Atommülllager Die Illusion einer sauberen Lösung

Seite 3/5

Je länger die Arbeiten dauern, desto höher das Risiko

Das Bergwerk Asse bei Wolfenbüttel Quelle: dpa/dpaweb

Diese zu beschleunigen, wie nun allseits gefordert, dürfte allerdings extrem schwierig werden. Im Gegenteil: Alle Expertisen belegen, dass sich die Sanierung der Asse im Vergleich zu den bisherigen Plänen massiv verzögert. Noch vor Kurzem plante das Bundesamt für Strahlenschutz eine drei Jahre währende Prüfung der Faktenlage; danach sollte der Müll binnen acht Jahren geborgen werden, bis 2020 oder 2025 sollte die Rückholung abgeschlossen sein. Nun stellt sich heraus, dass alles sehr viel länger dauern würde – mindestens bis 2040, möglicherweise noch länger.

Damoklesschwert: Gruben-GAU

Das allerdings hätte gravierende Konsequenzen. Denn das marode, ursprünglich für 2015 zur Schließung vorgesehene Bergwerk ist für solch langwierige und massive Eingriffe gar nicht ausgelegt. Zuvor müssten nicht nur die bestehenden Schächte 2 und 4 aufwendig saniert werden, ein ganz neuer, größerer Schacht 5 gilt als erforderlich, um die schweren Müllfässer hochzuholen. Weder die vorhandene Stromversorgung oder die Belüftung ("Bewitterung") noch die existierenden Räume für die Infrastruktur, vom Sanitärbereich bis zum Materiallager, reichen für ein Jahrzehnteprojekt aus.

Viel problematischer ist das Damoklesschwert eines Gruben-GAUs, im Fachjargon AÜL genannt (Auslegungsüberschreitender Lösungszutritt). Schon heute sickern Tag für Tag 12.000 Liter Wasser in die Asse ein und müssen fortgeschafft werden. Bei größeren Mengen könnte die Grube absaufen. Diese Gefahr ist längst bekannt, deshalb wurde nach Wegen gesucht, im Fall der Fälle eine mögliche Strahlenbelastung der Bevölkerung deutlich zu reduzieren. BfS und ESK haben errechnet: Um etwa das Zehnfache ließe sie sich verringern, würden vor einem AÜL alle Kammern, in denen radioaktiver Müll lagert, mit Salz oder Gestein verstopft ("verfüllt"). Denn weniger Hohlräume um den Müll bedeuten weniger Wasserkontakt. Zudem förderte das Zustopfen die Stabilität des Bergwerks, das sich unter enormem Druck allmählich verformt: Ein gut plombiertes Gebiss ist beständiger als ein kariös-löchriges.

Das Risiko wächst

Bisher aber waren Verfüllungen tabu – sie würden ja später die Rückholung der Fässer behindern! Das Dilemma scheint unausweichlich. Und das Risiko wächst mit der Zeit. Je länger die Arbeiten in und um die Asse dauern, umso mehr erhöht sich zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit eines massiven Wassereinbruchs. Daher fordert nun die Entsorgungskommission Vorrang für Vorsorgemaßnahmen: "Der etwas erhöhte Aufwand beim Öffnen einer verfüllten Kammer für die Rückholung" sei gegenüber dem Sicherheitsgewinn "nachrangig". Die Zwickmühle "Schutz versus Öffnung" treibt nicht nur die Experten der ESK um, sondern auch jene des BfS. In ihrem Memorandum warnen sie vor einer Kollision mit dem Atomgesetz, sobald die Müllkammern für eine Rückholung geöffnet würden. Dann müsste nämlich die Störfallsicherheit der Asse atomrechtlich nachgewiesen werden (was bisher noch nicht geschah). Ob das bei einem AÜL gelinge, sei "eher unwahrscheinlich" – weil im Fall "des Absaufens der Anlage Strahlenexpositionen oberhalb des Störfallplanungswertes zu erwarten sind".

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%