1. Startseite
  2. Technologie
  3. Umwelt
  4. Kreatives Recycling: Das Milliardengeschäft mit unserem Müll

Kreatives RecyclingDas Milliardengeschäft mit unserem Müll

Verbrennen oder verwerten: Wie geht man richtig mit Müll um? Innovative Unternehmen verknüpfen beides. Sie verwandeln Müll in hochwertige neue Produkte – und wertvollen Brennstoff.Michael Billig 17.11.2014 - 14:00 Uhr

Insgesamt betrug das Abfallaufkommen im letzten Jahr in Deutschland rund 343 Millionen Tonnen, 36,7 Millionen Tonnen davon waren Hausabfälle. Das entspricht also 456 Kilogramm Müll pro Einwohner. Seit dem Jahr 2002 ist das Abfallaufkommen zwar leicht gesunken, jedoch wird laut Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit immer noch zu viel Abfall erzeugt. Immerhin: 14 Prozent der Rohstoffe, die die deutsche Wirtschaft einsetzt, werden mittlerweile aus Abfällen gewonnen; entsprechend werden der Abbau von Rohstoffen und die damit verbundenen Umweltbelastungen reduziert.

Foto: dpa

Grund ist die am 8. Mai 1991 beschlossene Verpackungsverordnung, die den Grundstein für die Mülltrennung in Deutschland legte. Von den 456 Kilogramm Müll pro Nase und Jahr sind 164 Kilogramm Restmüll, 113 Kilo Biomüll, und 148 Kilogramm getrennte Wertstoffe, also Papier und Pappe (72 Kilogramm), Glas (24 Kilogramm) und Holz (14 Kilogramm). Pro Einwohner fielen zusätzlich rund 30 Kilogramm Sperrmüll an.

Quelle: Statista

Foto: dpa

Die Mülltrennung nutzt aber nicht nur der Umwelt und liefert billige Rohstoffe, sie schafft auch Arbeitsplätze: Fast 200.000 Beschäftigte arbeiten in rund 3.000 Abfallentsorgungs- oder Verarbeitungsbetrieben. Sie machen einen Umsatz von rund 40 Milliarden Euro jährlich.

Foto: dpa

Anders als in vielen anderen Ländern landen unsere Abfälle eher selten auf Deponien zum Verrotten. Zuvor müssen sie in irgendeiner Art und Weise verwertet werden. Hausmülldeponien beispielsweise dürfen seit Mitte 2005 nur noch vorbehandelte Abfälle aufnehmen, bei denen organische Bestandteile nahezu völlig entfernt sind. Anders sieht es beispielsweise in Bulgarien, Rumänien, Griechenland oder Polen aus, wo mehr als 70 Prozent der Abfälle auf Deponien landen.

Foto: dpa

Ein großer Teil der Abfälle in Deutschland, nämlich 35 Prozent, werden deshalb in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Die Überreste landen dann auf der Deponie. Die Energie, die bei der Verbrennung entsteht, wird vielfach zur Erzeugung von Strom oder zum Heizen verwendet. Wir heizen also mit unserem Müll.

Foto: ZB

Immerhin 18 Prozent unserer Abfälle kompostieren wir.

Foto: dpa

47 Prozent der kommunalen Abfälle werden recycelt - damit ist Deutschland der Wiederverwertungskönig innerhalb der 28 EU-Staaten. In keinem anderen Land wird ein so großer Anteil der kommunalen Abfälle noch einmal verwendet.

Foto: AP

So unglaublich es klingt, es gibt auch noch einen blühenden Schwarzmarkt für unseren Müll. In schwarzen Lastwagen mit dem weißen Symbol für Abfalltransporte wird wertvoller Schrott - meist Altmetall - durch ganz Europa kutschiert. "Was mit ihrem Müll passiert, interessiert viele Erzeuger nicht“, sagt Kriminalhauptkommissar Norbert Schmitz vom Landeskriminalamt (LKA) Rheinland-Pfalz bei einer Abfalltransportkontrolle an der A 3. Entsorgungsvorschriften würden teilweise bewusst umgangen, um Kosten zu sparen. Mit Kontrollen will das Bundesamt für Güterverkehr in Zusammenarbeit mit der Polizei und dem LKA den Schmuggel und die illegale Beseitigung des Mülls eindämmen.

Foto: dpa

Grenzüberschreitende Abfalltransporte finden insbesondere zwischen Nachbarstaaten statt. Müll werde vor allem aus dem grenznahen Raum ausgeführt, etwa aus Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz nach Frankreich, Belgien oder in die Niederlande, sagt Joachim Wuttke vom Umweltbundesamt. 2012 seien rund 1,8 Millionen Tonnen notifizierungspflichtige Abfälle aus Deutschland exportiert und knapp 5,9 Millionen Tonnen importiert worden.

Foto: dpa

„Bei der Entsorgung kann es um bis zu fünfstellige Summen für die Erzeuger gehen“, sagt Kriminalhauptkommissar Norbert Schmitz. Deshalb ist der Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) Rheinland-Pfalz gemeinsam mit Polizeikollegen auf der A 3 im Einsatz. Sie suchen Müll, der illegal entsorgt oder geschmuggelt wird.

Foto: dpa

Uwe Greye verbringt seine Tage allein mit Tausenden Tonnen Müll in einem Bunker. Der Kranführer der Müllverbrennungsanlage im Hamburger Stadtteil Stellingen ist um seinen Job nicht zu beneiden. Umgeben von Dunkelheit, hockt er in einer verglasten Kanzel 20 Meter über dem Grund.

Zu seinen Füßen Berge von Hausmüll. Windeln, Staubsaugerbeutel, zusammengeknüllte Tüten und Folien, Teppichreste, kaputte Möbel, faules Obst und Gemüse – die Überbleibsel unserer Konsumgesellschaft.

Greye durchwühlt mit dem Kran den Haufen und wuchtet ihn in einen Trichter. Von dort fällt der Abfall in einen 900 Grad heißen Ofen. 100 Tonnen Müll bewegt der Hamburger pro Schicht, so viel wie rund 45.000 Haushalte am Tag produzieren.

Eigentlich müssten Männer wie Greye um ihren Job bangen. Deutschland gilt schließlich als Paradies des Recyclings.

Wie viel Müll jährlich recycelt wird
2.392.000 Tonnen Glas
5.462.000 Tonnen Verpackungen
8.098.000 Tonnen Papier
9.249.000 Tonnen Biomüll
13.989.000 Tonnen Restmüll
2.398.000 Tonnen Sperrmüll

Doch der 55-Jährige arbeitet in einer Boombranche. Denn immer mehr Abfall landet in der Verbrennung. Waren es 2004 noch 28 Millionen Tonnen, sind es heute schon 45 Millionen Tonnen. Rund die Hälfte des deutschen Haus- und Gewerbemülls wird einfach verheizt.

Abfallgesetze in Europa vereinheitlichen

Den Politikern in Brüssel und Berlin passt das gar nicht. „Wir wollen aus Europa eine Gesellschaft ohne Abfall machen“, hatte noch im Juli der gerade abgelöste EU-Umweltkommissar, der Slowene Janez Potocnik, verkündet. Auch die Bundesregierung hegt ähnliche Ambitionen. Und die neue EU-Kommission arbeitet schon mit Hochdruck daran, die Abfallgesetze in Europa zu vereinheitlichen.

Das Ziel: Kein Müll soll unsortiert bleiben, nichts direkt auf Deponien landen, die Recyclingquoten sollen steigen. Statt Rohstoffe der Erde abzuringen, sollen wir Abfälle, so die Idee, in neue Produkte verwandeln und so die Umwelt schonen. Kreislaufwirtschaft nennen Fachleute das.

Journalisten-Stipendium
Nachhaltige Wirtschaft

Bei Papier und Glas klappt das bereits heute. Sie werden zu nahezu 100 Prozent recycelt (siehe Kurztextgalerie). Doch unsere Kunststoffabfälle aus dem gelben Sack landen überwiegend in einem der Öfen der mehr als 100 großen deutschen Verbrennungsanlagen.

Die Frage ist: Ist die sogenannte „thermische Verwertung“ wirklich so schlimm? Ist es immer besser, Abfall in neue Produkte zu verwandeln, statt ihn zu verbrennen?

Auf der Spur des Mülls

Wer in diesen Tagen der Spur des Abfalls folgt, erlebt es immer wieder – das Entweder-oder funktioniert nicht mehr. Die Müllmänner der Zukunft holen aus Reststoffen, was sich effizient wiederverwerten lässt. Aus dem Rest machen sie wertvollen Brennstoff. „Recycling und energetische Verwertung sind keine Gegensätze, beide Verfahren ergänzen sich“, sagt etwa der Berliner Müllexperte Karl Thomé-Kozmiensky, emeritierter Professor für Abfallwirtschaft an der Technischen Universität Berlin.

Selbst die Forscher des Freiburger Öko-Instituts räumen ein: „Auch bei noch so viel Recycling bleiben Abfälle, die auf andere Art genutzt werden müssen“, schreiben die Wissenschaftler Anfang dieses Jahres in einer Studie. Sie empfehlen, Müll in Industrieprozessen und leistungsstarken Kraftwerken zu verbrennen.

Gemessen an den erbitterten Diskussionen der Vergangenheit, ist das fast ein Tabubruch.

Grüner Punkt

Wie sich die Müll-Branche selbst zerfleischt

von Jacqueline Goebel

Abfall ist ein Milliardengeschäft

Es geht dabei nicht nur um einen Glaubensstreit zwischen Ökos und Verbrennern, sondern um ein Milliardengeschäft. Die Entsorgungs- und Recyclingbranche in Deutschland setzt im Jahr etwa 50 Milliarden Euro um und beschäftigt 500.000 Menschen. Rund 330 Millionen Tonnen Müll fallen jährlich hierzulande an. Das meiste ist Bauschutt, knapp ein Drittel ist Müll aus Privathaushalten und von Unternehmen.

Wie die Grenzen zwischen Recycling und Verbrennung verschwimmen, zeigt sich derzeit wohl nirgendwo so gut, wie im Städtchen Ennigerloh in Westfalen. Dort will der Ingenieur Jürn Düsterloh, Technischer Leiter des Start-ups Dieselwest, aus Abfall Benzin herstellen. In einem kleinen Reaktor wird Kunststoffabfall bei 360 Grad Hitze wieder eine Art Erdöl, aus dem anschließend eine Raffinerie Treibstoff destilliert. Insgesamt acht Millionen Euro haben ein Privatinvestor, der Remscheider Anlagenbauer Recenso, das Land Nordrhein-Westfalen und die EU für die Entwicklung Dieselwest zur Verfügung gestellt. Im Sommer 2015 soll die Pilotanlage ihre erste Testphase beenden. Schon jetzt rufen bei Dieselwest Bürger an und fragen, wo sie das „neue Benzin“ denn tanken können.

Wie Sie Elektronik recyclen können
Auktionsportale / Kleinanzeigen
Gebrauchtportale
Spenden
Recycling vor Ort
Recycling per Post

Die Pilotanlage von Dieselwest befindet sich auf dem Gelände der kommunalen Abfallwirtschaftsgesellschaft des Kreises Warendorf (AWG). Hier arbeiten bei Ecowest, einer AWG-Tochter, die wahrscheinlich fortschrittlichsten Müllmänner der Republik. In einer orangenen Warnweste führt Chefingenieur Thomas Kohlhaas über das 37-Hektar-Gelände und zeigt, wie moderne Abfallwirtschaft funktioniert.

Herzstück ist die Sortieranlage. Der Riese aus Hunderten Meter Förderband, das in mattem Schwarz seine Bahnen zieht, verwandelt Abfall in ein wattegleiches Gemisch aus winzigen Kunststoffschnipseln, das Kohlhaas Fluff nennt. Ein Teil davon geht zu den Kraftstoff-Forschern von Dieselwest. Alles andere vermarktet Ecowest als Ersatzbrennstoff, kurz EBS. Der enthält pro Tonne so viel Energie wie Braunkohle.

Wie in einer Goldmine

Aber nicht alles, was der Müllfresser schluckt, wird zu Fluff. Die Suche nach dem edelsten Abfall beginnt wie in einer Goldmine. Schredder zermalmen das Material, eine wilde Mischung aus Gewerbe- und Hausabfall, wie Erz im Bergwerk. Magnetbänder fischen Metalle für den Schrotthandel heraus. Siebe fangen feuchten Biomüll ab, der auf die Deponie kommt. Teerpappen, Holzteile und Hartplastik wie Zahnbürsten landen mit den anderen Resten in der klassischen Müllverbrennung.

In den gelben Sack oder die gelbe Tonne gehören weder Glas noch Papier - das liegt auf der Hand. Ab sofort müssen Verbraucher aber noch genauer hinschauen, wohin sie ihren Müll werfen. Konserven, Dosen, Alu-Folien, Flaschen und beispielsweise Joghurtbecher gehören ebenfalls nicht in die gelbe Tonne oder den gelben Sack.

Foto: dpa

Teebeutel in den gelben Sack zu entsorgen, wird mit Änderung der EU-Richtlinien zum Tabu. Die Änderung der EU-Vorgaben sind nun ein erster Schritt zu einer Reform, die das System der gelben Tonne retten soll. Dazu sollen Schlupflöcher in den Regelungen nach und nach gestopft werden. Bisher konnten Verbraucher ihre Verpackungen beispielsweise im Supermarkt zurückgeben werden und so Abgaben an die dualen System sparen. „Nach den veröffentlichten Zahlen ist allein die Menge der Eigenrücknahmen um 166 Prozent gestiegen“, sagt der Präsident des Bundesverbands der Entsorgungswirtschaft (BDE), Peter Kurth.

Foto: dpa

Kleiderbügel sind Plastik und gehören in den gelben Sack? Weit gefehlt. Auch sie dürfen ab sofort nicht mehr in gelber Tonne oder gelbem Sack entsorgt werden. Ab 2015 sollen dann Ausnahmetatbestände wie Eigenrücknahmen ganz gestrichen werden. So soll verhindert werden, dass weitere Mengen bei den dualen Systemen abgemeldet werden. Für schwarze Schafe oder Trittbrettfahre könnten dann Strafzahlungen drohen.  

Foto: dpa

Bei der neuen Richtlinie geht es im wahrsten Sinne des Wortes auch um die Wurst, Denn deren Pelle gehört ab sofort in den Restmüll, nicht in die gelbe Tonne. Auslöser für die neuen Vorgaben war eine Beschwerde des für die Entsorgung zuständigen dualen Systems, dass die unbezahlten Abfallmengen stiegen. Bei dem dualen System (beispielsweise DSD mit dem grünen Punkt) müssen Hersteller Gebühren zahlen, wenn sie Joghurtbecher oder Milchtüten entsorgen wollen. Während aber die Mengen konstant blieben, ist die Zahl bezahlter Verpackungen im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gesunken.

Foto: Blumenbüro Holland/dpa/gms

Ab sofort ein absoluter No-Go in gelber Tonne und gelbem Sack: Grablichter. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss zahlen. Für 2014 rechnet die EU mit einem Fehlbetrag von bis zu 350 Millionen Euro durch falsch entsorgte Verpackungen. 2013 waren von 2,4 Millionen Tonnen gesammelter Leichtverpackungsabfälle 40 Prozent „Fehlwürfe“, also falsch entsorgter Müll.

„Wenn Verpackungen aus Kostengründen als selbstzurückgenommen gemeldet, aber in der Realität nicht zurückgegeben werden und im gelben Sack landen, gaukelt dies hohe Recyclingquoten vor“, kritisiert der Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, Jürgen Resch. Denn da ein Recyclingzwang nur für bezahlte Abfallmengen gilt, werde so auch das Recycling geschwächt.

Foto: dpa

Milchtüten sollten in Zukunft ebenfalls nicht in den gelben Sack entsorgt werden. Der Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, Jürgen Resch, erklärt, warum es so verheerend sein kann, seinen Müll als selbstzurückgenommen zu melden und ihn dann trotzdem im gelben Sack zu entsorgen: „Wenn Verpackungen aus Kostengründen als selbstzurückgenommen gemeldet, aber in der Realität nicht zurückgegeben werden und im gelben Sack landen, gaukelt dies hohe Recyclingquoten vor." Denn da ein Recyclingzwang nur für bezahlte Abfallmengen gilt, werde so auch das Recycling geschwächt.

Foto: AP

Ecowest war eines der ersten deutschen Unternehmen, das den hochwertigen Fluff herstellte. Mittlerweile gibt es bundesweit mehr als 40 ähnliche kommunale und private Anlagen. Sie verkaufen den aufgepäppelten Müll vor allem an Zementfabriken. Bis zu 20 Euro bringt das pro Tonne, sagen Branchenkenner. Am Ende spart das den Bürgern in Ennigerloh Geld, weil ihre Gemeinde weniger Abfall in klassische Verbrennungsanlagen schicken muss. Dort kostet die Entsorgung von unbehandeltem Hausmüll bis zu 200 Euro pro Tonne.

Neben der Kostenersparnis winkt auch ein Gewinn für die Umwelt. Weil die Abnehmer des Fluffs, die deutschen Zementhersteller, heute so viel Müll verfeuern wie nie zuvor, decken sie nur noch ein Drittel ihres Energiebedarfs mit Kohle, Öl und Gas.

Kostengünstig und umweltfreundlich

Der Abfallforscher Matthias Franke vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg hat kürzlich eine genaue Ökobilanz der EBS-Verbrennung in Zementwerken erstellt. Das Ergebnis: „Die Verbrennung ist teilweise sinnvoller als das Recycling“, sagt Franke. Bei einigen Kunststoffabfällen aus dem gelben Sack ist der Energieaufwand zu hoch, um die Stoffe fürs Recycling zu trennen. Außerdem produziert die Verbrennung von Fluff im Zementwerk weniger klimaschädliches Kohlendioxid als Kohle.

Bioabbaubare versus biobasierte Kunststoffe
Bioabbaubar und fossil bezogen
Nicht bioabbaubar und fossil bezogen
Biomasse bezogen und bioabbaubar
Nicht bioabbaubar und aus Biomasse bezogen

Die Aussicht auf einen kostengünstigen und umweltfreundlichen Brennstoff hat mit den EBS-Kraftwerken inzwischen sogar eine neue Generation von Verbrennern hervorgebracht, die einzig auf Müll der Extraklasse eingestellt sind. Sie arbeiten effizienter als die meisten herkömmlichen Müllverbrennungsanlagen und produzieren Strom und Wärme für Papierfabriken, die Chemie- und die Stahlindustrie.

Bestimmte Kunstabfälle werden besser recycelt

Das neueste und größte EBS-Kraftwerk soll kommendes Jahr im Industriepark Höchst in Frankfurt am Main starten. Die rund 350 Millionen Euro teure Anlage wird die mehr als 90 dort angesiedelten Unternehmen mit Elektrizität und Dampf für ihre Produktion versorgen. Dafür verfeuert sie jährlich einen Abfallberg, wie er in Hamburg anfällt.

Aber ob Zementfabriken oder EBS-Kraftwerke: Nicht mit jeder Sorte Müll werden die Anlagen zu Umweltschützern. Bestimmte Kunststoffabfälle sind besser im Recycling aufgehoben. Ausgediente Gartenstühle etwa und löchrige Gießkannen aus Plastik, das kaputt gespielte Bobby Car, Folien, die Spargelfelder bedeckten oder Strohballen umhüllten, oder die Gehäuse von Elektrogeräten. „Wichtig fürs Recycling ist, dass die Abfälle sauber und sortenrein sortiert werden“, sagt Recyclingexperte Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung.

Platz 10: Niger River Delta, Nigeria

Wie viele Menschen von dem verschmutzten Niger River Delta betroffen sind, kann niemand so genau sagen. Fest steh: es sind zu viele. Jedes Jahr fließen etwas 240.000 Barrel Rohöl in den Fluss. So ist die Gegend neben dem Öl auch noch mit einer Menge Hydrokarbonaten verseucht. Gesundheitliche Konsequenzen für die Menschen der Region sind Unfruchtbarkeit und Krebs. Alles begann mit Operationen von großen Petroleum-Firmen in den 1950er Jahren. Das Delta erstreckt sich über 70.000 Quadratkilometer und bedeckt damit acht Prozent der nigerianischen Fläche.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 9: Matanza-Riachuelo, Argentinien

Entlang des 60 Kilometer langen Matanza-Riachuelo-Flusses haben sich eine Reihe von Mittelstandsunternehmen angesiedelt, viele davon arbeiten mit Chemikalien. Derzeit gehen Schätzungen von 15.000 Unternehmen aus, die regelmäßig Giftstoffe in den Fluss in der Nähe von Buenos Aires ablassen. Untersuchen des Mülls am Ufer ergaben Spuren von Zink, Kuper, Blei, Nickel und Chrom – allesamt mit Werten weit über dem Zulässigen. Alleine der Chrom-Wert beispielsweise ist fast sechs Mal höher als empfohlen. Folgen für die mehr als 20.000 betroffenen Menschen sind Diarrhö, Atembeschwerden und Krebs.

Doch es gibt Fortschritte. So spendete die Weltbank zuletzt eine Milliarde Dollar, um die Gegend zu säubern.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 8: Agbogbloshie, Ghana

Agbogbloshies größter Segen ist zugleich auch ein Fluch für die Menschen in der Nähe von Accra in Ghana. Die Region ist die zweitgrößte Elektromüll-Verwertungsgegen in West Afrika. Alleine aus Europa werden jedes Jahr 215.000 Tonnen Elektromüll importiert. Circa die Hälfte der Importe kann repariert und weiterverkauft werden. Das Problem stellt der Rest dar: Um an das Kupfer in den Kabeln zu kommen, werden sie verbrannt. Dafür wird auch Styropor verbrannt. Die Kabel enthalten jedoch auch Blei, welches somit in die Luft steigt und auch im Boden verbleibt. Mehr als 40.000 Menschen leiden so unter Bleivergiftungen.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 7: Norilsk, Russland

Norilsk in Russland wurde 1935 als Industriestadt gegründet. Bis in die 2000er Jahre war hier der größte Schmelzstandort für Schwermetalle weltwelt. Fast 500 Tonnen Nickel und Kupfer oxidieren jedes Jahr in die Luft. Durch die Verschmutzung liegt die Lebenserwartung in Norilsk zehn Jahre unter dem russischen Durchschnitt. Etwa 130.000 Menschen in einem 60-Kilometer-Radius rund um die Region sind davon betroffen.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 6: Hazaribagh, Bangladesch

In Bangladesch gibt es 270 registrierte Gerbereien – 95 Prozent davon befinden sich in und um Hazaribagh, verteilt auf einer Fläche von 25 Hektar. Viele von diesen Gerbereien nutzen alte, überholte und ineffiziente Methoden. Insgesamt beschäftigen sie zwischen 8.000 und 12.000 Arbeiter. Jeden Tag pumpen die Gerbereien zusammen 22.000 Kubikliter unter anderem chromhaltiges, giftiges Wasser in den Buriganga, Dhaka's größten Fluss und Hauptwasserversorgung. Die Häuser der Arbeiter liegen oft direkt neben verseuchten Flüssen und Kanälen. Neben dem verseuchten Wasser ist die Arbeit in den Gerbereien ein Gesundheitsrisiko an sich: beim mixen von mehreren Chemikalien führt häufig zu schweren Atembeschwerden. So leiden insgesamt mehr als 160.000 Menschen in der Region unter den Gegebenheiten.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 5: Kalimantan, Indonesien

Kalimantan ist der indonesische Teil der Insel Borneo. In zwei der fünf Provinzen sind Goldminen die Hauptarbeitgeber für 43.000 Menschen. Das geborgene Gold ist allerdings mit Quecksilber verbunden: Dieses muss in einem Schmelzverfahren erst „abgebrannt“ werden. So gelangen jedes Jahr schätzungsweise 1.000 Tonnen Quecksilber in die Umgebung – das sind 30 Prozent der vom Menschen verursachten Quecksilber-Emission. Der Quecksilber-Dampf kann durch die Luft weite Strecken überwinden und wurde so schon zu einem internationalen Problem. Viele Mienenarbeiter schmelzen die Verbindung in ihren Häusern, wodurch die Dämpfe im inneren bleiben. Außerdem gelangt das Quecksilber auch in Flüsse und wird so auch über Fische weiterverbreitet. So sind insgesamt mehr als 225.000 Menschen betroffen.

Mittlerweile macht die indonesische Regierung aber Fortschritte und arbeitet mit NGO´s wie zum Beispiel dem Blacksmith Institut zusammen, um die Mienenarbeiter besser zu schulen.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 4: Dzerzhinsk, Russland

Während der Sowjet-Ära war Dzerzhinsk eine der größten russischen Chemie-Standorte des Landes, inklusive chemischer Waffen. Auch heute noch ist es noch ein wichtiges Zentrum der russischen Chemie-Industrie. Zwischen 1930 und 1938 wurden circa 300.000 Tonnen chemischer Abfälle unsachgemäß in Dzerzhinsk und Umgebung entsorgt. Dadurch gelangten 190 verschiedene Chemikalien ins Grundwasser. Wasserproben aus dem Jahr 2007 ergaben Dioxin-Werte, die tausendfach über den zulässigen Werten lagen. Dies veranlasste das Buch der Guinness World Records Dzershinsk den Titel der „am meisten verschmutzten Stadt“ weltweit zu verleihen.

Hohe Phenolwerte verursachen Augen-, Lungen- und Nierenkrebs. 300.000 Menschen sind davon potenziell bedroht.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 3: Kabwe, Sambia

Kabwe ist die zweitgrößte Stadt in Sambia. Im Jahr 2006 ergab eine Gesundheitsstudie, das der Bleiwert im Blut der dort lebenden Kinder fünf bis zehn Mal so hoch sind wie empfohlen. Das ist das Resultat durch die Kontamination durch Bleiminen in der Region. Gerade durch ungeregeltes Schmelzen des Bleis im 20. Jahrhundert gelantgen viele Partikel in die Luft und fielen später auf das umgebende Land. So sind auch heute noch mehr als 300.000 Menschen davon betroffen.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 2: Citarum River, Indonesien

Das Becken des Citarium Flusses in Indonesien erstreckt sich über eine Fläche von 13.000 Quadratkilometer und kommt mit neun Millionen Menschen in Kontakt. Der Fluss bildet 80 Prozent von Jakartas Wasserversorgung und bewässert fünf Prozent der indonesischen Reisfarmen. Zusätzlich beziehen bis zu 2.000 Fabriken ihr Wasser aus dem Fluss. Durch private und industrielle Verantwortliche wird der Fluss erheblich verschmutzt. Eine Studie ergab beispielsweise einen Blei-Wert, der 1.000 Mal über dem zulässigen Wert für Trinkwasser liegt. Auch Mangan stellt ein hohes Gesundheitsrisiko dar. 500.000 Menschen sind direkt von den Auswirkungen betroffen, unter anderem durch die Reisfarmen kommen aber insgesamt fünf Millionen Menschen mit den Giftstoffen in Kontakt.

Foto: WirtschaftsWoche

Platz 1: Tschernobyl, Ukraine

Auch heute noch steht der Name Tschernobyl für die größte nukleare Katastrophe der Geschichte. Am Abend des 25. Aprils 1986 gelangte durch eine Kernschmelze mehr als 100 Mal so viel Radioaktivität in die Umgebung als durch die Atombomben von Hiroshima and Nagasaki. 150.000 Quadratkilometer waren von dem Unfall betroffen. Bis heute ist die 19 Meilen umfassende Sperrzone um den Reaktor unbewohnbar. Innerhalb von sieben Monaten wurden ein Sarkophag um den Reaktor gebaut, um die verbleibende Radioaktivität zu absorbieren. Jedoch hat das Konstrukt nur eine Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren – somit bedroht der Reaktor auch heute noch fünf bis zehn Millionen Menschen in der Ukraine, Russland, Moldawien und Weißrussland. Experten gehen davon aus, das die Katastrophe schuld an 4.000 Fällen von Schilddrüsenkrebs ist.

Foto: WirtschaftsWoche


Scanner erkennen die begehrten Polyolefine

Ist das der Fall, haben Unternehmer wie Michael Scriba leichtes Spiel. Der Geschäftsführer von MTM Plastics im thüringischen Niedergebra gehört zu den Pionieren bei der Verwertung von Polyolefinen. Aus diesen Kunststoffen bestehen Dosen, Tuben, Tüten, Folien, Becher und Flaschen – also vieles von dem, was sich im gelben Sack der Verbraucher findet.

Früher ließ Scriba noch von Hand sortieren, erzählt er bei der Führung durch seinen Betrieb. Heute trennen Zentrifugen und andere Maschinen die Abfälle. Infrarotstrahlen schießen auf die Kunststoffe, anhand des reflektierten Lichts erkennen Scanner die begehrten Polyolefine. Sie wandern in einen Extruder, der die bunten Kunststoffteilchen auf bis zu 240 Grad erhitzt, bis sie zu einer Masse verschmelzen. Im weiteren Prozess wird sie entgast, gereinigt, mit Zusatzstoffen vermischt und schließlich durch ein Sieb gepresst. Kühlt die Masse ab, entsteht ein pfefferkorngroßes Granulat, das in Säcken an 60 Kunststoffverarbeiter in ganz Europa geht. Sie stellen daraus Mülltonnen, Kisten, Eimer sowie Bauteile für Autos oder Büromöbel her und auch neue Gartengeräte.

Die Vielfalt an Produkten ist ein Fortschritt. Denn aus eingesammelten Kunststoffgemischen Lärmschutzwände und Parkbänke herzustellen, wie es vielfach noch geschieht, „macht ökologisch überhaupt keinen Sinn“, kritisiert Fraunhofer-Forscher Franke. Der Grund: Bei diesen Anwendungen verdrängt das Recyclingmaterial das viel klimafreundlichere Holz.

Beim sortenreinen Recycling der Polyolefine aber kann sich die Umweltbilanz sehen lassen. Mit den 27.000 Tonnen Plastik, die Scriba im Jahr herstellt, vermeiden seine Kunden den Ausstoß von 59.000 Tonnen Treibhausgas, wie Forscher der Hochschule Magdeburg-Stendal ausgerechnet haben.

Das entspricht der Menge, die ein Mittelklassewagen ausstößt, wenn er die Erde 8000 Mal umkurvt. Zudem sparen Kunststoffverarbeiter, die statt Neuware die Granulate aus Thüringen einsetzen, pro Jahr insgesamt 32.000 Liter Erdöl ein.

Zehntausende Tonnen Kunststoffabfälle landen in der Verbrennung

Am Ende kann aber selbst Kunststoffretter Scriba nicht alle Abfälle verwerten, die Laster täglich auf seinen Hof kippen. Ein Drittel, rund 20.000 Tonnen im Jahr, sortiert auch er aus und schickt sie Abfallbehandlungsanlagen wie Ecowest. Die sortieren den Müll ein weiteres Mal und verarbeiten ihn zu Fluff. So landen Zehntausende Tonnen Kunststoffabfälle in Deutschland doch noch über Umwege in der Verbrennung.

Die Kombination aus beidem, aus sortenreinem Recycling und der Produktion hochwertiger Brennstoffe, sei letztlich das ideale Verwertungssystem, sagen die Forscher des Öko-Instituts.

Das Problem aber ist: Noch immer gelangen – trotz aller deutschen Gelbmüll-Sortier-Freude – zu viele Kunststoffabfälle unsortiert in ineffiziente, klassische Verbrennungsanlagen. Sie decken ihren Bedarf außerdem mit Sperrmüll und Importen. Zu Niedrigpreisen schlucken sie auch unsortierte Firmenabfälle. Viel Plastik, aber auch Holz und Papier geht verloren.

Umweltschonender und billiger

Damit Kunststoffe erst gar nicht in die Hände klassischer Verbrenner geraten, bauen Firmen wie Veka Umwelttechnik aus dem thüringischen Hörselberg-Hainich geschlossene Kreislaufsysteme für einzelne Produkte auf. Zum Beispiel für die PVC-Fenster des Mutterhauses, dem Fensterprofilhersteller Veka.

Das Ziel von Geschäftsführer Norbert Bruns: alle Profile, die Veka verkauft, am Ende wieder einzusammeln. Dafür arbeitet er mit Fensterbauern und Containerdiensten zusammen und bezahlt sie für Altfenster. Bruns verarbeitet die Rahmen zu Granulat, das zu neuen Fensterrahmen wird. Das ist umweltschonender und billiger als Neuware.

Auch für PET-Flaschen gibt es ein solches geschlossenes System. Die Firma Petcycle, mit Sitz im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr-Ahrweiler und getragen von mehr als 100 Unternehmen aus der Getränke- und Recyclingindustrie, hat mittlerweile 40 Millionen Kästen mit Mineralwasser und Limonaden im Umlauf. Die Kunden bringen sie in die Supermärkte zurück, die sie dann an die Petcycle-Mitglieder schicken, die aus den gebrauchten Flaschen neue machen.

Präferenz für Recycling

Und auch die Verbrenner selbst haben Recyclingpotenzial. Müllverbrennungsanlagen gewinnen heute schon Metalle aus ihrer Asche. 2012 waren es in Deutschland mehr als 300.000 Tonnen Eisen, Aluminium und Kupfer. Selbst der mit Schwermetallen belastete Staub aus der Abgasreinigung, der bislang als Sondermüll unter Tage deponiert wird, birgt große Schätze.

„Die Metallkonzentration im Filterstaub ist höher als in den meisten natürlichen Lagerstätten“, sagt der Berliner Experte Thomé-Kozmiensky. Vor zwei Jahren errichtete das Schweizer Unternehmen BSH Umweltservice in Zuchwil nördlich von Bern für rund neun Millionen Euro die weltweit erste Anlage, die täglich fast eine Tonne reines Zink aus Giftmüll herausholt.

Am Ende der Tour zu Recyclinghöfen, Wertstoffsammlern und Müllverbrennern steht damit die Erkenntnis, dass die Präferenz fürs Recycling zwar im Grundsatz richtig ist – aber eben kein Dogma. Was zu aufwendig zu trennen und zu säubern ist, sollte zu Brennstoff oder Sprit werden, um Kohle oder Öl zu ersetzen.

Aus Kunststoffen, die in Bechern, Bobby Cars und Elektrogeräten stecken, sollten Recycler neues Plastik herstellen, für das Erdöl im Boden bleibt. Und was sich gar nicht verwerten lässt, kann in Verbrennungsanlagen wandern. Müllwerker wie Uwe Greye in Hamburg haben also auch künftig zu tun.

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
Stellenmarkt
Die besten Jobs auf Handelsblatt.com
Anzeige
Homeday
Homeday ermittelt Ihren Immobilienwert
Anzeige
IT BOLTWISE
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Remind.me
Jedes Jahr mehrere hundert Euro Stromkosten sparen – so geht’s
Anzeige
Presseportal
Lesen Sie die News führender Unternehmen!
Anzeige
Bellevue Ferienhaus
Exklusive Urlaubsdomizile zu Top-Preisen
Anzeige
Übersicht
Ratgeber, Rechner, Empfehlungen, Angebotsvergleiche
Anzeige
Finanzvergleich
Die besten Produkte im Überblick
Anzeige
Gutscheine
Mit unseren Gutscheincodes bares Geld sparen
Anzeige
Weiterbildung
Jetzt informieren! Alles rund um das Thema Bildung auf einen Blick