-Experten allerdings die wirksamste Maßnahme gegen das Altern und seine Gebrechen. Sein Fazit: „Das klingt zwar fürchterlich banal, aber es hilft.“
TOR
Dabei kommt es zu völlig neuen Konstellationen: „Bisher haben die Neurologen sich um Demenzen gekümmert, die Kardiologen um Herzkrankheiten und die Onkologen um Tumore“, sagt Thomas Benzing, CECAD-Mitinitiator und Direktor der Klinik II für Innere Medizin der Universitätsklinik Köln. „Wir suchen nun fachübergreifend nach den gemeinsamen Ursachen all dieser Altersleiden.“
Benzings große Hoffnung ist es, dabei „einen zentralen Schaltmechanismus der Altersprozesse zu finden, an dem wir angreifen können“. Diesem Ziel sind die Forscher so nah wie nie zuvor.
Dreh- und Angelpunkt ist ein körpereigener Eiweißstoff namens TOR. Die Abkürzung steht für Target of Rapamycin, also Angriffspunkt für Rapamycin. Das ist ein Krebsmedikament. Drei amerikanische Forschergruppen zeigten im Jahr 2009 unabhängig voneinander, dass Rapamycin das Leben von Labormäusen verlängert – und zwar drastisch.
Gesund und alt
Bekommen Versuchstiere das Krebsmittel, erhöht sich ihr Lebensalter um zehn Prozent. Gleichzeitig bleiben sie gesund bis ins hohe Alter. Denn sie leiden weder an Krebs noch an Nervenkrankheiten wie Alzheimer oder Parkinson. Auch Diabetes, der Knochenschwund namens Osteoporose und eine Schädigung der Netzhaut des Auges, die Makuladegeneration, bleiben aus.
Dass ein einziges Medikament solch einen durchschlagenden Erfolg haben konnte, faszinierte die Forscher.
Zwar ist Rapamycin ganz sicher kein geeignetes Anti-Aging-Elixier für den Menschen. Dazu hat das Mittel zu viele Nebenwirkungen: Es erhöht den Cholesterinspiegel, stört die Wundheilung und kann Blutarmut hervorrufen. Aber die Forscher wissen jetzt, dass es solch eine zentrale Schaltstelle des Alterns im menschlichen Körper gibt – und dass sie sich mit Medikamenten ansteuern und regeln lässt.
Im Zuge dieser Forschung wird auch immer klarer, warum TOR solch eine bedeutende Rolle beim Altern spielt.
Sensor
Vereinfacht lässt sich das so darstellen: In erster Linie ist TOR ein Sensor für Nährstoffe. Ist genügend Nahrung da, regt TOR die Zellen dazu an, zu wachsen und sich zu vermehren. Dabei greift es in den Signalweg des Zuckerstoffwechsels ein und beeinflusst dessen Regulator, das Insulin.
Ist Futter Mangelware, bringt TOR die Zellen dagegen dazu, überflüssig gewordene Zellbestandteile abzubauen und zu verdauen, eine Art Großputz mit anschließendem Wertstoff-Recycling.
Im jugendlichen Alter, wenn der Körper noch wachsen muss, ist die Funktion von TOR ein Segen: Bei guter Futterlage Wachstum, in Notzeiten Aufräumen. Doch wenn im Alter Nahrung im Überangebot da ist, regt TOR die Zellen zu schädlichem Wachstum an. Gleichzeitig macht es die Zellen unsensibel gegen das Insulin, sodass der typische Altersdiabetes entsteht. Die Folgeschäden davon sind Nierenversagen und Herz-Kreislauf-Probleme.
Zudem bleibt der Großputz in den Zellen aus, sodass schädliche Ablagerungen zum Beispiel die Nervenzellen zerstören.
Wird das Wachstumssignal TOR dagegen mithilfe von Rapamycin blockiert, sieht das für den Körper so aus, als herrsche Futternotstand. Das wiederum erklärt, warum das Medikament genauso gut wirkt wie eine drastische Hungerkur.
Seit den Dreißigerjahren bekannt
Dass Hungern vor dem Altwerden schützt, ist schon seit den Dreißigerjahren bekannt. Neue, systematische Versuche von Forschern auf der ganzen Welt zeigten in den vergangen Jahren: Der sehr einfach organisierte Fadenwurm – Ceanorhabditis elegans – lebt mit Minimalernährung doppelt bis dreifach so lang. Die Taufliege – Drosophila melanogaster – verdoppelt mit einer Friss-die-Hälfte-Diät ihre Lebensspanne. Mäuse werden mit strikter Kalorienreduktion 30 bis 50 Prozent älter und bekommen deutlich weniger Tumore. Und eine jüngst abgeschlossene Studie am National Institute on Aging in den USA zeigte: Rhesusaffen – Macaca mulatta – macht die Hungerdiät gesünder bis ins hohe Alter, bringt aber keinen Gewinn an Lebenszeit.
Einige Menschen erproben die Strategie auch bei sich selbst. Doch die wenigsten halten so lange durch, dass die Effekte wissenschaftlich erfasst werden könnten. Der Grund: Die Extrem-Diät geht nur knapp an der Unterernährung vorbei. Als lebensverlängernde Standardernährung ist diese Rosskur deshalb kaum geeignet.
Kalorienreduktion ab 30
Erschwerend kommt hinzu: Das Fasten bringt nur dann einen sichtbaren Effekt, wenn man es früh genug beginnt. Zumindest zeigen das die Mäusestudien. In Menschenjahre umgerechnet, müsste etwa ab dem 30. Geburtstag die Kalorienreduktion beginnen. Damit wäre dann nicht nur die Geburtstagstorte gestrichen, sondern auch sonst der Spaß am Leben dahin.
In Köln haben die Forscher sich deshalb eine Strategie ausgedacht, wie einmaliges einwöchiges Hungern das Leben verlängern kann. Dort bekommen ältere Patienten, denen eine Operation bevorsteht eine solche Diät vor dem Eingriff verordnet.
Im ersten Testlauf mit gut 20 Teilnehmern zeigte sich, dass dieser Trick den Körper in eine Art Alarmbereitschaft versetzt, der ihn vor sonst üblichen Schäden bewahrt. So bleiben typische Nierenschäden, wie alte Menschen sie oftmals von den Kontrast- oder Narkosemitteln bekommen, aus.
Mitochondrien mit Proteinen aufpäppeln
Und obwohl das nicht gemessen wurde, geht Studienleiter Bernhard Schermer davon aus, dass auch Schädigungen in anderen Organen wie dem Gehirn so vermieden werden können. Jetzt soll der Versuch mit mehr Patienten und Kooperationspartnern wiederholt werden. Und das ist für die Kölner erst der Anfang. Denn Hungern sei für ihn als Arzt nur die zweitbeste Möglichkeit, sagt Schermer: „Natürlich wollen wir in Zukunft ein Medikament entwickeln, das wir den Patienten geben können.“
In Köln wird derzeit aber noch ein ganz anderer Ansatz erprobt, um die Alterung aufzuhalten: Die Genetikerin Tina Wenz päppelt mithilfe einer gezielten Proteingabe die Kraftwerke der Zellen, die Mitochondrien, wieder auf. Diese Energiestationen der Zellen machen im Alter gerne schlapp, was vor allem Nerven und Gehirn schädigt. Es gibt aber auch Menschen, deren Mitochondrien wegen eines angeborenen Erbdefekts nicht richtig funktionieren.
An solchen, sehr seltenen Patienten wird Wenz die Therapie zuerst erproben, wofür sie vor Kurzem einen Forschungspreis gewann. „Wenn die Reparatur der Mitochondrien bei diesen Patienten gelingt, kann das für die Alternsforschung wichtige Anregungen geben“, sagt Wenz.
Immunsystem
Ein weiteres großes Problem des Alterns: Das körpereigene Abwehrsystem funktioniert nicht mehr richtig. Das ist fatal, denn diese Immunabwehr leistet Großartiges – sie schützt unseren Körper nicht nur vor Krankheitserregern, sondern auch vor all den schädlichen Effekten, die Gifte oder Sonnenlicht im Körper anrichten.
Warum das körpereigene Abwehrsystem im Alter nicht mehr richtig funktioniert, ergründet Beatrix Grubeck-Loebenstein im österreichischen Innsbruck. Die Direktorin des 1992 gegründeten Instituts für biomedizinische Alternsforschung weiß: Im Alter schwächeln die T-Zellen – eine Art Killertruppe der weißen Blutkörperchen. Sie werden im Knochenmark gebildet, reifen aber erst im Thymusgewebe kurz oberhalb des Herzens vollständig aus. Denn dort im Thymus werden die T-Zellen auf ihre Feinde – etwa bestimmte Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren – geprägt.
Viele Impfungen in jungen Jahren
Doch der Thymus bildet sich beim Menschen nach der Pubertät schnell zurück und stellt mit etwa 50 Jahren die Arbeit ganz ein. Dann können auch keine T-Zellen mehr auf neue Feinde eingeschworen werden. Das hat zur Folge, dass Impfungen im Alter nur sehr schlecht oder gar nicht mehr anschlagen.
Grubeck-Loebenstein weiß aber: „Heute wollen 80-Jährige das erste Mal in die Tropen reisen und sind dann einer Vielzahl neuer Krankheitserreger ausgesetzt.“ Bis das Problem gelöst ist, empfiehlt sie deshalb, sich schon in jungen Jahren möglichst viele Impfungen geben zu lassen, die man später einmal brauchen könnte.
Weniger elastisch
Die Immunabwehr hat im Alter aber auch noch ein paar weitere Probleme. So kommen die Membranen der Abwehrzellen bildlich gesprochen in die Jahre. Nicht dass sie Falten zeigten, aber sie sind offensichtlich weniger elastisch und funktionieren nicht mehr richtig. Dann klappt zum Beispiel die sogenannte Phagozytose nicht mehr reibungslos, bei der die Fresszellen der Immunabwehr Krankheitserreger mit ihrem eigenen Zellkörper umschlingen, verdauen und damit unschädlich machen.
Normalerweise sorgt die Immunabwehr auch dafür, dass mit gezielten Entzündungsreaktionen Gewebeschäden repariert werden. Doch je älter wir werden, desto eher entgleisen diese Entzündungsreaktionen. Sie heilen nicht mehr den Defekt, sondern produzieren zum Beispiel zu viel Gewebe. Dann werden diese Entzündungen chronisch, etwa bei Erkrankungen wie Arteriosklerose oder Morbus Crohn. Die Folge: Gelenke oder der Darm verdauen sich dann quasi selbst.
Gendefekte
Entzündungen lassen sich zwar schon heute mit Medikamenten verhindern – etwa mit Cortison. Doch sei eine dauerhafte Gabe von Cortison nicht das Mittel der Wahl, sagt CECAD-Wissenschaftler Christian Reinhardt: „Wenn die Entzündungsreaktion unterdrückt wird, können auch neue Erreger nicht mehr erkannt werden.“
Dabei wäre es aus seiner Sicht als Krebsforscher absolut hilfreich, die latenten Entzündungen aus dem Körper zu verbannen. Denn sie sind eine wichtige Ursache für Krebs, das wissen die Forscher heute.
Der andere wichtige Grund, warum Krebs sich vor allem im Alter entwickelt: Gendefekte, die täglich 1000-fach im Körper entstehen, werden nicht mehr repariert. Denn auch die Kontroll- und Reparaturmechanismen für das Erbgut werden alt und nachlässig. So übersehen sie Schreibfehler in den Genen. Häufen sich zu viele Fehler in einer Zelle, mutiert sie zur endlos wuchernden Krebszelle.
Der Evolution egal
„Im Alter entgleisen so viele verschiedene Mechanismen, weil die Evolution kaum noch eine Angriffsfläche für die Auslese hat – eben weil wir uns im höheren Alter nicht mehr fortpflanzen“, sagt der Kölner Genforscher Björn Schumacher. Denn die Evolution funktioniert nach dem Prinzip, dass die jeweils besten und erfolgreichsten Exemplare ihrer Art ihre Gene erfolgreich in die nächste Generation weitergeben. Ob oder woran wir erkranken und sterben, wenn unser Körper keine Nachkommen mehr produzieren kann, ist der Evolution herzlich egal.
Wo die natürliche Optimierung der Gene fehlt, legen Forscher nun selbst Hand an. So hat eine spanische Forscherin kürzlich eine Gentherapie gegen das Altern etabliert. Auch sie zunächst aber nur für Mäuse.
Maria Blasco vom spanischen Krebsforschungszentrum CNIO in Madrid hat es im vorigen Jahr geschafft, die sogenannten Telomere zu stabilisieren. Sie sitzen wie Schutzkappen auf den Chromosomen, in denen das Erbgut steckt. Bei jeder Zellteilung werden sie ein Stück kürzer. Irgendwann sind sie so kurz, dass der Körper die Zelle als schadhaft erkennt und aussortiert.
Auch das ist ein Mechanismus des biologischen Alterns: eine Art biologische Uhr.
Mithilfe eines eingeschleusten Gens kann die Forscherin den Prozess aufhalten und die Uhr zurückstellen. Die Folge: Die Mäuse altern langsamer, bekommen seltener oder viel später als ihre unbehandelten Artgenossen Diabetes und Osteoporose.
Hoffnungsschimmer
Blanco schlägt diese Jungbrunnentherapie nun auch als Anti-Aging-Therapie für den Menschen vor. Denn der Alterungsprozess der Zellen sei der Grund vieler alterstypischer Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Probleme oder Diabetes. „Indem wir die Zellalterung behandeln, können wir diese Krankheiten verhindern.“
Ein Hoffnungsschimmer sind diese Therapien in jedem Fall. Ewiges Leben hingegen werden sie so bald nicht bringen. „Eines Tages ist biologisch definitiv das Ende des Lebens erreicht“, beantwortet etwa der Kölner Krebsforscher Michael Hallek diese fast schon philosophische Frage.
Selbstbestimmt
Hallek ist stellvertretender wissenschaftliche Koordinator von CECAD und Direktor der Klinik I für Innere Medizin der Uniklinik Köln. Ihm geht es anders als de Grey oder Kurzweil nicht darum, das Sterben an sich abzuschaffen. Wofür Hallek mit seinen Kollegen sorgen will, ist, dass wir Menschen unsere Zeit bis zum Tod möglichst gesund und fit verbringen können.
So lautet auch das CECAD-Motto: „Dem Leben nicht nur mehr Jahre geben, sondern den Jahren auch mehr Leben.“
Dann könnte ein selbstbestimmtes, tatkräftiges Leben bis zum Schluss wieder fast so üblich werden wie vor der Erfindung vieler medizinischer High-Tech-Geräte – etwa in den Fünfzigerjahren.
Damals traf etwa der Tod von Hermann Thieme die Angehörigen völlig überraschend. Der Schreinermeister radelte gerade noch von seiner Tischlerei in Berlin-Niederschönhausen die paar Hundert Meter nach Hause und winkte seiner Frau zu. Sie stellte daraufhin das Essen auf den Tisch. Doch wer nicht erschien, war der Herr des Hauses. Der 69-Jährige war beim Abstellen seines Fahrrads zusammengebrochen. Als der Arzt endlich eintraf, konnte der nur noch seinen Tod feststellen.
Was damals ein Schock war, entwickelte sich in dieser und vielen anderen Familien allmählich zum Wunschszenario: So plötzlich und schmerzlos mitten aus dem Leben zu scheiden, das musste herrlich sein: kein Leid, keine Krankheit, kein Alten- und Pflegeheim.
Einfach winken – und weg.