Lumia 720: Nokias Rückkehr in die Mittelklasse

Das Lumia 720 ist etwas schlanker als der große Bruder, das Lumia 920. Mit dem vergleichsweise kleinen Bildschirm im 4,3-Zoll-Format liegt es gut in der Hand.

Facebook, Fotos, Twitter: Auf dem Bildschirm können Nutzer die Kacheln selbst anordnen.

Eine Kachel für jede Mail-Adresse: Die Mail-App von Windows Phone 8 kommt nicht mit mehreren Nutzerkonten klar.

Nokia installiert seine Kartendienste vor, darunter auch das Navigationssystem.

Bei Spielen wie „Assassin's Creed“ kommt die Grafik des Lumia 720 an ihre Grenzen.

Nokia setzt große Hoffnung in das Betriebssystem Windows Phone 8 – hier Konzernchef Stephen Elop.

Microsoft hatte die jüngste Version seines mobilen Betriebssystems im Herbst 2012 vorgestellt.

Nicht nur Nokia setzt auf Windows Phone: Auch HTC, Samsung und Huawei bauen Geräte mit dem Betriebssystem.
Auch wenn die Smartphone-Hersteller mit ihren Spitzenmodellen protzen: Die Möglichkeiten der High-End-Geräte für 600 Euro aufwärts nutzt kaum jemand aus. Um unterwegs die Mails zu checken und im Internet zu surfen, reichen Geräte für die Hälfte aus. Nokia verkauft nach Jahren des Umbaus wieder so ein Mittelklasse-Modell, das Lumia 720 mit dem Betriebssystem Windows Phone 8. Der Test von Handelsblatt Online zeigt: Das Gerät ist höchst solide – und lockt mit ein paar Schmankerl.
Das Gerät hat ein ähnlich eckiges Äußeres wie das Nokia-Spitzenmodell Lumia 920, ist aber schlanker und leichter als der große Bruder. Es liegt gut in der Hand und lässt sich dank des für heutige Verhältnisse fast schon kleinen Bildschirms mit 4,3 Zoll Diagonale auch mit einem Daumen bedienen. Und es rutscht locker in die Tasche der Jeans.
Das Gehäuse des Testgerätes besteht aus einem matten, knallgelben Kunststoff, der aber (anders als etwa im Fall des Galaxy S4 von Samsung) nicht billig wirkt. Schmutzige Finger hinterlassen zwar auf dem hellen Untergrund ihre Spuren, lassen sich aber leicht wieder abwischen. Wer es weniger grell will, bekommt das Lumia 720 auch in rot, blau oder schwarz.
Das Display mit IPS-Technologie bietet kräftige Farben, tiefes Schwarz und starke Kontraste; auch bei Tageslicht lässt sich gut darauf lesen. Allerdings ist die Auflösung von 480x800 Pixeln vergleichsweise niedrig – für Videos in HD-Qualität reicht das beispielsweise nicht. Auch die Pixeldichte von 217 Bildpunkten pro Zoll (ppi) kann nicht mit den derzeitigen Spitzenmodellen mithalten, die fast doppelt so viel bieten. Da sind die (allerdings auch deutlich teureren) Modelle HTC One, Galaxy S4 und Xperia Z derzeit das Maß aller Dinge. Immerhin ein nettes Extra für den nächsten Winter: Der Touchscreen lässt sich auch mit Handschuhen bedienen.
Solide sind die inneren Werte. Der Doppelkernprozessor lässt im Alltag keine Schwächen erkennen, acht Gigabyte interner Speicher sind OK, aber nicht großartig. Der 512 Megabyte große Arbeitsspeicher reicht für die meisten Aufgaben locker aus, erlaubt allerdings keine aufwendigen Spiele. Auf den Mobilfunk-Turbo LTE – in den Spitzenmodellen Standard – müssen Nutzer wie bei vielen Mittelklasse-Modellen auch verzichten.
Ein klarer Pluspunkt: Der Akku ist ein Dauerläufer. Wenn einige Stromfresser schon längst wieder ans Netz müssen, sind noch 30 bis 40 Prozent drin. Nokia gibt die reine Standby-Zeit mit 520 Stunden an, im Alltag reichte eine Ladung meist für anderthalb oder zwei Tage. Austauschen lässt sich der Stromspender allerdings nicht, weil der Deckel fest angebracht ist.
Aus dem Einerlei der Mittelklasse-Androiden hebt sich Nokia mit dem Betriebssystem ab: Die Finnen setzen auf Windows Phone 8, die Smartphone-Software von Microsoft mit dem markanten Kachel-Design. Über die bunten Rechtecke öffnen Nutzer Adressbuch und Telefon, Browser und Mails, Musik und Navigation. Zudem können sie eigene Kacheln anlegen, etwa mit den Lieblings-Apps, gerne gehörten Podcasts oder allen Nachrichten und Anrufen der Familie. Das geht leicht von der Hand – hier bietet Windows Phone deutlich mehr Möglichkeiten als die iPhone-Software iOS.
Das Software-Angebot offenbart Stärken und Schwächen. Positiv: Die Nokia-Kartendienste sind kostenlos integriert, darunter das komfortable Navigationssystem Drive und der City-Kompass, der Informationen über Geschäfte und Sehenswürdigkeiten in der Umgebung anzeigt. Für Autofahrer durchaus ein Argument. Auch eine mobile und leicht zu bedienende Variante von Office ist an Bord – Software-Lieferant Microsoft sei Dank.
Gelungen ist auch die Musik-App von Nokia. Sie spielt nicht nur meine MP3-Dateien ab, sondern streamt auch kostenlos Musikmixe auf mein Gerät, schön sortiert nach der Stilrichtung. In der Premiumversion für 4 Euro im Monat kann man den Dienst auch auf dem PC oder Tablet nutzen.
Allerdings tun sich bei den Anwendungen Lücken auf. Auf Facebook, WhatsApp oder die Google-Suche muss zwar niemand verzichten, doch jenseits der Top 10 ist die Auswahl deutlich geringer. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Möglichkeiten der integrierten Mail-App sind sehr beschränkt, im Gratis-Angebot gibt es keine tauglichen Alternativen. Auch bei der Podcasting-Software sieht es mau aus. Da haben die Konkurrenzsysteme iOS und Android noch einen großen Vorsprung.
Hervorheben will sich Nokia mit seiner Kamera-Technologie – das Spitzenmodell Lumia 920 bekommt für die hervorragende Bildqualität sehr gute Noten. Einen Teil der Funktionen will Nokia auch in den günstigeren Smartphones einsetzen. Das Lumia 720 hat ein Objektiv von Carl Zeiss, das mit einer Blende von 1:1,7 sehr lichtempfindlich ist und Weitwinkelaufnahmen ermöglicht. Die Auflösung von 6,7 Megapixel ist nicht überragend, da Smartphone-Bilder selten groß ausgedruckt werden, reicht das aber.
Die Bilder geraten bei Tageslicht ansehnlich, die Farben kommen gut raus. Bei Dunkelheit kommt der LED-Blitz zur Hilfe, der die nähere Umgebung passabel ausleuchtet, ohne dass Gesichter gleich weiß werden. Ohne Hilfsbeleuchtung werden die Fotos allerdings schnell grobkörnig. Für spontane Schnappschüsse eignet sich die Kamera aber nur bedingt, weil sie erst nach einer gefühlten Gedenksekunde auslöst.
Das ganze reichert Nokia mit einigen Software-Helfern an, etwa der Funktion Smart Shoot, mit der man aus mehreren Bildern das beste auswählen kann, und einer App für Panorama-Fotos. Eine hübsche Spielerei ist das Cinemagramm, mit dem man auf einem Foto einen bestimmten Bereich animiert – etwa die Wellen am Strand oder Passanten am Bahnhof.
Ärgerlich ist der Umgang mit den Nutzerdaten. Microsoft übernimmt beispielsweise standardmäßig die Facebook-Kontakte ins Adressbuch seines Online-Dienstes Live, dem früheren Hotmail – um das zu unterbinden, muss ich in die Einstellungen abtauchen.
Fazit:
Das Lumia 720 ist ein ordentliches Mittelklasse-Smartphone und dürfte vielen Nutzern völlig ausreichen. Das kann man allerdings auch über viele Android-Geräte in der 300-Euro-Kategorie sagen. Die Konkurrenz ist für Nokia also groß. Wer aufs Geld schaut, findet auch eine Alternative mit Windows Phone 8: das Lumia 620 für rund 240 Euro, das nicht viel schlechter ausgestattet ist.










