Tech & Tools: Leise Rakete
Es gibt Motorradfans, die brauchen das Bullern ihres Choppers oder das hochtourige Kreischen ihrer Sportmaschine fürs Fahrvergnügen. Solche Biker muss die Can-am Pulse des kanadischen Herstellers BRP enttäuschen. Sie ist einfach viel zu leise. Für Leute wie mich aber, für die Fahrdynamik mehr zählt als Lärm, ist das E-Motorrad eine echte Freude. Kombiniert es doch das hohe Drehmoment und den extrem geräuscharmen Antrieb der Elektromobilität mit jeder Menge Zweiradspaß.
Tatsächlich haben die 45 PS (35 kW) des E-Motors mit der 177-Kilogramm-Maschine leichtes Spiel. Besonders, wenn man sie im Fahrmodus Sport+ aktiviert. Insgesamt lassen sich über den Bedienschalter am Lenker und das große Touchdisplay vier Fahrmodi auswählen: den zurückhaltenden und auf große Reichweite ausgelegten Eco-Modus, ein Fahrprogramm für regennasse Straßen mit reduziertem Drehmoment gegen das Durchdrehen des Hinterrades, das Standardfahrprogramm und eben: Sport+.
Ist das aktiv, lässt die Pulse selbst manch wesentlich PS-stärkeren benzinbetriebenen Supersportler in der Beschleunigung alt aussehen; von 0 auf 100 km/h galoppiert die Pulse dann in rund 3,8 Sekunden. Kräftig festhalten am Lenker ist dabei unerlässlich, sonst wirft einen der Elektrohobel beim Dreh am Gashebel kurzerhand ab. Andererseits leert so sportliches Fahren ebenso zügig die 8,9-kWh-Batterie. Knapp 90 Kilometer Reichweite bei 80 km/h gibt BRP als Normwert an; bei forscher Ausfahrt ohne viel Bremsen kann es auch weniger sein. Bei alldem ist die Pulse sehr agil unterwegs und erfreut mit leichtgängigem Handling.
Was bei all der Fahrdynamik beeindruckt, ist, mit welcher Vehemenz die Pulse davonprescht und dabei doch kaum mehr Geräusch von sich gibt als das leise Surren ihres E-Motors. Das schont nicht nur das Trommelfell des Fahrers, es ist auch eine Wohltat für die Menschen, an denen man mit dem Zweirad vorbeifährt. Wären E-Bikes bereits Standard, könnte der Wegfall des Motorengedröhns auch das Zusammenleben zwischen Bikern und lärmgeplagten Anwohnern beliebter Motorradstrecken in den Alpen, im Schwarzwald, in der Eifel oder im Harz deutlich entspannen.
Weil die Pulse derart leise ist, ist der Fahrer aber erst recht gefordert, auf die Umgebung zu achten. Denn anders als viele E-Autos, die bei Langsamfahrt Passanten mit einem Aufmerksamkeitston warnen müssen, rollt die Pulse fast geräuschlos durch die Straßen.
Wer im Fahrmodus Eco unterwegs ist, bei dem die Pulse zurückhaltender beschleunigt, und den E-Motor beim Bremsen für Rekuperation nutzen kann, also Bewegungsenergie als Strom in den Akku zurückspeist, kommt sehr viel weiter: Dann sind auch 140 Kilometer und mehr bis zum nächsten Ladestopp drin. Und wer beim Parken Unterstützung braucht, schaltet bei Bedarf die Fahrtrichtung um und lässt die Pulse im Schritttempo rückwärts rollen.
Reisen, fast ohne Griff zum Bremshebel
Im Alltag zeigt sich zudem: Bei vorausschauender Fahrweise und einem hohen Rekuperationsgrad – auch der lässt sich, wie der Fahrmodus, flexibel einstellen – reicht es, das Motorrad allein über den Gashebel zu beschleunigen und abzubremsen. Je nach Drehwinkel am Griff hält die Pulse ihr Tempo, beschleunigt oder bremst leicht ab. Und wer den Griff über die Nullstellung hinaus nach vorne dreht, schaltet den Motor mit zunehmendem Widerstand in den Generatorbetrieb. Das bremst die Maschine deutlich ab und erzeugt zugleich reichlich Ladestrom für den Akku, der größere Reichweiten erlaubt.
Den Griff zum Handbremshebel oder den Tritt aufs Bremspedal braucht es allenfalls noch, wenn es mal gilt, das Zweirad besonders zügig zum Stehen zu bringen. Wenn es aber darauf ankommt, greift auch das ABS, das auf beide Räder wirkt, und unterstützt bei der Notbremsung. Umgekehrt verhindert die ebenfalls integrierte Antischlupfregelung, dass das Hinterrad der Pulse beim Gasgeben durchdreht. Um breite Gummikreise auf den Asphalt zu brennen, ist das E-Motorrad, trotz des immensen Drehmoments, also eher nicht gedacht. Ohne das sonst übliche Brüllen des hochdrehenden Motors dürfte Kreisebrennen allerdings auch weit weniger Spaß machen.
Den Akku an der Wallbox von 20 auf 80 Prozent aufzuladen, dauert gut eine Dreiviertelstunde. An der Haushaltssteckdose hingegen kann es, wenn der Akku leer ist, aber auch mal bis zu vier Stunden dauern, bevor der Ladevorgang beendet ist. Um weite Strecken leidlich zügig zurückzulegen, führt also kein Weg daran vorbei, regelmäßig an einer Station mit maximal 22 kW Ladeleistung anzuhalten. Für höhere Ladeströme ist die Pulse nicht ausgelegt.
Mein Fazit: Längere Ausfahrten und größere Motorradtouren sind nicht das bevorzugte Metier der Pulse. Ihr Revier sind Fahrten in der Stadt und im Umland. Da macht sie umso mehr Spaß. Ganz billig ist das Vergnügen allerdings nicht. 15.899 Euro kostet die Pulse in der Basisausstattung mit Platz für eine Person, und schon der Sozius kostet Zuschlag. Für das Geld gibt es in der Verbrennerfraktion manch stärker und besser ausgestattete Maschine bei der Konkurrenz. Allerdings eben auch sehr viel mehr Lärm unterm Sattel.
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