Circular Economy Lab Spielplatz für Produkte mit sieben Leben

Von Katzen sagt man, sie hätten sieben Leben. Viele Produkte haben nur eines: produziert, benutzt, weggeschmissen. Damit sich das ändert, entsteht in Berlin auf dem ehemaligen Gelände der Kindl-Brauerei ein 1.000 Quadratmeter großes Experimentierfeld für zirkuläre Wirtschaft. Einen Vorgeschmack geben ab heute Eventtage, auf denen die Zirkulärwirtschaft mit Open Source verbunden werden soll.

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Ein Flugzeug aus Dosen. Quelle: dpa

Türstopper, Papierglätter, Briefbeschwerer – was sich alles aus einem Backstein machen lässt, ist ein in Assessment-Centern beliebter Kreativitätstest. An einer ähnlichen Aufgabe versucht sich gerade eine sechsköpfige Gruppe aus Berlin. Auf dem ehemaligen Gelände der Kindl-Brauerei in Neukölln wollen die Aktivisten ein Circular Economy Lab errichten. Hier sollen künftig kreative Köpfe der Wegwerfgesellschaft – oder formaler gesagt Linearwirtschaft – den Garaus machen, in dem sie innovative Produkte entwickeln.

"Der Begriff Kreislaufwirtschaft ist in Deutschland leider mit Recycling besetzt", sagt Simon Lee, Initiator des Labs. Doch bei zirkulärer Wirtschaft – wie er es daher lieber übersetzt – gehe es nicht nur darum, Müll zu verwerten, wenn er einmal da ist. Sondern es gehe ums Designen fürs Recycling.

Die Idee: Produkte von vornherein so entwickeln, dass sie sich nach ihrem ersten Leben in die Einzelteile auseinandernehmen und wiederverwenden lassen. Ähnlich wie Organismen in der Natur nach ihrem Tod wieder in den Naturkreislauf übergehen ("Asche zu Asche"). Daher wird der Ansatz auch Cradle to Cradle (Von der Wiege zur Wiege) genannt. Im Idealfall gibt es gar keinen Müll mehr; die Einzelteile werden entweder wiederverbaut oder gliedern sich rückstandslos in die Biosphäre ein.

Sparpotenzial von jährlich 630 Milliarden US-Dollar

"Produkte so zu entwickeln ist langfristig auch wirtschaftlich sinnvoll", sagt Lee. Lee ist studierte Mathematiker und hat vor einigen Jahren das Foliendruck-Start-up 123Skins gegründet (nach Insolvenz gehört es inzwischen zu Dein Design). Tatsächlich hat die Unternehmensberatung McKinsey im Auftrag der britischen Ellen MacArthur Stiftung herausgefunden, dass Europa bei Produkten mit mittlerer Lebensdauer jährlich bis zu 630 Milliarden US-Dollar an Materialkosten einsparen könnte; bei kurzlebigen Konsumgütern wären weltweit weitere 700 Milliarden US-Dollar denkbar.

Als Beispiel für einsparbare Materialkosten nennt Lee Mörtel: "Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Trümmerfrauen die Steine wiederverwenden. Heute ist der Mörtel so überoptimiert, dass er sich kaum noch vom Stein lösen lässt, ohne jenen zu zerstören." Kurzfristig sinnvoll, langfristig nicht unbedingt.

Universitäten in London und Utrecht haben schon Circular Economy-Labore eingerichtet. Im niederländischen Nijmegen gab es 2015 ein Boostcamp, um Projekte der Zirkulärwirtschaft voranzutreiben. Jetzt folgt Berlin.

Kombinierter Wohn- und Arbeitsraum

Derzeit wird noch am Schon Circular Economy Lab gearbeitet. Nach Vorstellung der Initiatoren werden schon ab Ende des Jahres auf einer 1.000 quadratmetergroßen Fläche Unternehmer und Entrepreneure, Designer und Künstler, Wissenschaftler und IT-Spezialisten, Aktivsten und Politiker sowie vor allem Maker, also Anhänger der Do-it-yourself-Kultur, einen Raum zum gemeinsamen Experimentieren haben.

Im Untergeschoss ziehen Gewerbetreibende ein: Textilhersteller, 3D-Druck-Firmen, Nahrungsmittelinnovatoren. Im Obergeschoss sollen in etwa zwei Jahren Wohnungen aufgestockt werden. Wie sie sich möglichst müllarm bauen und betreiben lassen – auch das ist eine Fragestellung für das Circular Economy Lab.

Für Lee und seine Mitstreiter ist das Labor nicht das erste Projekt. Sie bewirtschaften in direkter Nachbarschaft einen Coworking-Space, der auch für verschiedene Kulturveranstaltungen genutzt wird, Food-Märkte, Kunstworkshops und Vorträge über japanische Blumenarrangements. Die dafür gegründete Unternehmergesellschaft heißt Agora Collective. Agora war im antiken Griechenland der zentrale Fest- und Versammlungsplatz. Weniger bildlich der vokal-arme Name des Circular Economy Labs: CRCLR. Das nötige Kleingeld für das Projekt kommt übrigens von der Schweizer Stiftung Edith Maryon, die Spekulationsgrundstücke aufkauft und an soziale Projekte weitervermittelt.

OSCE-Days: Produkt-Wissen allen zugänglich machen

Obwohl das Areal noch eine große Baustelle ist, gibt es aktuell einen Vorgeschmack auf das Lab. Vom 9. bis zum 13. Juni veranstaltet CRCLR hier die sogenannten Open Source Circular Economy (OSCE)-Days . Die Eventtage wollen zirkuläre Wirtschaft mit Open-Source kombinieren, damit den Maker möglichst viele Informationen zu Verfügung stehen. "Open Source bedeutet zu veröffentlichen, wie Dinge gemacht werden, ein Rezept, ein Software-Code, Produktions- oder Design-Daten", heißt es im Mission Statement der OSCE –Days. Nur so ließen sich Produkte wieder auseinandernehmen.

Während der Projekttage gibt es Vorträge und Podiumsdiskussionen. Vor allem aber gehen die Teilnehmer gemeinsam verschiedene "Challenges" an. Etwa die Frage, was die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) Sinnvolleres mit Altholz machen könnten, als es zu verbrennen. Oder wie sich Coffee-To-Go-Becher in Mehrweg-Becher umfunktionieren lassen. Schließlich verschleißen wir in Deutschland jährlich 2,8 Milliarden (!) der Becher, so Angaben der Deutschen Umwelthilfe.

Bei den OSCE-Days 2015 versuchten sich die Teilnehmer an einer Bio-Kompost-Anlage und daran, Plastikmüll für 3D-Drucker nutzbar zumachen. Ob aus den Ideen inzwischen etwas geworden ist, weiß Simon Lee nicht. Aber damit dieses Jahr definitiv Produkte von Bestand entstehen, hat CRCLR einige Projektpartner ins Boot geholt, unter anderem die GLS Bank und die niederländische Triodos Bank sowie die Humboldt Uni, die Friedrich Ebert-Stiftung und die Stadt Berlin. "Wenn wir bei den Projekttagen für jede dritte oder vierte Challenge einen Prototyp entwickeln, wäre ich super zufrieden", sagt Lee. Er rechnet mit 100 bis 150 Teilnehmern und Besuchern pro Tag.

Berliner Idee - 70 Events weltweit

Und das nur für Berlin. Denn der englische Name der Eventtage ist kein unnötiger Anglizismus. Die von Berlin ausgehende Idee ist inzwischen zu weltweiten Aktionstagen geworden. 2015 waren 33 Städte dabei, dieses Jahr über 70, von Ahmedabad in Indien bis Zaragoza in Spanien. Auch in Hamburg sollen die OSCE Days diese Woche stattfinden. "Wir brauchen Zusammenarbeit und Transparenz über Länder und Industrien hinweg", meinen die Initiatoren.

Die Events sind übrigens selbst möglichst müllfrei und energiesparend gestaltet. Beispielsweise gibt es Finger Food oder essbares Geschirr. Selbstverständlich darf auch recycelt und wiederverwendet werden. Falls also in Berlin Teilnehmer auf flüssige Überbleibsel der Gelände-Vorbesitzer stoßen sollten: Bier lässt sich bekanntlich wunderbar als Haarpackung nutzen. Sicherlich auch weit jenseits des MHD.

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