Die Chancen für einen Universalimpfstoff gegen das Coronavirus stehen ausgesprochen schlecht. Das sagt Peter Palese, einer der weltweit führenden Virologen und Experten für Universalimpfstoffe, gegenüber der WirtschaftsWoche. Der gebürtige Österreicher, der im New Yorker Mount Sinai Hospital forscht, hat selbst potenzielle Universalimpfstoffe gegen Grippe entwickelt, die zurzeit in klinischen Studien getestet werden.
Noch vor einem Jahr hatte er sich optimistisch geäußert, dass es in absehbarer Zeit ein ähnliches Präparat auch gegen das Coronavirus geben könnte. Virus-Mutationen hätten dann keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Impfstoffes mehr.
Bei der Grippe gilt eine solche Lösung heute in greifbarer Nähe. Das Virus, das die Form eines Balls hat, besitzt an seiner Oberfläche sogenannte Spike-Proteine. Die sehen ein wenig aus wie Brokkoli. Deren Kopf, an dem die meisten Antikörper ansetzen, mutiert rasant. So ist das Virus für das Immunsystem schon nach einiger Zeit nicht mehr erkennbar. Darum muss eine Grippeschutzimpfung jede Saison aufgefrischt werden – und bietet dennoch keine absolute Sicherheit.
Der Stamm des Brokkoli-Proteins dagegen verändert sich so gut wie nie. Indem Palese in seinem Grippeimpfstoff dem Kopf eine irrelevante Form gibt, kann er Antikörper darauf trainieren, den Stamm anzugehen. Somit immunisiert das Vakzin auch gegen zukünftige Versionen des Grippevirus.
„Das Problem beim Coronavirus ist, dass das Spike-Protein keine solche Brokkoli-Form hat und keine klaren Demarkationslinien zwischen den Teilen, die permanent mutieren und denen, die sich kaum verändern“, sagt der Virologe nun. Die besten Struktur-Biologen der Welt hätten das Coronavirus in den vergangenen Monaten nach solchen unveränderlichen Partien abgesucht. Bisher ohne Erfolg, sagt Palese. Sein Pessimismus, einen Universalimpfstoff zu finden, liege daher auf einer Skala von eins bis zehn bei neun. „Ein solches Mittel liegt definitiv nicht um die Ecke“, sagt er.
Das französische Biotech-Unternehmen Osivax will die Hoffnung dennoch nicht ganz aufgeben. Es zielt mit seinen Forschungen auf Teile im Inneren des Virus, das sogenannte Nukleokapsid-Protein. Das scheint beim Corona-Virus relativ stabil zu sein. Dafür ist es umso schwieriger, einen Impfstoff dafür zu bauen, der hier ansetzen kann. Weil sich das Protein im Inneren des Virus befindet, ist es für Antikörper nicht zugänglich. Osivax will daher eine zelluläre Reaktion des Immunsystems auslösen. Wie erfolgversprechend und vor allem wirksam dieser neue Ansatz ist, der auf die sogenannten T-Zellen im Körper abzielt, vermag derzeit niemand zu sagen. Momentan laufen Studien an Tieren.
Der gangbarste Weg bestehe daher wohl auf absehbare Zeit darin, mehrere Mutationen des Coronavirus in einem Multivarianten-Impfstoff zu mischen, glaubt Palese. Diese müssten dann wahrscheinlich in regelmäßigem Abstand ein Update erhalten. Weil das Coronavirus sich weniger rasant verändert als das Grippevirus, muss dieses Update nach Ende der Pandemie aber womöglich nicht jedes Jahr erfolgen.
Immerhin für die Impfstoffhersteller ist das eine gute Nachricht. Sollte die regelmäßige Impfung gegen Grippe dank eines Universalvakzins tatsächlich bald überflüssig werden, dürfte die wiederkehrende Coronaimpfung die wegfallenden Umsätze locker wieder einspielen.
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