Mobilfunk: Afrikas mobiles Wirtschaftswunder

In Afrika könnte die Mobiltelefon-industrie zu einem wirtschaftlichen Boom führen
Mehr als 650 Millionen Menschen in Afrika nutzen ein Mobiltelefon. Das sind mehr als in Europa oder in den USA. Die sogenannte Durchdringung ist in Afrika zwar noch nicht auf dem gleichen Niveau wie in diesen Regionen, aber in afrikanischen Ländern haben inzwischen zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung Zugang zu Informationstechnologie. Das ist ein Ergebnis der Studie The Transformational Use of Information and Communication Technologies in Africa, die die Weltbank zusammen mit der Afrikanischen Entwicklungsbank erstellt hat.
Nicht nur diese Zahl ist beeindruckend, sondern auch das schnelle Wachstum des Mobilfunkmarktes in Afrika. Im Jahr 2000 hatten zwei Prozent der Bevölkerung ein Festnetztelefon, 20 Millionen Menschen. Die Geräte standen nur in Behörden und bei reichen Familien, die Infrastruktur war dünn.
Die Zahl der Festnetztelefone hat sich seitdem wenig verändert, die für mobile Geräte hingegen enorm: von 16,5 Millionen Mobiltelefonen im Jahr 2000 auf 650 Millionen im Jahr 2012. Afrikanische Länder sind zu mobilen Nationen geworden, große Teile des wirtschaftlichen und des gesellschaftlichen Lebens basieren inzwischen auf dem Mobiltelefon.
Wirtschaft wächst dank Mobiltelefonen
Diese Zunahme sei einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Wirtschaft in diesen Ländern so stark wachse, konstatiert der Bericht. Die Informationstechnik habe entscheidenden Einfluss auf die Landwirtschaft, den Umgang mit dem Klimawandel, die Bildung, die Regierungsdienste, die Finanzbranche und das Gesundheitswesen.
In manchen Ländern haben laut dem Bericht mehr Menschen Zugang zum Mobilfunknetz als zu sauberem Wasser oder Strom. Das zeigt, welche Bedeutung die Menschen dieser Technik beimessen. Mobiltelefone ermöglichen in vielen Regionen den Zugang zum Handel, zu Informationen, zu Bildung und zur Politik.
Die Informationstechnik sei im Durchschnitt für sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes verantwortlich, heißt es in dem Bericht. Das sei mehr als in anderen Regionen der Welt. Denn weil Mobiltelefone oft der einzige Zugang zur Welt sind, wickeln die Menschen mehr Geschäfte über sie ab.
M-Pesa bewegt Milliarden Dollar
Ein inzwischen sehr bekanntes Beispiel für die Veränderungen, die Mobiltelefone in afrikanischen Gesellschaften bewirken, ist der Finanzdienst M-Pesa. Er ermöglicht es seit 2007, via SMS Geld zu übertragen. Das System ist unkompliziert und zum Modell für viele ähnliche Angebote geworden – weil die klassische Infrastruktur zum Geldtransfer fehlte. Banken und Geldautomaten gibt es in Afrika in viel geringerer Dichte als in Europa oder Nordamerika.
Afrikanische Unternehmen sind nun weltweit führend, wenn es um mobilen Geldtransfer geht. Sogar von einem Handy-Wirtschaftswunder ist schon die Rede. Über die verschiedenen mobilen Geldplattformen Afrikas werden pro Monat mehr Transaktionen abgewickelt als über Paypal. Allein im Juni 2012 waren es 4,6 Milliarden Dollar.
Von den neuen Lösungen profitieren auch die alten. In Kenia, wo M-Pesa entstand, stieg auch die Zahl der klassischen Bankkonten. Seit der mobile Dienst eingeführt wurde, hat sich die Zahl der herkömmlichen Konten vervierfacht. Die gesamte Wirtschaft profitiert, wenn mehr Menschen an ihr teilnehmen können.

Platz 9: Malaysia
Mit einer verhältnismäßig kleinen Bevölkerung von 28 Millionen Einwohnern kann Malaysia kaum punkten. Auch die verhältnismäßig hohen Arbeitskosten von 15,6 Dollar (absolutes BIP geteilt durch BIP pro Person) machen das Land nicht außergewöhnlich attraktiv. Spannend ist Malaysia vielmehr als Beschaffungsmarkt. Die Befragten der Studie von Valuneer und ICC zu Trends internationaler Einkaufsmanager bewerteten den Markt überaus positiv.
Quelle: Exklusivranking für die WirtschaftsWoche in Kooperation mit Valueneer. Für das Ranking wurde nach der Attraktivität als Absatz- sowie als Beschaffungsmarkt unterschieden und Indikatoren wie Lohnkosten, Wachstumsraten, Importvolumen, Rohstoffreichtum und Bevölkerungsgröße herangezogen und unterschiedlich gewichtet.

Platz 8: Ghana
Das afrikanische Land kann mit seinem starken Wachstums punkten. 2011 stieg das BIP um 13,5 Prozent. Kein anderer der 50 betrachteten Wachstumsmärkte wies solche Steigerungsraten auf. Dazu lockt Ghana mit günstigen Arbeitskosten. Allerdings gilt das westafrikanische Land nach wie vor als wenig sicher und sehr korrupt.

Platz 7: Polen
Das Land punktet bei deutschen Investoren vor allem durch seine räumliche Nähe als günstiger Beschaffungsmarkt. Die politische Lage ist stabil. 39 Millionen Einwohner freuen sich über ausländische Waren. 2011 gingen immerhin Importe im Wert von 170 Milliarden Dollar ins Land. Auch wenn die Lohnkosten verhältnismäßig hoch sind - Polen bleibt ein attraktiver Markt.

Platz 6: Algerien
Das Land erreicht in keiner Kategorie Bestwerte, kann aber als Beschaffungsmarkt überzeugen (Platz 2). Einkaufsmanager sehen viel Potenzial, außerdem verfügt das Land über immense Rohstoff-Ressourcen im Wert von 72 Milliarden Dollar. Die Arbeitskosten sind mit 7,3 Dollar noch deutlich geringer als z.B. in der Türkei (14,5 Dollar) oder Mexiko (14,6 Dollar). Damit erreicht Algerien insgesamt Platz 6.

Platz 5: Türkei
Im Ranking der besten Absatzmärkte erreicht die Türkei mit einer durchschnittlich kaufkräftigen, aber dafür umso größeren Bevölkerung von 75 Millionen Einwohnern einen guten dritten Platz. Im Jahr 2011 wuchs das BIP um satte 8,5 Prozent. Als Beschaffungsmarkt ist das Land dafür weniger attraktiv (Platz 10 von 50). Insgesamt: Platz 5.

Platz 4: Mexiko
Bereits 328 Milliarden Dollar Direktinvestitionen flossen 2011 nach Mexiko - der höchste Wert im Ranking. Dazu locken 112 Millionen Einwohnern. Diese Kombination macht Mexiko zum zweitbesten Absatzmarkt der Welt für die deutsche Wirtschaft - so die Experten von Valuneer. Als Beschaffungsmarkt kann das Land weniger überzeugen: Platz 11. Insgesamt reicht es für Rang vier.

Platz 3: Südkorea
1723 Dollar pro Kopf steckte Südkorea im Jahr 2011 in Forschung und Entwicklung - und damit mehr als alle anderen untersuchten Ländern. Als Beschaffungsmarkt belegt Südkorea den vierten Platz. Als Absatzmarkt überzeugt der asiatische Staat, weil er bereits im Jahr 2011 Importe im Wert von 525 Milliarden Euro einführte.

Platz 2: Indonesien
Indonesien verfügt über förderbare Ressourcen im Wert von 101 Milliarden US-Dollar und damit über das höchste Volumen der neun kommenden Absatzmärkte. Mit 240 Millionen Einwohnern ist Indonesien das viertgrößte Land der Welt. Diese zwei Kriterien - neben immer noch verhältnismäßig geringen Lohnkosten und der stabilen innenpolitischen Lage- machen Indonesien zu einem der aussichtsreichsten Wachstumsmärkte.

Platz 1: Nigeria
Mit nur 2,6 Dollar weist Nigeria die niedrigsten Arbeitskosten der 50 untersuchten Märkte auf. Das macht es als Beschaffungsmarkt äußerst interessant, ebenso wie sein Rohstoffvolumen im Wert von 92 Milliarden US-Dollar.
Inzwischen haben auch die Hersteller von Mobiltelefonen und Entwickler von Netzdiensten erkannt, wie groß und wichtig der afrikanische Markt ist. Ob Microsoft, Intel oder Facebook, sie alle bauen inzwischen gezielt Produkte für die Region. Nur um festzustellen, dass chinesische Firmen das längst erkannt haben.
Aber nicht nur die Wirtschaft, auch viele andere Bereiche entwickeln sich laut Weltbankstudie dank der Verbreitung von Mobilgeräten und -technik. Denn sie beseitigen eines der größten Hindernisse für Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent: fehlende Informationen.
DrumNet nutzt Bauern und Händlern
Ein Beispiel dafür ist DrumNet, das in dem Weltbank-Bericht ebenfalls lobend erwähnt wird. Zwei Drittel aller Menschen in Afrika leben von der Landwirtschaft. Doch die Infrastruktur ist ineffizient. Bauern kennen Marktpreise nicht und haben Mühe, Handelsplätze zu erreichen, Kunden können nicht beliebig große Mengen der Produkte kaufen, Qualitätskontrollen sind kaum flächendeckend möglich.
DrumNet, das ebenfalls auf SMS basiert, will vor allem Zugang zu Informationen schaffen, um diese Hürden zu überwinden. Bauern können darüber angeben, wie viel sie angebaut und geerntet haben, Händler teilen mit, was sie kaufen und verkaufen. Bauern können so erfahren, welchen Preis sie erwarten können, Händler wissen, welche Mengen an Produkten verfügbar sind. Gleichzeitig dient das System als Bezahlplattform. Banken sind daran interessiert, weil sie über DrumNet erfahren können, wie zuverlässig ein Bauer liefert – was ihm im Zweifel einen billigeren Kredit verschafft.
Inzwischen gibt es viele solcher Angebote. Esoko, eine in Ghana gegründete Plattform, verschickt vor allem Wetter- und Marktberichte. Genau wie beispielsweise mFarm oder Manobi. Ihre Informationen helfen, dass der gesamte Markt stabiler wird und mehr Menschen von ihm profitieren können.
Erste Hilfe
Ähnliche Effekte hat Mobilfunk in der Politik oder im Gesundheitswesen. Auch dort geht es vor allem darum, Informationen zu möglichst vielen Menschen zu bringen. MedAfrica will dabei helfen, Krankheiten zu erkennen und ihre Gefährlichkeit einzuschätzen. Über die App werden Ratschläge zur ersten Hilfe ebenso verbreitet wie Informationen zum nächstgelegenen Krankenhaus. Die App versucht beispielsweise, Fragen von Müttern zur Entwicklung ihrer Kinder zu beantworten, und praktische Tipps zur Ernährung zu geben. Später soll es auch möglich sein, einzelne Ärzte zu finden oder zu erkennen, ob ein Medikament gefälscht ist.
Solche Informationen mögen für entwickelte Informationsgesellschaften banal erscheinen. Für Menschen, die keinen Zugang zu Zeitungen, Büchern und Fernsehen haben, können sie lebenswichtig sein.
Die Infrastruktur im Mobilfunkbereich ist laut dem Bericht aber längst noch nicht ausreichend. Zwar habe sich dank neuer Seekabel und neuer Landleitungen die verfügbare Internet-Bandbreite zwischen 2008 und 2012 verzwanzigfacht. Doch liege Afrika noch hinter anderen Regionen der Welt zurück, vor allem im Bereich Breitband. Auch fehlten oft Spezialisten, um Datennetze aufzubauen und zu warten.
Es gibt dank mobiler Technik also durchaus ein Wirtschaftswunder in Afrika, allerdings könnte es noch viel größer sein.
Dieser Artikel ist auf Zeit Online erschienen












